Liebe Papyrus Community,
ich habe das vierte Kapitel meines Romans überarbeitet. In diesem Abschnitt trifft Lisa im französischen Restaurant "Chez Maman " auf ihre Eltern. Die Gespräche kreisen um Trauer, Schuldgefühle und den vorsichtigen Vorschlag, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
In der neuen Version spricht Lisa selbst die Erinnerungen an Maurice an. Die Eltern respektieren Lisa Freiraum. Zusätzlich habe ich eine Rückblende eingefügt, in der Lisa und Maurice ein ruhiges Jubiläum im selben Restaurant verbringen.
Ich freue mich über euer Feedback, besonders zu folgenden Punkten:
-
Wirkt Lisas emotionale Entwicklung und Gegenwart stimmig?
-
Ist der Übergang zwischen Erinnerung schlüssig und lebendig genug?
-
Ist der Dialog mit den Eltern in sich schlüssig und koharent?
Herzliche Grüße
André Lang
- Der Schatten vor einem Jahr
Kaum hatte Lisa das Restaurant »Chez Maman« betreten, zog sich ihr Magen zusammen. Der Duft von frischem Brot und Gewürzen wehte ihr entgegen. Früher hatte sie diesen Ort geliebt. Heute fühlte sich alles fremd an. Ob es die richtige Entscheidung war hierherzukommen, wusste sie nicht. Der Geruch rief eine Erinnerung hervor.
Vor einem Jahr
Der Duft von Thymian mischte sich mit einer feinen Note geschmolzenen Käses und stieg Lisa in die Nase. Sie saßen sich gegenüber, die Kerzen flackerten auf dem Tisch zwischen ihnen, warfen Schatten über Maurice’ Gesicht. Es war ihr Jubiläum. Ein stiller Abend, durchzogen von Erinnerung und Wärme.
„Das Essen erinnert mich irgendwie an Zuhause“, sagte Maurice leise und lächelte.
Lisa hob den Blick. „Du warst noch nie in der Bretagne“, entgegnete sie, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, während sie langsam einen Löffel Crème Brûlée auf der Zunge zergehen ließ.
„Aber von dort kommt mein Großvater“, murmelte er. Für einen Moment veränderte sich sein Blick. Etwas Dunkles, Wehmütiges legte sich über sein Gesicht – wie ein Schatten, den nur sie bemerkte. Als hätte ihn die Erinnerung an früher plötzlich aus dem Jetzt gerissen.
„ Von deinem Großvater hast nie was erzählt“, meinte Lisa vorsichtig.
Ein schweres Schweigen legte sich über den Tisch, dehnte sich zwischen ihnen aus wie ein unsichtbares Tuch, das alles zudeckte.
Lisa senkte den Blick, rührte in ihrem Dessert, obwohl sie längst keinen Hunger mehr verspürte.
„Lisa … sollen wir über etwas anderes reden?“, flüsterte Maurice schließlich, seine Stimme rau und fast schüchtern.
Sie nickte langsam, zu erschüttert, um etwas zu sagen.
Und dann, ganz allmählich, begann die Erinnerung zu verblassen – wie ein Film, dessen letzter Frame langsam im Licht verglüht.
Sie suchte nach dem Tisch, an dem ihre Eltern saßen. Mit einem Blick sah sie ihre winkende Mutter. Ihre Mutter lächelte, aber ihre Augen wirkten leicht traurig.
Sie setzte sich zu ihnen. Beide hatten schon ein Glas Wein vor sich stehen.
„Ich hab deinen Lieblingsplatz für uns reserviert. Wir haben hier immer zusammen gegessen, weißt du noch?“, fragte ihre Mutter und tätschelte Lisas Hand.
„Ja, ich erinnere mich“, sagte Lisa. Diese Erinnerung wirkte wie ein Relikt aus einer anderen Welt – nah genug, um sie zu spüren, und doch verloren im Nebel der Zeit.
