„Schau mal, der Schwanz ringelt sich wie bei einem Schweinchen.“ Isabella saß schon auf dem Boden, umringt von den drei Hundewelpen, die freudig mit dem Hinterteil wedelten. Zwei Minibären mit dicken Pfoten und langem Fell, einer braunschwarz, der andere weißschwarz mit Ruten, die sich ringelten. Der dritte Welpe, kleiner und kurzhaarig, setzte sich abwartend hinter seine Geschwister.
„Können wir nicht zwei mitnehmen?“, fragte Isabella mit bettelndem Blick. Sie hatte inzwischen beide Bärchen auf dem Schoß.
„Schau mal, die Kleine hat einen Ausschaltknopf, sehr praktisch“, witzelte Christian. Das kleine Hundemädchen beschnüffelte interessiert seine Hand. Ganz zutraulich ließ sie sich auch von Petra streicheln. Der weiße Kopf mit den schwarzen Hängeohren schmiegt sich in ihrer Hand. Zwischen den Ohren befand sich ein kreisrunder Fleck. Während Isabelle mit den Welpen und einem kleinen Tau spielten, erfuhren die Eltern Einzelheiten über den Hintergrund der Hunde.
„Wie groß ist die Mutter der Welpen?“, frage Petra die Frau vom Tierschutz Verein.
„Die Welpen wurden auf einem Bauernhof in der Nähe geboren. Da die Hündin bereits letztes Jahr trächtig war, wollte der Bauer die Welpen nicht und hat sie dem Tierschutz übergeben. Ich bin nur die Pflegestelle und kenne die Mutter nicht, sie ist ein Colliemix.“ Nach dem Ausfüllen eines Vertrages und dem Austausch von Barem bekamen sie ihren Welpen direkt mit nach Hause. Sie entschieden sich für das weiß schwarz Hundekind. Auf der Fahrt durfte das Hundemädchen bei Isabella auf dem Schoß mitfahren, da sie keinen Transportkorb dabeihatten. Unterwegs kauften sie noch die Ausrüstung für das neue Familienmitglied ein. Vom verstorbenen Hund gab es noch Decken und Futterschüsseln zu Hause. Also brauchte die Kleine fürs Erste nur Halsband, Geschirr und Leine und passendes Welpenfutter. Auf der Fahrt diskutierte die Familie verschiedene Hundenamen. Nach vielen Vorschlägen einigten sie sich auf den Namen Nelly.
18 Monate später.
Schnaufend wie eine Lokomotive lief Petra die Straße zu ihrem Haus hinauf. Die Unruhestifterin trottete friedlich hinter ihrem Frauchen her. Zu Hause bei Christian ließ Petra Dampf ab. Er saß mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch.
„Die ist ausgeflippt! Ich konnte sie kaum halten!“
„Was ist denn passiert?“, fragte er und schob ihr eine Tasse Milchkaffee über den Tisch zu.
„Wir gingen die Straße entlang, Verena kam uns mit Kinderwagen und ihrem Hund entgegen. Ich nahm Nellys Leine kurz, um an ihnen vorbeizugehen. Sie hat gebellt und die Nackenhaare aufgestellt. Da habe ich sie am Geschirr gepackt, sie ist fletschend an mir hochgesprungen. Meine Jacke hat einen Riss, ich bin nicht sicher, ob sie mich beißen wollte oder nur mit den Zähnen hängen geblieben ist. Ich konnte sie kaum halten. Auf jeden Fall gehe ich nicht mehr ohne Maulkorb mit ihr nach draußen.“
Ihr war zum Heulen zumute. Das kleine Fellknäuel hatte sich zu einem Herdenschutzhund von 38 kg ausgewachsen. Sie wurde aggressiv, sobald andere Hunde ihren Weg kreuzte. Durch die Angst, Nelly könnte sich losreißen und jemanden verletzen, geriet Petra zunehmend mehr in Panik, sobald sich ein anderer Hund den beiden näherte. Deshalb hatte die Hundetrainerin einen passenden Maulkorb für Nelly besorgt. Gedankenverloren rührte Petra im Kaffee, der abkühlte wie ihre Wut.
