Des Narratöörs Unbezahlbarkeit:
Lieber N.,
laß mich bitte wissen, wie und wo ich dein Buch erstehen kann, dann ist’s mir möglich, zu prüfen, ob du bezahlbar bist …
Andres Thema:
Dem ist nichts hinzuzufügen …
Außer: Wenn „da“ etwas ist, wird es vermutlich (beinahe) jedes Werkzeug tun, denn die Wege des HERR’n sind unergründlich; gleichwohl aber wird ER den Genius der SEINEN hell aufscheinen lassen, sofern jedenfalls, als ein Strahl des göttlichen Gnadenlichts auf sie fällt. – Etwa auf diese Weise läßt sich vielleicht Augustins Gestus am Anfang (und danach auch immer wieder) der Confessiones verstehen, die ja neben ihrem pathologiezeugenden ideologischen Gehalt, der das Abendland seit tausendsechshundert Jahren schwer neurotisiert, auch ein großes literarisches Zeugnis sind. Und vorher hatten es schon die griechischen Dichter nie versäumt, sich göttlichen Beistands zu versichern, bevor sie zu singen anhoben: Hesiods und Homers Anrufungen der Musen oder deren Mutter – Mnemosyne – eingangs ihrer berühmten Lieder sind schließlich Legion!
Inzwischen sind* säkulare* Zeiten angebrochen, lieber Narratöör, denn schließlich hat bereits Nietzsche seinen Zarathustra davon künden lassen, daß GOtt tot ist (weshalb es ja wohl stimmen muß ); und mithin scheiden die alten, lang wohlbewährten mystischen Prozeduren zur Präparation für das Große Tun der Dichter wegen nietzscheianisch verordneter Irrelevanz aus. – Ob das nun aber heißen kann, der eigentliche Gehalt dieser Veranstaltung sei damit auch schon eliminiert, will mir doch zumindest ein bißchen zweifelhaft scheinen (übrigens auch mit Betracht auf gar mancherlei Einlassung des guten Friedrich N. aus L. dazu). Und sogar mit Rekurs auf die neongelb eingewickelten Preßwürste, welche die @Unbefleckte hier kürzlich so treffend namhaft machte, dünkt mich das nicht einfach ausgemacht. Denn die alten Götter mögen zwar tot sein, aber ob wir Modernen uns deswegen auch schon gänzlich ihrer langen Schatten entschlagen haben, halte ich doch wenigstens für hinterfragenswürdig.
Jedenfalls wüßte ich anders nicht mit den zahllosen Fetischisierungen umzugehen, die unsere kalte, neoliberale Welt gleichsam mitstrukturieren. Manchmal kommen mir die damit verquickten Phänomene vor wie eine „Fortsetzung“ des vergangenen Glaubens „mit anderen Mitteln“ respektive mit … ähm … Neuen Göttern. Im Unterschied zu den alten sind sie inzwischen freilich nur noch wenig ätherisch-transzendent: Eher handgreiflich. Über quasi beschwörende Macht scheinen sie aber gleicherdings zu gebieten wie Mnemosyne, Apollon, die Musen oder JHWH!
Es ist jedenfalls so: Früher brachten Hesiod & Co. den göttlichen Mächten für die erwartete *Gabe der Inspiration *Opfer dar, sei’s in Form zum blauglänzenden Himmel aufsteigender Rauchsäulen auf Altären gerösteter Rinder oder sei’s, wie im Falle Augustins, durch den Verzicht auf die Freuden des von der *concupiscentia *verdorbenen Fleisches, derweil heute ganz einfach geblecht wird, um an den (vermeintlichen) Gaben der Neuen Götter zu partizipieren. Und somit: Den ehemals mystischen Akt hat die zentrale Operation der universalisierten Tauschgesellschaft abgelöst: Die inspirierenden Ingredienzien gehen massenweise über den inzwischen profanisierten Altar namens Ladentisch (derweil freilich auch schon mehr und mehr auf dem Weg zu seiner De-Materialisierung), während gleichzeitig – Höhepunkt dieses säkularisierten Gottesdienstes neuer Couleur – die Kohle den entgegengesetzten Weg darüber nimmt. Man kauft sich heutzutage folglich, was so gebraucht wird für vermeintliches Glück bzw. Talententfaltung respektive … ähm … „Selbstoptimierung“ … es ist ein Geschäft inklusive des Versprechens, daß man bei folgerichtiger Anwendung reüssieren werde …
Exakt dies nun jedoch markiert den Unterschied zu früher: Denn die Götter waren auf das Opfer hin keineswegs verpflichtet, zu liefern. Es mag so mancher um Inspiration gebettelt und dafür Hekatomben geopfert haben … Das hat Apollon oder Mnemosyne kein bißchen gejuckt! Und diese Vagheit am ganzen Prozeß ist heutzutage eliminiert. Bei Bezahlung hat Lieferung zu erfolgen! Und weil man bezahlt hat, soll gefälligst das auch „etwas bringen“, was dafür geliefert wurde.
An dieser Stelle schließt sich der Kreis, lieber Narratöör, zum von dir Angedeuteten, will mir scheinen. Denn so du sagst: „Wenn da nix ist, nützt auch das Werkzeug nichts“, so stimme ich dir nicht nur zu, sondern setze noch einen drauf: Das wußten die Alten (noch)! Oder anders ausgedrückt: Wem ihre Götter die Inspiration – und sei sie noch so heftig „beopfert“ worden – versagten, der brauchte sie schlicht nicht, weil das göttliche Tool sowieso nur auf unfruchtbaren Boden gefallen und ergo nichts bewirkt hätte. Inzwischen aber herrscht der Glaube [sic] vor, inspirierbar sei quasi jede/r und es läge mehr oder weniger nur am Tool, ob das zutageträte oder nicht. Das Credo aber, man brauche nur die richtigen Werkzeuge einzukaufen, dann sei alles andere mehr oder weniger bloße Formsache auf dem Weg zum Erfolg – dieser Irrglaube ist der heiße Kern, die magische Brennkammer der säkularen Tauschgesellschaft und zumal ihrer neoliberalen Total-Perversion. Und zugleich ist er die größte Gefahr für all das, was sich eben nicht kalkulieren, nicht berechnend „auf den Punkt bringen“ läßt. – Also für alles, was mit ästhetischer Erfahrung zusammenhängt.
Viele Grüße von Palinurus