„Vielleicht können wir dir ein Lächeln aufs Gesicht zaubern: Die Crème brûlée ist vermutlich immer noch so gut wie früher!“ Ihr Vater schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln.
„Mir ist nicht nach Essen zumute.“ Lisa schaute auf die Karte, die vor ihr lag.
„Bitte, Lisa …“, sprach ihr Vater sie an.
Lisa blickte hoch. In den Augen ihres Vaters blitzte Besorgnis auf.
„Stoß uns nicht schon wieder weg, so wie du es nach dem Begräbnis von Tante Monika getan hast“, sagte er.
„Darüber zu reden, macht es mir nicht einfacher.“
„Das verstehen wir doch, Liebes“, sagte ihre Mutter. Sie schaute zum Vater und dann zu Lisa. „Aber du musst aufpassen, dass die Schuld dich nicht zerfrisst.“
Betretenes Schweigen herrschte am Tisch. Ihre Eltern tauschten Blicke. Sie sagten mehr als tausend Worte – Besorgnis, Hoffnung und Ratlosigkeit lagen darin.
„Gehst du immer noch gern Wandern?“, fragte ihre Mutter.
„Na ja, seit Maurice weg ist, habe ich keine große Lust mehr dazu. Eigentlich zu gar nichts.“ Lisa spielte mit ihren Fingern.
Seit er weg war, hatte ihr Leben stillgestanden. Lisa hatte ihre Freunde gemieden, weil sie bloß nicht über Maurice reden wollte. Seitdem hatte sie sich im Marketingbüro für ein Jahr krankgemeldet. Der letzte Psychiater Bernhard Steinmeier war keine große Hilf gewesen.
„Lisa, wir haben uns überlegt …“, begann ihr Vater vorsichtig. Er machte eine Pause und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas.
„Wir dachten“, setzte er wieder an, „dass dir Hilfe ganz guttun würde.“
Lisa blinzelte, als hätte sie sich verhört.
„Ihr meint also, dass ich nicht alleine klarkomme und dass ich zu einem Therapeuten gehen soll?“ Sie schloss ihre Frage mit einem trockenen Lachen ab. „Ich war schon bei einem Psychiater. Und das Einzige, was er getan hat, war mir zuzuhören und dann keine Ratschläge, sondern nur so billige Floskeln aufzusagen.“
„Ja, aber wir machen uns einfach Sorgen um dich. Wir sind deine Eltern“, antwortete ihre Mutter mit zittriger Stimme. „Wir wollen dich nicht zwingen, Lisa. Aber wir sehen, wie sehr du dich zurückziehst, vor allem, wenn es um Maurice oder den Unfall geht.“
Einen Moment lang herrschte Stille. „Lisa, wir sehen, dass du das mit dir herumschleppst. Schmeiß dein Leben nicht weg.“
Lisa blickte zwischen ihnen hin und her. „Ihr meint es nur gut …“, murmelte sie. Sie schloss „Doch es schmerzt immer noch. Ich funktioniere aber nicht richtig.“
Lisa seufzte, als sie diesen Satz aussprach: „Könnte ein Fremder mir jemals helfen?“ Der Gedanke ließ sie nicht los. Wie sollte sie mit jemand, der nicht über Maurice wusste, ihr wirklich zuhören – wirklich verstehen?
„Das wissen wir, Lisa. Deswegen schlagen wir dir Frau Engel vor. Eine gute Bekannte von uns. Vielleicht kann sie dir helfen? Vier Jahre Beziehung kann man nicht einfach so zur Seite legen.“
Lisa glaubte, einen kleinen Schimmer Hoffnung in der Stimme ihrer Mutter zu hören. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich – als hätte die Mutter einen wunden Punkt berührt, den sie selbst kaum ertragen konnte.
„Ich denke … ich denke noch darüber nach“, antwortete Lisa.