„Bei unserer Hundeschule gibt es einen Kurs körpersprachliches Training mit Hunden, die nicht leicht zu führen sind. Ich melde uns an. Wirst sehen, das wird wieder besser“, munterte Christian sie auf. Er kraulte das Monster am Kopf, das mit seinen braunen Augen zu Petra blickte. Verflixt, jetzt sieht sie total friedlich aus. Was läuft nur schief? Petra setzte sich auf dem Boden. Nelly kam angelaufen und legte sich dicht neben sie. Beim Streicheln des seidigen Fells entspannte sie genauso wie die schnarchende Fellnase.
„Guten Morgen. Die Hunde bleiben erst mal im Auto. Wir unterhalten uns zuerst über den Ablauf des Seminars“, informierte Ina, die Leiterin der Hundeschule. Dann stellte sie die zweite Trainerin vor, Hilke.
„Zuerst gibt es eine Kennenlernrunde. Später schaue ich mir die Teams einzeln an“, erklärte diese.
„Die Vorstellung übernimmst am besten du“, flüsterte Christian Petra ins Ohr. Da Isabelle jetzt im Studentenwohnheim wohnte und Christian wegen der Arbeit nur am Wochenende Zeit hatte, um mit Nelly Gassi zu gehen. Lag die Verantwortung für den Hund hauptsächlich bei Petra. Der Stein in ihrem Magen wuchs zum Felsbrocken. Vor diesen fremden Menschen wollte sie nicht in Tränen ausbrechen und zugeben, dass sie mit ihrem Junghund nicht klarkam, trotz 13 Jahren Erfahrung mit ihrem ersten Hund. Die Vorstellungsrunde schritt voran und jedes Team erzählte von Problemen mit den eigenen Hunden. Als Petra an die Reihe kam, war sie schon nicht mehr so nervös.
„Wir bekamen Nelly mit 10 Wochen von einem Tierschutzverein. Uns wurde gesagt, ihre Mutter sei ein Colliemix vom Bauernhof aus der Nachbarschaft. Erst in der Hundeschule stellte sich heraus, dass sie ein Herdenschutzhund ist. Sie verhält sich aggressiv bei anderen Hunden, deshalb trägt sie im Moment einen Maulkorb. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Nelly friedlich an der Leine läuft, egal wer uns begegnet.“
„Nicht zu glauben, dass diese anspruchsvollen Hunde immer wieder vermittelt werden, ohne über ihr Wesen aufzuklären“, empörte sich ein Teilnehmer.
Nach der Vorstellungsrunde trafen sich die Teilnehmer mit ihren Hunden auf dem großen Platz.
„Petra, geh mit Nelly an der lockeren Leine zu den Birken.“ Hilkes Instruktionen waren dank des Headsets klar zu hören.
„Jetzt kehr um und lauf direkt auf uns zu.“ Petra drehten um und sah bei Ina zwei Hunde, mit denen sie spielte. Nelly sträubte sofort die Nackenhaare und zog bellend in Richtung der Artgenossen. Petra hatte Mühe, den tobenden Hund zu halten. Sie musste erst die 2-Meter-Leine in beiden Händen verteilen, um die Krawallnudel hinter sich her zu zerren. Komm endlich! Hektisch zog sie immer wieder an der Hundeleine. Vor ihnen versperrte das Absperrgitter für den Radweg ihren Weg. Mist! Unbekanntes macht Nelly nervös.
„Noch mal zurück, nimm sie mit. Mach ihr klar, dass du weißt, was du tust! Du bist zu zaghaft“, kommandierte Hilke. Bei jeder Anweisung wurde Petra fahriger, war sich der Blicke der Anwesenden, die wie Kaugummi an ihr klebten, bewusster.
