Liebe Alex,
den Umgang mit apostrophischer Verkürzung hat schon @DuaneHanson auf die Kritikliste gesetzt, weshalb ich mir ernsthaft Gedanken darum mache. Dazu muß vielleicht angeführt werden, daß ich erst seit kurzer Zeit herumexperimentiere, die sog. „Neue Rechtschreibung“ einzusetzen und deswegen unsicher bin (gerade auch bei den Apostrophen, die ein ‚es‘ oder ‚das‘ verkürzen), wahrscheinlich auch Fehler mache dabei. – Es fällt mir sehr schwer. Die „NR“ ist eine grauenvolle Ausgeburt selbstherrlicher „Wissens“-Verwalter, die in Wirklichkeit nur verbeamtete Besserwisser sind, seinerzeit sekundiert von jämmerlich inkompetenten Kaspern auf „Kultus“-Ministerthronen, die keine Ahnung von Tuten und Blasen hatten (und haben).
Das ist bekanntlich nicht nur meine Ansicht; und es fällt mir sehr schwer, mich überhaupt darauf einlassen zu wollen. Etliche Schrifsteller/innen und Wissenschaftler weigern sich ja bis heute, damit ihre Texte zu verstümmeln und zu verschandeln … für das Schriftbild der dt. Sprache ist dieser unsägliche bricolage-Zombie eine schwer zu akzeptierende Katastrophe. – Mir ist bisher noch nicht klar geworden, ob ich bei diesem Schriftmatsch eigentlich mitzumachen gewillt bin.
Daß du dies und das nachschlagen mußtest, macht mir – um ehrlich zu sein – nicht viel Sorge, weil das Lesen (auch lit. Texte) ja Horizonterweiterung implizieren darf … nach so mancher Ansicht sogar evozieren solle. Ich teile jedenfalls nicht die Ansicht jener Phalanx von Leuten, die in den modern times mehr und mehr auf Sprachregression setzen (und sei’s nur, weil sie ein vorgebliches Bedürnis befriedigen möchten). – Daß es dafür einen breiten Markt gibt, steht außer Zweifel (und genausowenig ist suspekt, warum das der Fall ist …); aber nicht jede/r Schreibende ist gewillt, ihn zu bedienen, was übrigens im Literarischen immer schon so war. Neu ist daran allerdings die Verschiebung der Gewichte, denn es besteht kein Anlaß, zu glauben, der Part sprachlich/formal/stilistisch anspruchsloser Textproduktion würde nicht zunehmen.
Was damit angesprochen sein soll: Dein statement, „ich [stelle] mir vor, dass es vielen Lesern schwerfallen könnte, Deinen Text zu verstehen“, impliziert m.A.n. maximal zur Hälfte (ich denke sogar, nur bei viel gutem Willen in so hohem Maß ), daß ich „zu schwierig“ schreibe, weil ja eben, wie oben schon angedeutet, zum Lesen hin und wieder auch das Moment eine Horizonterweiterung treten darf … und wenn es dazu leserseitig grundsätzlich an Lust oder Bereitschaft mangelt, so kann das ja wohl kaum allein der je gelesenen Geschichte zur Last gelegt werden …
Um’s mal ein wenig zu analogisieren: Wenn ich Lust auf ein gutes *Boeuf Bourguignon *habe – man hat mir berichtet, daß das sehr wohlschmeckend sei --, kann ich entweder in den Supermarkt rennen und mir eine Packung davon aus der Tiefkühl-Anlage ziehen oder ich koche es selbst, auch wenn das für mich Aufwand bedeutet und dies oder jenes am Kochvorgang sogar erst angeeignet werden muß (der dritte Alternativstrang, nämlich ins Restaurent zu gehen, fällt hier weg, weil das auf kein Analogon zur Lesesituation hinausläuft). – Es mag sein, daß ich nach meinen Kochversuchen aufgebe, weil mir das Boeuf Bourguignon partout nicht gelingt (ggf. auch nach mehreren Anläufen nicht), obwohl ich mich darum bemüht habe – dann lebe ich damit und es ist ja auch kein Beinbruch. Ich halte allerdings nichts davon, immerzu nur (noch) in die Fertigspeisen-Regale von der Firma *Einheitsbrei *zu greifen … ab und an möchte ich’s schon noch wissen … also ob sich mein kulinarischer Horizont auch noch unter Inanspruchnahme eigenen Vermögens und Ausprobierens erweitern läßt. Gelingt es nämlich, ist es ja umso schöner: Man hat Selbstvertrauen befestigt, ggf. auch dies und das „gelernt“ und dann auch noch einen Genuß gehabt … – Beim Konsumieren von Fertigprodukten aus der großen Massen-Zentrifuge – mit immergleichen Grundstoffen für alles und jedes – ist das ja meistens eher nicht der Fall!
