Sprachgefühl

Hallo liebe Forumsmitglieder,

ich hoffe, jeder hatte einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Ich möchte mir gerne euer Sprachgefühl ausborgen. Bei dem Wort, um das es geht, handelt es sich um ein Nomen agentis, das im Zuge der feministischen Linguistik aus seinem sexlosen Urzustand gehoben wurde. Ein Polizist war bis vor wenigen Jahren ein Begriff, der eine Person beschrieb, die bei der Polizei arbeitete. Das biologische Geschlecht hatte nichts mit diesem Begriff zu tun.

Meine Frage an euch: Erlaubt euer Sprachgefühl den folgenden Satz? Oder würdet ihr über so einen Satz im Buch stolpern?

„Sie war ein Versager.“ (vs. Sie war eine Versagerin)

Freue mich über eure Antwort.

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Ich nicht. Ich fühle mich aber auch bei “Hallo Kollegen” angesprochen. Wahrscheinlich gehöre ich zu der weiblichen, emanzipierten Minderheit, der sowas egal ist.

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Hallo zusammen,

ich glaube, was du hier beschreibst, ist die neumodische Variante, um die sich alle ohne Sinn und Verstand einen Kopf machen.
Und sogar die Politik am Rad dreht.
Er, Sie, (Es) … Nein. Bei dem Thema rege ich mich nur wieder auf. Lassen wir das.

Um auf deine Frage zurück zu kommen:
Bei der Formulierung würde ich ersteres bevorzugen, was aber wieder mit dem Schreibstil zu tun hat.
Ich bin eine Frau und mir geht dieses Kleinkarierte ehrlich gesagt auf die Nerven.

Falls du noch einen Satz vorne dran hast, würde auch reichen, wenn du nur: *ein Versager oder nur Versager *nimmst. (Text kürzen.)
Bringt manchmal mehr, als alles andere.

LG Tessley

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Wobei wir bei Dialogen natürlich beachten müssen, wie der Charakter denn diese Diskussion sehen würde. Fällt mir nur gerade so ein.

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@NinaW: Du hast recht. Mit den beiden Versionen kann die Einstellung eines Sprechers zu seiner Umwelt ausgedrückt werden. Ich verwende oft bewusst Präpositionen, die seit dem Erscheinen von Bastian Sticks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ falscherweise mit dem Genitiv stehen, bei einigen Figuren mit Genitiv und bei anderen mit dem Dativ.

@Tessley:
Ich gehöre auch zu den Menschen, die sich über die unnötige Verkomplizierung der Sprache ärgern. Es gibt eine Menge Arbeit für Feministinnen (gleiches Gehalt für gleiche Arbeit, Altersarmut bekämpfen, zu wenig Kindergarten/Kita-Plätze, etc. Die Liste ist lang und wir kennen sie alle) – Sprache gehört nicht dazu. Es kann durchaus Sinn ergeben, durch Sprache auf etwas aufmerksam zu machen. Als die ersten feministischen Linguistinnen in wissenschaftlichen Arbeiten bewusst das Suffix -in anhängten, übte man mit Sprache Kritik an einem System, in dem Männer (oft) bevorzugt wurden. Leider wurde mit einer guten Sache etwas über das Ziel hinausgeschossen. Genus ist eben nicht Sexus.

Mein Sprachgefühl empfindet „Sie war eine Versagerin“ sogar als schlechtere Variante. Ich denke, da das Suffix „in“ unnötig ist. Es ist eine unnötige Wiederholung. Das Pronomen „sie“ zeigt bereits, dass es sich um eine Frau handelt

Dann bin ich hier wohl die einzige weibliche Ausnahme mit meiner Meinung :wink:
Ich hätte schon “Versagerin” geschrieben (und lieber gelesen) lange bevor diese Gender-Diskussionen die heutigen Ausmaße annahmen. Schließlich gibt es im Deutschen - anders als in anderen Sprachen - die weiblichen Formen der Substantive, dann dürfen die wohl auch angewendet werden.

