Ich stelle das erste Kapitel vom Roman meines Vaters hier ein. Ich habe eine Rechtschreibkontrolle gemacht, direkte Rede in eine neue Zeile gesetzt und die meisten schwachen Verben und Füllwörter ersetzt oder gelöscht. Da ich den Text schon mehrmals gelesen habe, kann ich ihn nicht mehr einschätzen. Es wäre mir eine Hilfe, wenn ihr mir sagen könnt, wo ich noch schrauben muss.
Habe festgestellt, dass die Einrückungen am Satzanfang nicht übernommen werden. In Papyrus sind sie vorhanden.
Beim Gemeindeschreiber Hans Suter
»Hier bestimmen die Männer«, sagte Gemeindeschreiber Hans Suter mit krächzender Stimme und schlug mit der linken Faust in gespielter Wut auf den Schreibtisch, derweil die rechte Hand mit dem Federhalter schreibbereit über dem dicken Folianten schwebte. Dann suchten seine hellen Augen den Weg über die Brille hinweg zur hölzernen Rampe, welche die Besuchenden in gebührendem Abstand hielt, um am Ende eine Frau zu fixieren, die auf einer grob gezimmerten Bank sass und einen vierzehntägigen Knaben in den Armen hielt. Sie war bleich und hager. Dessen ungeachtet zeigte sie keine Anzeichen von Mutlosigkeit. Die selbstbewusste Haltung ihres Körpers, die innere Glut ihrer Augen verrieten Willensstärke. An die Rampe gelehnt, stand ein Mann in den besten Jahren, schlank von Gestalt mit dunklen Augen, schwarzen Haaren und einem Schnäuzchen in derselben Farbe. Sein Auftreten war weltgewandt und charmant.
Als die zwei eintraten, hatte Hans Suter nicht nach den Namen fragen müssen. Beide waren bekannt im kleinen Städtchen Lautersee. Sie durch die Zugehörigkeit zu einer alteingesessenen, arbeitsamen und ehrbaren Familie, die der Gemeinde Ehre und Geld einbrachte. Er durch seine leichtsinnige Bohemien-Lebensführung. Eine ungewohnte und nicht alltäglich Vereinigung des Paares.
Enrico Nager, der Ehemann der Frau mit dem Säugling, beteuerte mit einer gewissen Verlegenheit sowie einem charmanten Lächeln, sein Sohn habe am Fünfzehnten des Monats das Licht der Welt erblickt.
»Welches Licht der Welt?«, hörte man Katharina, die Mutter des Kindes, rufen. »In dunkler Nacht, sieben Minuten nach Mitternacht, und nicht am Fünfzehnten, sondern am Zehnten. Am Abend zuvor bat ich dich, deine Teilnahme am Jubiläumsfest des Sängervereins Harmonia abzusagen. Mit dem Gelöbnis, dies zu erledigen, verschwandst du und kamst erst fünf Tage später zurück. Du warst eindeutig be…, ja, du weisst, was ich meine.«
Beschämt hatte Enrico seiner Frau zugehört und versuchte in gebrochenem Deutsch sich zu verteidigen:
»Ja, ja! Igg wollte gleich wiederkommen, aber als meine Freunde hörten, dass igg – das heisst, du – das neunte Kind erwartest, fanden sie, dass das absolut eine Feier wert sei, zu deiner und des Sohnes Ehre. Du müssen ein bisschen Verständnis für meine Situation aufbringen. Jeder wollte eine Runde zahlen, und wir sind schliesslich dreiundzwanzig Mitglieder. Polizeimann Sepp hat migg dann heimgebracht.«
Ungeduldig mischte sich Hans Suter ins Gespräch: »Hierzulande ist es der Familienvater, der bestimmt. Ich schlage vor, wir schreiben den Zwölften«.
Hans Suters krächzende Stimme brach ab, und es überfiel ihn eine lang anhaltende Hustenattacke. Bekümmert schaute Katharina auf den geplagten Mann.
Sie erinnerte sich an den Tag, wie sie mit den besten Zeugnissen als achtzehnjähriges Mädchen die Höhere Töchterschule verliess. Unversehens trat ihr damals ein um mehrere Jahre älterer Mann entgegen und überreichte ihr einen Strauss roter Rosen. Es war Hans Suter, ein junger Gemeindehausangestellter. Seine äussere Erscheinung war nicht allzu angetan, heranwachsende Mädchen zu verwirren, aber er war voller Charme, Lebenslust und Humor. In seiner Nähe fühlte sich Katharina geborgen, was sie mit tiefer Zuneigung vergalt. Auf Grund sozialer Vorurteile hatte sich langsam, beinah unmerklich, das Band zwischen ihnen gelöst.
Mit gemischten Gefühlen betrachtete Katharina den Mann, den sie einst geliebt hatte. Seine hellen Augen lagen tief in ihren Höhlen, als hätten sie sich zurückgezogen von einer Welt der Enttäuschungen. Die Ohren hingegen waren leicht abstehend, gleichsam misstrauisch auf die Umwelt horchend. All das, samt den Bartstoppeln im kleinen Gesicht und den grauen dünnen Haaren, liess Katharina an eine ängstliche Ratte denken. Er tat ihr leid, und sie fragte sich schmerzlich, wie ein einst so froher, selbständig denkender Mensch im Dienste der öffentlichen Ordnung, Gesetze und Paragraphenwelt sich innert zwanzig Jahren so selbstzerstörerisch verändern konnte.
Hans Suter erinnerte sich ebenfalls. Die Trauer über den Verlust seiner glücklichen Tage hatte ihn nie verlassen. Nicht die Erinnerungen an das erste Zusammentreffen, das behutsame Kennenlernen, die langsam aufflammende Liebe und dann die Herausforderung der Wirklichkeit, die Angst vor einer Entscheidung. Ein- und Ansprüche der Nächsten, materielle Überlegungen wurden auf die Waagschale gelegt – und das Flämmchen erlosch.
Hans Suter warf die linke Hand in die Höhe. Ob um nostalgische Gedanken zu verscheuchen oder den Beschluss eines Geburtsdatums zu beschleunigen, darüber dachte er nicht nach.
»Nun?«, fragte er, und nachdem keiner der Kontrahenten eine Antwort gab, sagte er: »Dann schreiben wir den zwölften November - das ganze Leben ist nichts anderes als ein Kompromiss.«
Um diesen Worten mehr Nachdruck zu verschaffen, liess er die Hand hörbar auf den Tisch fallen, worauf das Objekt des Zankes lautstark zu schreien anfing. Hans Suter wurde wieder auf den Nachwuchs aufmerksam und fragte:
»Wie soll das Kind heissen?«
Enrico antwortete unmittelbar: »Hans.«
Katharina wehrte sofort ab: »Nie! Das will ich mit den Geschwistern besprechen.«
Mit diesen Worten verabschiedeten sie sich. Kavaliersmässig öffnete Enrico die Tür, während seine andere Hand sich um die Hüfte Katharinas legte. Suter streute Sand über die Tinte, um das Trocknen der Eintragungen zu beschleunigen, ergriff den Folianten vom Tisch und blies den Sand in den Papierkorb, vor sich hinmurmelnd:
»Da hilft kein Schreien – Beschluss ist Beschluss, basta!«