Ihr Vater blickte sie lange an, bevor er sich räusperte und zu sprechen begann: „Lisa, du denkst, das wäre nur Gerede. Aber manchmal braucht es einen Blick von außen – jemanden, der nicht in deinem Alltag steckt und der dir zuhört, ohne dich zu bewerten.“
„Es ist nur so … Was soll ich ihr sagen? Dass ich mich schuldig fühle? Dass ich mir Vorwürfe mache?“ Lisas Augen wurden feucht und eine Träne lief ihr übers Gesicht.
Ihre Mutter rückte näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Schulter. Sie sprach leise zu ihr: „Es wird einfacher, wenn man das, was in einem vorgeht, in Worte fassen kann. Und dafür haben Therapeuten eine spezielle Technik. Sie können mit deiner Wut und Trauer umgehen.“
„Aber ich möchte ihn nicht vergessen, aus Angst, dass er dann nur noch schwerer wird.“ Lisa senkte ihren Blick.
Ihr Vater schüttelte sanft den Kopf.
„Niemals wird die Erinnerung an ihn sterben. Mit der Zeit wirst du lernen, damit umzugehen. Irgendwann wird der Schmerz kleiner“, sagte ihre Mutter.
Lisa nickte. Sie schaute ihr in die Augen und flüsterte fast: „Manchmal kann ich seine Stimme nicht mehr hören, das macht mir Angst.“
„Darum ist dieses Gespräch so wichtig. Erinnerungen sollen dir helfen und nicht dich lähmen.“
Lisa zögerte. Sie fühlte so etwas wie Mut und Zuversicht.
„Ich kann nichts versprechen, aber einen Versuch ist es wert“, sagte sie.
Lisas Vater lächelte. Ihre Mutter drückte ihr sanft die Hand. Sie war nicht allein. Das stand fest.
„Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung“, meinte ihre Mutter.
Ihr Vater legte seine Hand auf die ihrer Mutter.
„Wir sind so stolz auf dich.“
Lisa nickte. Sie fühlte eine Mischung aus Hoffnung und Unsicherheit.
„Können wir das Thema für heute Abend ruhen lassen?“, fragte sie.
Ihre Eltern nickten verständnisvoll.
Der Kellner kam und fragte. Sie verneinten die Bestellungsaufnahme. Danach breitete sich eine Stille am Tisch aus, die weniger schwer wog als zuvor.
„Weißt du noch, wie Maurice mir damals zum Geburtstag ein Gedicht vorgetragen hat?“, fragte sie leise.
Ihr Vater lächelt überrascht. „Ja, das war sehr… dramatisch“, sagte er.
„Und zugleich so lustig“, ergänzte ihre Mutter. Lisa nickte, Tränen standen in ihren Augen, sie wirkten diesmal leichter. Ein Moment des geteilten Erinnerns entstand. Zart und kostbar. „Das tat echt gut“, flüsterte Lisa.
„Gemeinsam wird die Trauer erträglicher“, sagte ihr Vater leise.
„Trotzdem…“ Lisa spielte mit der Serviette, die vor ihr lag. „Wenn ich an die Therapiestunden denke, habe ich Angst, dass ich zusammenbreche.“
„Brauchst du nicht. Es gehört dazu, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen“, sagte ihre Mutter.
„Dort bist du in einer sicheren, geschützten Umgebung. An einem Ort, wo du offen über deine Gefühle sprechen kannst“, erklärte ihr Vater.
„Ihr habt recht. Ich nehme das Angebot an.“
Am Ende des Abends bekam Lisa von ihrer Mutter einen Zettel mit der Nummer der Therapeutin. Sie verabschiedeten sich und verließen das Restaurant.
Auf dem Nachhauseweg bebte Lisas Brust. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die ihr plötzlich eine neue Möglichkeit eröffnete. Bisher hatte sie geglaubt, sie müsste den Schmerz allein tragen. Wie konnte sie sich so irren?
War das der Schlüssel, mit ihrer Trauer umzugehen?
Vielleicht.
Hätte Maurice gewollt, dass sie für immer in Isolation lebte?
Nein.
Aber wie konnte sie es anstellen, dass sie wirklich Frieden fand?