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Ich möchte dem zustimmen. Oft habe ich das Gefühl, dass in den Medien wie auf einer Bühne Scheinkämpfe ausgefochten werden, die an den wirklichen Problemen vorbei gehen.
Ich erinnere mich meiner Fassungslosigkeit, als ich vor Jahren von einem Auslandseinsatz aus Uganda zurückkam, wo Frauen tatsächlich um ihre elementarsten Rechte zu kämpfen hatten. Das Makabre war, dass der Witz, was denn den Unterschied zwischen einer afrikanischen Frau und einem afrikanischen Esel sei - Antwort: Die Frau trägt mehr und läuft schneller, eben KEIN Witz war, sondern die brutale Wahrheit. Aus diesem kulturellen Umfeld kommend, erlebte ich fassungslos, dass Feministinnen in Deutschland gerade diskutierten, ob das Verkehrszeichen für den Fahrradweg nicht ein Damenfahrrad sein sollte…
Die sprachlichen Grabenkämpfe erscheinen mir oft ähnlich belanglos. Begriffe haben meist historische Ursprünge, die verstanden werden sollten. Wie “Frau” vom althochdeutschen “Frouwa” abgeleitet wurde (Herrin) und in der Bezeichnung stets Hochachtung ausdrückte.

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Ich hätte auch, ohne bewusst darüber nachzudenken, “Versagerin” geschrieben (genauso wie “Gewinnerin”, versteht sich) – obwohl ich zu denen gehöre, die vom ganzen “‘Studierende’ statt ‘Studenten’”-etc.usw.pp.-Wahnsinn mächtig angenervt sind. Ich sehe vor meinem geistigen Auge beim Wort “Studierende” genauso viel oder wenig Frauen dazwischen wie beim Wort “Studenten” – falls es mehrheitlich anders bin, will ich weiß Gott kein ignoranter Sack sein und sehe die Argumentation ein, doch wie gesagt: Bei mir macht es keinen Unterschied.

Ärztin, Polizistin etc. würde ich bei ausschließlich Frauen, ob Einzahl oder Gruppe, auch immer weiblich schreiben – hier bin ich auch nicht wirklich der Meinung von Hanna, dass das erst durch die feministische Lingustik seit einigen Jahren mehr “erzwungen” wurde. Mich nervt halt nur wie gesagt der Gendersternchen-Binnen-I-Irrsinn bei Gruppen von Studenten, Radfahrern und was weiß ich.

Ich denke, wir sollten die historisch gewachsenen Begriffe akzeptieren wie sie sind. Nicht überall, wo jemand eine Arbeit ausführt muss es zu erkennen sein, ob der Bearbeiter männlich oder weiblich ist. Manchmal glaube ich, dass das sogenannte „Gender*Sternchen“ von Leuten erfunden wurde, die ein Alibi zur Gleichberechtigung brauchten, aber nicht wirklich ihre Denkweise ändern wollten. Bei wirklicher Gleichberechtigung brauchen wir diese sperrige Konstruktion nicht.
Beispiel: Bürokauffrau vs. Bürokaufmann (gibt es diese Berufsbezeichnung überhaupt? Ich habe sie im wirklichen Leben noch nie gehört.) Haben die Beiden wirklich die gleichen Aufgaben, oder wird nicht viel öfter die „Bürokauffrau“ zum Kaffeekochen und Putzen abgestellt, als der Bürokaufmann und hört sich Bürokaufmann nicht eher nach Vorgesetzter an, als die weiblich Entsprechung?
Allerdings kann, wie oben angeführt, der Zusatz -frau oder -in erst recht zur Entrechtung der Frau beitragen (Lohn/Gehalt, niedere/höhere Arbeit - in den Augen des Chefs -). Ansonsten: siehe unten im voreingestellten Teil.
Genau so findet man es auch in meinen Texten , wenn es hineinpasst. (Ich würde also [FONT=Book Antiqua]„Sie war ein Versager.“ schreiben.)
meint Berti

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Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Satz als wörtliche Rede im gesamten so schreiben würde.
“Sie versagt immer”, oder “Sie hat versagt. Wie üblich.” würde mir besser gefallen und das Thema löst sich damit in Luft auf.

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@monaL: Es wird in der Diskussion um das „richtigem Deutsch“ immer wieder vergessen, dass Sprachgefühl subjektiv ist. Die Einzige bist du überhaupt nicht.:slight_smile: Es gibt auch andere, die *Versagerin *bevorzugen.

