Testleser instruieren

Hallo z’sam

Wie instruiert ihr eigentlich eure Testleser?

Ich habe da mit dem ersten Kapitel jetzt einige Versuche gestartet…

Vom ersten bekam ich das Kapitel zurück wie einen korrigierten Deutschaufsatz. Vor lauter Fokus auf Rechtschreibung und Grammatik ist dann die eigentliche Geschichte völlig untergegangen.

Aber man lernt ja. Dem zweiten habe ich gesagt, er braucht sich um Rechtschreibung nicht zu kümmern. Er soll den Text einfach lesen wie ein normaler Leser. Feedback danach: “Liest sich gut. Bei zwei oder drei Stellen war der Satzbau aber komisch.” - “An welchen Stellen denn?” - “Das weiß ich nicht mehr.”

Also weiter zum Dritten: “Lies es wie ein normaler Leser. Sollte Dir was störend auffallen, bitte sofort einen Strich an den Rand machen, damit Du die Stelle danach wieder findest und ich sie gezielt überarbeiten kann.”

Hat er vermutlich gemacht. Glaube ich zumindest. Als er fertig war, hat seine Tochter das Manuskript gefunden, und die Bilder, die Papa reingemalt hat, vervollständigt. Und ihr Papa hat sich derweil gefreut, dass seine Tochter fast zwei Stunden lang ruhig gespielt hat. Der Kugelschreiber war anschließend leer…

Inzwischen tendiere ich dazu folgenden Disclaimer auf Seite 1 zu drucken:

*Lies es wie ein normaler Leser. Rechtschreibkorrektur machen andere.

Sollte Dir was störend auffallen, bitte einfach einen Strich an den Rand machen, damit ich mir die Stelle anschließend anschauen und sie gezielt überarbeiten kann.

Ansonsten das Manuskript von Haustieren, Kindern, Kernkraftwerken, Feuersbrünsten und Sintfluten fern halten.

Und falls möglich, nicht im Klo abspülen, sondern anschließend wieder mit Feedback an mich zurück.

Unter der Bettdecke mit Taschenlampe lesen ausdrücklich erlaubt.

Mmh. Noch was übersehen?

Aw: Testleser instruieren

Hm. Sorry, aber das geht mir auch so. Wenn ich ständig durch Falschschreibungen aus der Geschichte gerissen werde, “fliege” ich aus der Geschichte und kann mich nicht auf die Story konzentrieren.

Genau deswegen sollte der Schriftsteller sein Handwerk auch so ehren, dass er sich um korrektes Deutsch bemüht - das ist, sorry, ein Muss, alles andere ein No-Go.

Man wird wohl keinen Lektor oder Schreibkurs-Dozenten finden, der einem etwas anderes sagt.

Aw: Testleser instruieren

Es liest auch jeder anders, davon abgesehen. Sogar professionelle Leser (=Lektoren). Dem einen fällt auf, dass eine Nebenfigur den Vornamen oder die Haarfarbe ändert, aber nicht, dass die Spannung im zweiten Viertel in den Keller geht, beim anderen ist es umgekehrt. Man sollte seine Testleser daher gut kennen und, ehe man ihnen ein Manuskript gibt, viel mit ihnen über Bücher diskutiert haben, die beide gelesen haben, um das Feedback überhaupt einschätzen zu können

Aw: Testleser instruieren

Ich lass das Manuskript zuerst von einer prof. Korrektorin lesen (ich hab es gut, da ich eine im Haus hab).

Die erste Korrektur ist dann schon so gut, dass ein normaler Leser kaum noch auf Fehler stößt und voll in den

Inhalt aufgehen kann.

Anschließend erstelle ich ein E-Book daraus. Das spart Papier und ist gut für die Umwelt. Dann gebe ich es an 3 bis 4 Testleser

(die behaupten dass sie es gerne lesen würden - leider alles Menschen, die mir wohlgesonnen sind).

Wenn ich das dann mit den verschiedenen Bemerkungen zurückbekomme, bilde ich mir natürlich meine eigene Meinung.

Letztendlich muss man ja selbst hinter der Geschichte stehen. Logik und Spannung sind wirklich das Wichtigste.

Ich mag absolut keine unlogischen Geschichten (bei mir geht dann automatisch die Spannung verloren).

Aw: Testleser instruieren

@Ulli:

Zu den “Fehlern” in meinem Manuskript: die meisten stellten sich als “nach der alten Rechtschreibung” heraus sowie als “kann man so oder so machen” (wobei ich mich an den Duden-Empfehlungen orientiere). Und einen Fehler hatte der erste Testleser durchgehend falsch angestrichen: den fehlenden Punkt am Ende der wörtlichen Rede, wenn ein Komma folgt. Aber sowas macht ein Manuskript am Ende komplett rot.

@AndreasE:

Aber besteht nicht die Gefahr einer gewissen Voreingenommenheit, wenn die Testleser primär aus dem engeren Freundeskreis stammen? Das sind ja oft Menschen, die mit der eigenen Denk- und Sichtweise extrem kompatibel sind, und die im Vorfeld möglicherweise schon etwas über das Projekt gehört haben (oder erzählst Du im Bekanntenkreis nicht, woran Du arbeitest?). Kommen da wirklich objektive Urteile heraus (siehe auch das Posting von Katze)?

Aw: Testleser instruieren

Natürlich kommen keine objektiven Urteile heraus; so etwas wie ein objektives Urteil über einen Text gibt es praktisch nicht (höchstens, was Rechtschreibung und Grammatik anbelangt, aber das sind die unwichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang).

Der Zweck von Feedback ist, einem zu helfen, die eigene Sicht auf seinen Text zu verändern. Sprich, ihn weniger so zu lesen, wie man ihn gemeint hat, und mehr so, wie er wirklich dasteht.

Übrigens habe ich nicht gesagt, Testleser müssten aus dem Freundeskreis stammen. Ich habe nur gesagt, man sollte mit ihnen schon mal über Bücher diskutiert haben; das ist was anderes. Was einem nämlich nicht weiterhilft, sind Leser, die sowieso von allem begeistert sind, was man macht (die sprichwörtliche “eigene Mutter” etwa). Was man braucht, sind konträre Ansichten, weil nur die einen dazu bringen, den eigenen Blickwinkel zu ändern. Aber wenn man einen Krimi geschrieben hat und ihn jemandem gibt, der nur Liebesromane gelten lässt, dann wird er dem Manuskript vor allem vorwerfen, kein Liebesroman zu sein was einem in Bezug auf einen Krimi nicht weiterhilft, einen aber mächtig durcheinanderbringen kann, wenn man das nicht weiß.

Aw: Testleser instruieren

Da habe ich mich von Deiner Aussage “man sollte seine Testleser gut kennen” aufs Glatteis führen lassen. :smiley:

Zum Rest d’accord. Sehe ich auch so.