Ich vermute, dass diese Art des Erzählens den Leser auf Distanz zu den geschilderten Erlebnissen halten würde. (Oder ihn spätestens ab der 5. neuen Figur auf Distanz bringen würde.) So wie ich dich verstehe, würde ich als Leser abwechselnd mit biografischen Infos und kurzen traumatischen Erlebnissen verschiedener Personen „bombardiert“, ohne eine dieser Personen näher zu kennen. Dadurch würde verhindert, dass ich mich mit den Figuren identifiziere, mich tief auf eine dieser Personen einlasse, mich in sie hineinversetze.
Die Frage wäre dann, ob diese Distanz dein Ziel ist; ob es das ist, was du erreichen willst.
(Man findet durchaus literarische Vorbilder für Distanz, mir fällt da sofort Bertold Brecht ein, dessen erklärtes Ziel die „kritische Distanz“ der Zuschauer vom Dargestellten gewesen war. Verfremdungseffekt – Wikipedia)
Du machst das schon. Es ist deine Geschichte und du schreibst sie. Wer ( viel ) fragt, bekommt viele Antworten.
Ich wünsche dir ein gutes Vorankommen und viel Spaß dabei.
8 Charaktere sind nicht zu viel.
Bei Deinem Post dachte ich direkt an Stephen Kings „Es“.
Mike Hanlon, Bibliothekar von Derry, ist der auktoriale Ich-Erzähler. Er erzählt die Geschichte, ist gleichzeitig Teil der Geschichte.
Nach kurzer Einführung werden die weiteren 6 Hauptpersonen, Bill Denbrough, Ben Hanscom, Beverly Marsh, Stan Uris, Richie Tozier und Eddie Kaspbrak, eingeführt.
Sind dann schon mal 7 Hauptpersonen.
Nebenbei werden dann die Antagonisten eingeführt usw.
Lies Dir „Es“ durch, das schult im Umgang mit erhöhter Anzahl von Protagonisten in einem Roman. Und ist leichter zu lesen als Thomas Mann oder Fjodor Michailowitsch Dostojewski.
EDIT:
Ein Schriftsteller, der noch länger im Geschäft ist als Stephen King, Dean Koontz, veröffentlichte im gleichen Jahr wie „ES“ (1986) das Buch „Strangers“ (dt. „Schwarzer Mond“, Heyne).
Hier tummeln sich ähnlich wie in „ES“ mehrere Hauptpersonen, sechs an der Zahl. Anders als in „ES“ finden die Protagonisten erst im Laufe der Erzählung zueinander. Hier ist die Erzählperspektive „auktorial“, jedoch ohne Ich-Erzähler.
ja, so würde ich auch vorgehen. Das, was Du jetzt schreibst ist ja nicht die Endfassung. Schreibe doch erst einmal darauf los, du wirst bald merken, wie die Geschichte am besten „zündet“.
Grundsätzlich: Im Zweifelsfall erstmal schreiben und dann drüber nachdenken! So hast du ein viel besseres Bild und kannst dir auch präzisere Rückmeldung einholen.
Zum Thema ES und Stephen King:
Autoren wie King, Sanderson oder Moers können sich viele Dinge leisten, die einem Neuautoren oder jemandem der weniger bekannt ist auf die Füße fallen würden. Bei King vertrauen die Menschen darauf, dass das Buch gut wird. Wenn man diesen Vertrauensvorschuss nicht hat, können langsame Starts ein Buch leider schnell töten.
@ Languid_Llama: Das stimmt! War aber nicht mein Ansatz. Der lautet: lerne von den Besten. Schlechte Literatur gibt es schon genug.
Liest man bereits etablierte Autoren, kann man sehr viel dabei lernen. Rhytmik, Schreibfluss, Personencharakterisierung, Umgebung etc.pp.
Viel lesen kann das eigene Schreiben positiv beeinflussen. Kings ES zu lesen bedeutet nicht King zu werden. Schön wär’s.
Ich habe deinen Ansatz verstanden und halte ihn ebenfalls für sehr gut, fand es aber wichtig abzugrenzen, dass wir vor dem Leser nicht alle gleich sind und man sich dessen bewusst sein sollte.
Ich frage mich: Warum willst du auf Biegen und Brechen direkt alle Charaktere vorstellen? Warum gehst du es nicht ruhig an und lässt alle nach und nach wohl überlegt dazukommen? Wäre m.E. viel harmonischer. Mich dünkt, du liebst alle Figuren gleich und kannst dich daher nicht für die entscheiden, die die „erste Rolle spielen“ soll Oder nicht?
Liebe Grüße
Rudi
Am besten du gehst noch einmal zu deinem Bücherregal und ziehst einige deiner guten Genre-Autoren hervor. Dann analysierst du, wie die das machen, und überlegst, wie so etwas in deinem Text ähnlich oder anders aussehen könnte.
Wenn du über Papyrus Autor verfügst, dann können dir deine ausgefüllten Charakterkarten, das Denkbrett und der Zeitstrahl zuerst einmal bei deiner Textstrukturierung und beim Schreiben weiterhelfen.
Auch ein gutes Buch zum Thema „Schreiben lernen“ oder ein Schreibkurs könnten sich dir nebenher als nützlich erweisen.
Je mehr du vor dem Romanschreiben schon darüber weißt, desto weniger musst du später in deinen Text eingreifen.
Viel Spaß und viel Erfolg beim Schreiben. Ww
Ganz unmöglich ist es sicher nicht.
Die Schwierigkeit sehe ich darin, die Spannung zu halten und die Stränge zusammenzuführen. Das kann schnell unübersichtlich werden.