@NinaW: Tja, damit wäre die Sache erledigt.:slight_smile: Es war übrigens keine wörtliche Rede. Ich habe den Satz einfach so in Anführungszeichen gesetzt. Als wörtliche Rede wäre er wirklicht etwas steif.

Wie gesagt, es ging ja nur darum, ob dieser Satz überhaupt noch als richtig empfunden wird. Bis jetzt findet die große Mehrzahl, der von mir befragten, diesen Satz als richtig. Niemand ist für absolut falsch. Einige, wie MonaL und Lars666, tendieren eher zur Variante mit -in.

Nach einer ersten Analyse kann ich zusammenfassen: Über diesen Satz wird wahrscheinlich niemand in einem Buch stolpern. Interessant ist, wenn wir diesen Versuch in zehn oder zwanzig Jahren noch einmal durchführen. Ich nehme einmal stark an, dass sich dann das Verhältnis von Für und Wider umgekehrt hat.

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Für mich ist der Satz

"Sie war ein Versager.“ (vs. Sie war eine Versagerin)

ein Framing, das insofern ehr eine Aussage über den “Framenden” als über den “Geframten” und über die Beziehung dieser beiden Personen macht. Offensichtlich geht es darum, jemanden abzustempeln. (Falls es sich bei den beiden um die selbe handeln sollte, ändert sich daran wenig!)

Wie es Nina schon sagte …

offenbart die Wahl der Form “Versager” oder “Versagerin” weiterhin Eigenschaften der Protagonisten resp. ihrer Beziehungsstruktur.

Der Satz : “Sie hat versagt” kann im Gegensatz aber auch als Einstieg in eine Erörterung dienen, zumindest, wenn er nicht mit dem Nachsatz “Wie üblich.” verbunden ist.

Nach meinem Sprachgefühl ist derartiges Framing, an der Stelle, wo es geschieht idR unangemessen- egal, welche Form benutzt wird.

mfg os|<ar

Warum? Es kann doch auch etwas - ggf. Negatives - über den Framer aussagen und eben diesen Erzähler ins schlechte Licht rücken.
Vielleicht stellt sich ja gerade der Erzähler als Miesepeter heraus, worum es dann in dem Buch geht.

Es kommt auf den Zusammenhang an, aber im ersten Anlauf würde ich eher „Sie war eine Versagerin“ schreiben. Nicht, weil ich Anhänger des Genderns bin (bin ich nicht, im Gegentum), sondern weil es der präzisere Ausdruck ist, der zudem nicht mit ästhetischen Nachteilen erkauft wird (anders als das, was uns von „Linguisierenden“ gern zugemutet wird).

Ich verstehe auch nicht, warum der Zusatz „-in“ immer nur als diskriminierend verstanden wird: Es ist ein Suffix, um die Weiblichkeit einer Person eindeutig zu bezeichnen, während es einen entsprechenden Suffix für männliche Personen nicht gibt; wenn man Männer eindeutig bezeichnen will, muss man ein sperriges Adjektiv verwenden („männliche Patienten“ vs. „Patientinnen“). Wären Männer gesellschaftlich benachteiligt, würden sie sich wahrscheinlich darauf stürzen, sowie auf die ungeheuerliche Tatsache, dass alle (!) Plurale(!!) mit „die“ gebildet werden (!!!): Gilt sogar für „die Machos“!!! :rage::rage::rage:

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Mir ist es im Prinzip Wurst, ob ein Bearbeiter männlich oder weiblich oder sonst was ist. Ich zolle allen den gleichen Respekt. Mich stört es nur, dass manche tun, als ob es wer-weiß-was für ein Fortschritt ist, das Gender*Sternchen zu benutzen, anstatt der wirklichen Gleichberechtigung auf den Weg zu helfen, was durchaus steinig werden kann (siehe unten). Es verlangt nämlich Haltung!
Berti

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Hi Ulli,
Natürlich wollte ich nicht etwa Autoren kritisieren, die Framing darstellen!, sondern Framing, an der Stelle, wo es geschieht.
“Es kann doch auch etwas - ggf. Negatives - über den Framer aussagen”
Genau, finde ich auch.

mfg os|<ar