Was kurzes, etwas älteres von mir…
Fenstermenschen
Ich vermisse sie.
Früher sah ich sie häufig. Am offenen Fenster, Arme auf dicken Kissen. Auf meinen Heimwegen schenkten sie mir das Gefühl, meine Welt sei ein Stückchen mehr in Ordnung. Irgendwie ganzer. Irgendwie heimelig. Es roch immer sooo gut aus deren Fenstern hinunter auf die Straßen. Oft hörte ich Geschirr und Töpfe klappern, wie der Tisch gedeckt wurde.
Mit dem Grüßen zeugte man Respekt, blieb schon mal für einen Plausch. Manchmal wurde einem ein freundlicher Apfel oder eine Orange hinuntergeworfen. Wenn man es sich bei jemanden verscherzt hatte, wurde es deutlich gemacht – da flog schon auch mal eine vergrätzte Nuss.
Und waren sie krank, merkten es mehrere sofort.
Sie verschwanden immer mehr von der Bildfläche. Zu meiner Kinder- und Jugendzeit brachten sie Leben in die Häuserfronten, sogar bis in den gesamten Straßenzug hinein. Meine Kinder kennen eine derartige Szenerie nicht.
Mag sie der Verlust von allgemeinen Jahreszeiten von ihrem Platz vertrieben haben? Oder sind viele verräumt in Seniorenstifte, die neuen Gelddruckmaschinen unserer Zeit? Wer nicht bettlägerig ist, wird zwar aktiviert – aber trotzdem sind sie sprichwörtlich weg vom Fenster…
Ich vermisse sie.
Wie wäre es, die Fensterbänke nicht darauf zu reduzieren, unseren Geschmack und Habitus über Blumen, Gardinen und Schnickschnack-Deko zu präsentieren?
Weg vom „Miteinander“ im Digitalismus. Köpfe und Hintern hoch. Dicke Kissen besorgen.
Dann müssen nur noch wir uns Öffnen und starten eine gute, alte Erlebniswelt mit einem Dreh am Fenstergriff. Bevor wir in die Generation hinüberwachsen, die wieder weg ist vom Fenster…
Ich könnte mir vorstellen, die Welt fühlte sich wieder ein gewaltiges Stück Ganzer an!