Bei Game of Thrones bzw. A Song of Ice an Fire sind noch mehr als 8 Protagonisten in der Story. (Da weiss man nie so genau, wer ist jetzt Protagonist, wer Antagonist…)
Kommen die denn in der Geschichte dann miteinander vor, interagieren sie?
Ausprobieren. Schlimmstenfalls hast du Charakterstudien als Basis für dein Buch erarbeitet, was den Figuren Tiefe gibt. Bestenfalls…
‚Es‘ von Stephen King funktioniert großartig mit seinen 7 Hauptpersonen plus diversen anderen.
Dazu muss man aber schauen, wie es aufgebaut ist:
Die Sache beginnt damit, dass Bills kleiner Bruder Georgie von einem seltsamen Wesen in die Kanalisation gezogen wird. Danach kommen ein paar Zeitsprünge, in denen klar wird, dass in der kleinen Stadt alle 27 Jahre schreckliche Dinge geschehen.
Damit ist das Terrain perfekt für die Haupthandlung vorbereitet (soll heißen, das Interesse des Lesers geweckt), die in Kapitel 3 auf Seite 60 beginnt. Es ist mit ‚sechs Telefonanrufe‘ überschrieben, und darin werden nacheinander die Protagonisten vorgestellt.
Jetzt, wo man unbedingt wissen will, was da in Derry eigentlich los ist, bekommt man also 7 neue Figuren vorgesetzt und merkt anhand ihrer Reaktionen auf das Telefonat sofort, oops, die stecken bis an die Ohren in der Story drinne. Also unbedingt weiterlesen und in Erfahrung bringen, was genau da passiert ist …
Keine Rede von wegen nichts hochgradig Aufregendes in den ersten Kapiteln, im Gegenteil. Es ist von Anfang an richtig spannend, und in diese Handlung werden die Protagonisten eingebettet.
Auf diese Weise kann man auch wesentlich mehr Figuren ins Rennen schicken, siehe George R.R. Martin, aber man muss es halt können. Einfach ist es nämlich nicht.
Das ist der Punkt. Ich würde es nicht wagen mich gleich der selben Mechanismen wie die Oberliga zu bedienen. Zumindest nicht, wenn ich erwarte nicht frustriert aus der Sache rauszukommen.
Oder ich muss mich fragen: kann ich damit umgehen, wenn mir nach viel Arbeit alle sagen, dass es langatmig und öde ist…?
Das kann dir sowieso immer passieren. Ich würde es mal jemandem zu lesen geben, bevor ich die 8 Kapitel fertig habe. Vielleicht, nachdem ich 3 habe. Dann kann der Testleser einschätzen, ob er noch auf die nächsten 5 Kapitel Lust hat.
Was wäre das Leben ohne Herausforderungen!
Aber im Ernst, wenn ich eine tolle Idee hätte und der festen Überzeugung wäre, dass es genau so einen Anfang brauchen würde (und ich nicht mehr der allerblutigste Anfänger bin), würde ichs zumindest mal versuchen. In die Tonne treten kann mans ja jederzeit.
Bei dieser Methode wäre meine Hauptsorge allerdings, ob ich mich nicht in kürzester Zeit restlos verzetteln und den Überblick verlieren würde.
Ich habe in meinem Buch 4 Protagonisten aus deren Perspektive abwechselnd personal erzählt wird. Das geht noch ganz gut, finde ich. An mehr würde ich mich allerdings nicht rantrauen. Es ist auch so, dass 2 davon ganz eindeutig den Schwerpunkt bilden und die anderen beiden Perspektiven benötige ich nur für das was außerhalb des „Sichtfeldes“ der Haupt-Protas passiert aber trotzdem für den Leser wichtig ist. Ein reines „Vorstellen“ der Charaktere habe ich unterlassen. Das erste Kapitel ist noch vergleichsweise ruhig und wir lernen die beiden Hauptcharaktere kennen (wenn auch erst einmal nur aus der Perspektive von einem von ihnen), dann werfe ich in Kapitel 2 und 3 die anderen beiden Protas in tiefes Wasser und kehre dann in Kap 4 zu den ersten beiden zurück, diesmal aber aus der anderen Sicht.
Insgesamt finde ich, dass das Schreiben aus wechselnden Perspektiven durchaus seinen Reiz und auch seine Vorzüge hat. Zum Beispiel kann man prima Cliffhanger einbauen. Wie bei allem gilt aber wohl, dass die Dosis das Gift macht.
Thomas Manns „Buddenbrooks“ erschien 1901, da war er gerade mal 26 Lenze alt. 1929 Nobelpreis für Literatur. O.k, diese Latten werde ich reißen! Aber darunter mache ich’s nicht, Lebenszeit zu knapp, ich zu faul. Mindestens 8 Protagonisten, halbseitige Schachtelsätze, komplexe, nicht zugängliche Handlung - wenn überhaupt vorhanden. Unter skandinavischem Pseudonym geschrieben - am besten isländisch, kleines Land, noch kleineres Volk, das erzeugt direkt Beschützerinstinkte. Jetzt muss ich nur noch einen Platz in der Wohnung für den Nobelpreis finden. Hurz!!!
Genau, „Hurz, das Lamm!“
Vor 42 Jahren sagte mir ein Assistent einer Sendeanstalt im Süden, er werde den Assistentenpreis gewinnen. Ob dieser Arroganz fragte ich ihn, wie er denn wissen könne, gegen die doch sehr starke Konkurrenz zu gewinnen? Er sagte: „Ich habe das richtige Thema, ich begleite in meiner Reportage eine schwerkranke Frau!“
Er gewann den Preis…
Einfach mal die Preisträger der letzten Frankfurter Buchmessen anlesen - und verstehen!