Hallo zusammen,
die eigenen Texte sind bekanntlich immer am schwersten zu redigieren. Die Stilanalyse finde ich äußerst hilfreich - ich habe das Gefühl, daß sie mir nicht nur an so mancher Stelle die Augen öffnet und unmißverständlich klarmacht: Das war ein Füllwort - raus damit!, sondern daß ich durch die Arbeit mit der Analyse auch viel fokussierter auf meinen eigenen Text blicke, auch auf Stellen, die das Programm gar nicht anmarkert.
Was ich daraus mache: Eine Mischung aus Umsetzung der Empfehlungen, bewußtem dagegen-Entscheiden und etlichen Änderungen, die mir dank der Stilanalyse eingefallen sind, die sie mir aber nicht vorgeschlagen hat. Und genau dazu interessiert mich Eure Meinung: Nehme ich zu viel an - oder zu wenig? Sind meine Gründe beim dagegen-Entscheiden sinnvoll? Haben meine weiteren Änderungen dem Text gutgetan, oder war es zu viel des Guten?
Was mich ebenso interessiert: Vielleicht hat ja der eine oder andere ebenfalls Lust, eine kurze Passage hier beispielhaft durchzuredigieren und zu erklären, warum diese Änderung und jene nicht.
Das versuche ich nun einmal für eine Passage aus meinem Buch. Eines will ich allerdings vorwegschicken: Sie entstammt einer Phase ganz vom Anfang, vor Jahren, und ich bin überzeugt davon, daß ich inzwischen deutlich besser schreibe (zum Glück). Zwischen der Entstehung dieser Passage und heute liegen nicht nur 400 Seiten Roman, sondern auch mehr als zehn Jahre tägliches Schreiben im Beruf. Alle 50.000 Wörte eben… Dennoch habe ich mich ganz bewußt für diese Stelle entschieden. Hier, vorne im Buch, werde ich am meisten überarbeiten müssen; hier ist also Feedback am hilfreichsten.
Jetzt aber los, hier die alte Stelle (ja, vieles ist offensichtlich schlecht; seitdem habe ich mich verbessert!) - vor der Überarbeitung:
Ein Klick, und die Schublade sprang auf. Mizú kicherte, als ihr ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Fremd – und doch vertraut. Das kitzelte. Sie nieste. Dann, immer noch mit geschlossenen Augen, tastete sie in der Schublade nach … Nein. Sie fühlte einfach. Das Holz war kühler hier, wo die Sonne nicht hin geschienen hatte. Unter ihrer Hand erwärmte es sich. Da! Da war etwas! Sie konnte es unter ihren Fingern spüren. Da war ein Muster im Holz! Eine Schnitzerei? Aber hier sah sie doch niemand! Was für ein merkwürdiger Schreibtisch, dachte Mizú. So ganz nach dem Geschmack von Großvater. Mit beiden Händen ertastete sie jetzt die Schnitzerei und konzentrierte sich ganz auf das, was sie fühlte. Plötzlich atmete sie überrascht ein, als ihre Hände sich wie von selbst übereinander schoben und in eine Vertiefung glitten, die wie eine große Hand geformt zu sein schien. Versuchsweise drückte sie ihre Hände fest hinein – und sprang erschrocken ein Stück zurück, als ein Geräusch von gegenüber ertönte, das sie nicht zuordnen konnte.
Die Änderungen im Detail:
*Ein Klick, und die Schublade sprang auf.
*–> Mit einem leisen Klicken sprang die Schublade auf. **
Hier fand ich, daß der Klick nicht als Anschluß zum vorherigen Satz paßte, und das Klicken statt des Klicks löst bei mir mehr Ohrenkino aus.
*Mizú kicherte, als ihr ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Fremd – und doch vertraut. Das kitzelte. Sie nieste. *
→ Ein seltsamer Geruch stieg Mizú in die Nase. Fremd – und doch vertraut. Ein goldener Faden, der aus dem Boden der Lade aufstieg.
