Zumindest wenn es um meine Blogartikel geht, ist meine Mama glücklicherweise eine sehr konstruktive Kritikerin. Aber ich verstehe den Punkt.
Mein Wunsch nach “nicht professionellen” Testlesern ist vermutlich meinem eigentlichen Beruf geschuldet. In der Softwareentwicklung hat sich in den letzten Jahren eine sehr stark iterative Vorgehensweise etabliert. Nach dem Schema: Build-Measure-Learn-Rebuild lässt man neue (digitale) Produkte an jedem Punkt des Schaffensprozesses sowohl von professionellen Testern als auch von Vertretern der potenziellen Zielgruppe testen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was funktioniert und was nicht.
Für mich ist der Entstehungsprozess bei Software und bei Romanen durchaus vergleichbar. Man startet mit einer groben Idee und entwickelt diese Stück für Stück weiter. An manchen Stellen wird verdichtet, manche Stellen werden entfernt und einige Stellen müssen komplett überarbeitet werden. Die einen schreiben Source Code und die anderen eine Geschichte. Aber es handelt sich bei beidem um einen hoch kreativen und komplexen Prozess. Über den Erfolg entscheiden am Ende die Leser/Nutzer.
Natürlich ist ein Lektorat extrem nützlich (das habe ich eindrücklich an den Rückmeldungen zu meinen ersten Kapiteln gemerkt) und ich würde auf keinen Fall drauf verzichten. In der Softwareentwicklung heißt die Sicherung der Mindestqualität übrigens Quality Assurance und ist zentraler Bestandteil eines jeden professionellen Entwicklerteams. Und natürlich muss man die Rückmeldungen von Laien ganz anders auswerten. Ein Laie gibt ganz andere Arten von Rückmeldungen, als ein Profi. Er wird dir nicht sagen, dass die Motivation des Charakters in Kapitel 17 aufgrund seiner Interaktion mit dem Antagonisten in Kapitel 3 nicht plausibel ist. Oder dass es im 15. Jahrhundert in Deutschland keine Kartoffeln gab.
Und trotzdem kann man m.E. wahnsinnig viel daraus lernen, wenn man andere Menschen früh in den Schaffensprozess einbezieht. In meinem beruflichen Umfeld nennt sich die Methodik Design Thinking. Dabei versucht man in einer sogenannten Empathie-Phase herauszufinden, wie die Nutzer des eigenen Produktes auf bestimmte Elemente reagieren. Dass zum Beispiel die Hälfte der Testleser, das Manuskript nicht zu Ende lesen, wäre bereits eine extrem wertvolle Information. Weil, wenn selbst Deine Mama keine Zeit hat, um die ersten 250 Seiten, deines Erstlingswerkes zu lesen, dann ist die Geschichte vielleicht einfach nicht interessant genug. Und dann wird vermutlich auch kein teures Lektorat helfen.
Ich weiß, das ist für viele hier vermutlich eine sehr verkopfte Herangehensweise. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Autor*innen sich eher als Einzelkämpfer sehen, die allein mit ihrem Schreibwerkzeug und ihrer Kreativität bewaffnet so lange an der Geschichte feilen, bis sie das in ihren Augen perfekte Ergebnis auf die Welt loslassen können (oder zumindest erstmal auf Gleichgesinnte). Und das ist offensichtlich ja auch eine durchaus erfolgreiche Vorgehensweise. Viele Bestseller sind vermutlich genauso entstanden. Mir hilft es aber, mich mit anderen Leuten über meine Ideen auszutauschen. Reaktionen auf meine ersten Entwürfe zu erhalten (auch wenn diese aus handwerklicher Sicht vielleicht gar keinen Mehrwert bieten). Selbst so lapidare Kommentare wie: “Person XY fand ich dann irgendwie langweilig!” oder “Kapitel Z war mega lustig!” würden mich motivieren herauszufinden, woran das liegen könnte.
Letztendlich werde ich (gemessen an meinem bisherigen Aufwand) am Ende 400 bis 500 Stunden in dieses Manuskript investiert haben. Je eher ich ein Gefühl dafür bekomme, ob die Idee funktionieren kann, welche Charaktere Interesse wecken und welche Sachverhalte unplausibel sind, desto höher ist die Chance, dass diese 500 Stunden nicht “nur” eine seeehr aufwendige Schreibübung werden. Denn auch wenn mir das Schreiben wahnsinnig viel Spaß macht, so habe ich doch das Ziel, am Ende etwas vorzulegen, was bei den Lesern etwas auslöst. Ja, ich mache das für mich. Aber nicht für die Schublade (und ich würde behaupten, dass alle, die über eine Veröffentlichung nachdenken und etwas anderes sagen, schwindeln). Deswegen würde ich gerne so früh wie möglich erfahren, wie die potenziellen Leser darauf reagieren. Daher bin ich tatsächlich bereit Probedrucke zu bezahlen, auch auf die Gefahr hin, die Hälfte nicht zurückzubekommen.
Letztendlich sehe ich das so: Mein Geld ist nicht wertvoller als meine Zeit. Ich bin bereit Stunden um Stunden in dieses Vorhaben zu investieren, dann sollte ich gegebenenfalls auch bereit sein, ein bisschen Geld auszugeben (die Investition in Papyrus z.B. habe ich keine Sekunde bereut), wenn es eine realistische Chance gibt, dass dadurch das Endergebnis besser wird.