Beim Nachgucken wegen der von dir angesprochenen Tempuswechsel habe ich tatsächlich einen Fehler (Präteritum statt Präsens) gefunden. Herzlichen Dank für den Hinweis also. Die ansonsten von mir geprüften Wechsel (aber womöglich habe ich auch noch etwas übersehen beim Prüfen) im Tempus sind intendiert gesetzt, sie haben also eine Funktion im Text – so gibt es etwa (wenigstens in etwas ambitionierterer Literatur) ein Zusammenspiel von Inhalt und Form, das manchmal auch mit diversen Mitteln besonders signiert wird! --, gelegentlich erfordert es in der Geschichte sogar die consecutio temporum, mit mehreren Zeiten zu arbeiten.
Noch ein Hinweis, den ich schon in einer privaten Unterhaltung gegeben habe: Die Geschichte der Jägerin ist eine reine Fingerübung und nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. – Um bestimmte Charakere oder Situationen in größeren Arbeiten – hier meinem aktuellen Romanprojekt – vorzubereiten, greife ich öfters zu dem Mittel, erstmal eine kleine narrative Skizze zu entwerfen.
Die Jägerin ist keine Protagonistin des Romans, sie ist eigentlich nicht mal ein Charakter, sondern sie stellt eine Figur dar, sie repräsentiert eine Rolle im mythologischen Hintergrund, sagen wir einmal: in der Sphäre jener anthropologischen und religionswiss. Konstellation, die in der Mythologie von Typen wie Artemis oder einer ihrer Begleiterinnen aufs Tapet gebracht wird. Ich habe die Geschichte inzwischen „eingebaut“ und ich bin froh, sie in der kleinen Story vorstrukturiert zu haben, so ging die Integration dann recht gut vonstatten.
Der letzte Absatz in deinem Statement hat mir gut gefallen. Wenn ich ihn (hoffentlich) richtig verstehe, hat sich eine meiner Intentionen damit erfüllt. Die kleine Einlage am Schluß – mit Verweis auf Kripke – geht auf ein äußerst hart umkämpftes und sehr kontrovers diskutiertes Grundthema in der aktuellen philosophischen Debatte (Markus Gabriel hat dazu erst vor wenigen Wochen einen dicken Schmöker namens Fiktionen veröffentlicht): Nämlich die Frage betreffend, ob fiktionale Charaktere wie die Jägerin (oder Hamlet oder Bartleby usw.) tatsächlich existieren (oder eben nur scheinbar). Wie es aussieht, dreht sich langsam der Wind in den dazugehörigen epistemologischen und ontologischen Fragestellungen: Mehr und mehr damit professionell Befaßte – und nicht nur Philosophen --, neigen der von Saul Aaron Kripke sehr gut begründeten Ansicht zu, daß diese fiktChar tatsächlich existieren, also der Existenzbegriff, wie er bisher gang und gäbe war (v.a. von Frege, Russel und Quine vorgeprägt), nicht richtig gefaßt ist.
Insofern: Wenn du sagst, die Jägerin „existier…e] …] jetzt zumindest in meiner Geschichtenwelt“, kannst du das ‚zumindest‘ sogar weglassen! Denn nach den derzeit avanciertesten Reflektionen über Existenz ist die „Geschichtenwelt“ irreduzibel Teil unserer wirklichen Welt.
Nochmals Danke für deine Einlassungen!
Schöne Morgengrüße von Palinurus