In der Szene zuvor wird beschrieben, wie Mizú ganz in diesem Moment aufgeht; da passen Kitzeln und Kichern nicht rein. Stattdessen die Verbindung von Geruch und Tastsinn.
Dann, immer noch mit geschlossenen Augen, tastete sie in der Schublade nach … Nein. Sie fühlte einfach. Das Holz war kühler hier, wo die Sonne nicht hin geschienen hatte. Unter ihrer Hand erwärmte es sich. Da! Da war etwas! Sie konnte es unter ihren Fingern spüren. Da war ein Muster im Holz! Eine Schnitzerei? Aber hier sah sie doch niemand! Was für ein merkwürdiger Schreibtisch, dachte Mizú. So ganz nach dem Geschmack von Großvater.
→ Sie spürte ihm mit den Fingern nach. Das Holz war kühler, wo die Sonnenstrahlen es nicht berührt hatten. Unter ihrer Hand erwärmte es sich.
Ihre Fingerkuppen ertasteten ein Muster. Eine Schnitzerei?
Hier bin ich an vielen Stellen der Stilanalyse gefolgt und habe die überflüssigen zeitlichen Verbindungen, Konjunktionen und Hilfsverben entfernt. Was mich außerdem gestört hat: Ich hatte versucht, Mizús Entdeckung dem Staunen eines Mädchens von fünf, sechs Jahren entsprechend zu schreiben, finde das aber anstrengend und unschön zu lesen. Also: raus.
Mit beiden Händen ertastete sie jetzt die Schnitzerei und konzentrierte sich ganz auf das, was sie fühlte. Plötzlich atmete sie überrascht ein, als ihre Hände sich wie von selbst übereinander schoben und in eine Vertiefung glitten, die wie eine große Hand geformt zu sein schien. Versuchsweise drückte sie ihre Hände fest hinein – und sprang erschrocken ein Stück zurück, als ein Geräusch von gegenüber ertönte, das sie nicht zuordnen konnte.
→ Mit beiden Händen erkundete sie die Linien der Schublade, als folgten ihre Finger einer für sie geschriebenen Geschichte. Ohne ihr Zutun schoben ihre Hände sich übereinander und glitten in eine Vertiefung, die sie umfingen wie Großvaters Hände die ihren beim Pfannkuchenbacken. Instinktiv drückte sie zu – und sprang erschrocken ein Stück zurück, als ein Geräusch von der Wand gegenüber ertönte.
Auch hier: raus mit Konjunktionen und Zeitangaben; show, don’t tell. Das “wie von selbst” hatte die Stilanalyse moniert; das “ohne ihr Zutun” ist meine Idee. (Der Verweis aufs Pfannkuchenbacken bezieht sich auf die Szene unmittelbar zuvor.) Das Adverb erschrocken habe ich gegen den Rat der Stilanalyse stehenlassen: Erschrocken ist genau das, was sie in diesem Moment ist.
Zum Abschluß an einem Stück die alte Stelle nach der Überarbeitung:
Mit einem leisen Klicken sprang die Schublade auf. Ein seltsamer Geruch stieg Mizú in die Nase. Fremd – und doch vertraut. Ein goldener Faden, der aus dem Boden der Lade aufstieg. Sie spürte ihm mit den Fingern nach. Das Holz war kühler, wo die Sonnenstrahlen es nicht berührt hatten. Unter ihrer Hand erwärmte es sich.
Ihre Fingerkuppen ertasteten ein Muster. Eine Schnitzerei? Mit beiden Händen erkundete sie die Linien der Schublade, als folgten ihre Finger einer für sie geschriebenen Geschichte. Ohne ihr Zutun schoben ihre Hände sich übereinander und glitten in eine Vertiefung, die sie umfingen wie Großvaters Hände die ihren beim Pfannkuchenbacken. Instinktiv drückte sie zu – und sprang erschrocken ein Stück zurück, als ein Geräusch von der Wand gegenüber ertönte.
Ist das gut genug? Wie geht es noch besser? Ich bin gespannt auf Eure Einschätzung und Eure Ideen!
Viele Grüße
Buchling