„Ok! Das reicht fürs Erste.“ Endlich wurden sie erlöst. „Führ Nelly ab jetzt immer dual an Halsband und Geschirr eingehakt, so kannst du sie besser halten.“
Am Ende nahm uns Hilke auf die Seite.
„Du bist zu zaghaft, Nelly hat ständig die Menschen um euch herum anvisiert. Das ist gefährlich! Deine Unsicherheit überträgt sich auf sie, damit drängst du sie in die Beschützerrolle. Morgen beim Coaching musst du meinen Anweisungen exakt folgen.“
Nachts lag Petra stundenlang wach, ließ den Tag wie einen Film an sich vorüberziehen. Was braucht Nelly? Sie wollte, dass dieser Nelly bei ihnen bleiben konnte. Die einzige Alternative wäre das Tierheim, wo es schon viele Hunde gab, bei denen die Teambildung zischen Mensch und Hund nicht geklappt hatte. Der Morgen graute und ihr Entschluss stand fest, zu der Person zu werden, den ihr Herdenschützer forderte.
Im Laufe des Vormittags sahen sie den anderen Teams beim Coaching zu. Kurz vor Mittag waren dann Nelly, Christian und Petra dran. Sie bekam Kopfhörer auf und Christian holte Nelly aus dem Kofferraum. Durch den Kopfhörer bekam Petra ihre Anweisungen.
„Lauf geradeaus, lass die Leine immer locker. Schau nur nach vorn, geh deinen Weg.“ Nelly sah den fremden Hund und zog bellend vor ihr rüber Richtung Artgenosse.
„Schneid ihr den Weg ab, lauf von vorne auf sie zu. Leine locker lassen, nicht zerren. Das ist dein Raum, dräng sie zurück. Lass sie nicht vorbei.“
Petra lief um Nelly herum und schnitt ihr den Weg ab. Nelly war abgelenkt und sah zu ihrem Frauchen.
„Verschaff dir Platz, lass sie nicht zu diesem Hund.“ Alles ausblendend bedrängte Petra Nelly weiter und weiter. Sie schob ihren Hund mit dem eigenen Körper rückwärts, weg von dem fremden Hund. Vor ihr das Fellbündel mit Maulkorb und gefletschten Zähnen, das sich trotz der Begrenzung wehrte und an ihr hochsprang. Vier Beine gegen zwei, die standhielten. Sie hörte die Stimme im Ohr und reagierte. Kein denken, kein zögern. Energie, die dagegen hielt. Petra brach der Schweiß aus, ihre Kraft zerrann wie Eis in der Sonne.
„Schieb sie zurück. Nicht nachgeben, bleib dran, immer wieder!“ Unzählige Male wiederholte sie die Prozedur. Zuletzt jaulte Nelly, als Petra sie zurückdrängte, trotzdem sprang sie erneut an dem Menschen vor ihr hinauf, wollte vorbei. Die Kräfte von Mensch und Hund reichten kaum noch zum Laufen.
„Ok, sie hat genug. Leine locker. Durchatmen! Nimm deinen Hund mit zu den Bäumen. Geh eine kleine Runde mit ihr und gib ihr Wasser.“ Endlich. Bin am Ende. An den Wangen spürte Petra Nässe. Nelly hechelte und schlich kraftlos neben ihr her. Petra nahm ihr den Maulkorb ab. Langsam trotteten beide außer Sichtweite. Sie sank auf einen großen Stein. Direkt davor ließ sich Nelly nieder. Sie schauten sich stumm in die Augen, erschöpft. Petra legte die Arme um den kräftigen Hals, Stirn an Stirn wurde ihr Atem ruhiger. Sie wischte sich mehrmals Tränen von den Wangen, die Nelly von ihren Händen leckte. Sie stand auf und Nelly folgte ihr. Christian wartete am Auto mit Wasser. Nachdem Nelly ihren Durst gestillt hatte, rollte sie sich im Kofferraum auf ihrer Decke zusammen. Petra lehnte sich Trost suchend an Christian.