Seit beinahe zwanzig Tagen liegst du hier im Bett. Tag um Tag, Schicht um Schicht kümmert sich jemand anderes um dich. Je nachdem, ob die Zeit es zulässt, so würdevoll wie es dir zusteht oder nicht.
Deine Operation war kompliziert. Wenige Stunden, nachdem du deinen Bettplatz bezogen hattest, traten abermals Komplikationen auf. Dein Herz begann zu rasen, während dein Blutdruck abfiel. Für kurze Momente konnten wir dich stabilisieren. So lang, bis die Ärzte den Grund gefunden hatten.
Von all dem hast du scheinbar nichts mitbekommen. Warst du doch tief narkotisiert. Mit friedlichem Gesichtsausdruck lagst du da, als die Menschen um dich herum alles taten, um deinen Kreislauf des Lebens zu erhalten.
Nach einer weiteren Operation kamst du mit einem weiteren Gerät zurück. Dein Herz war zu schwach, um das rote Elixier selbst in die kleinsten Fasern deines Körpers zu pumpen. Zwei Schläuche, so dick wie zwei meiner Finger zusammen, zierten deine Leisten. Auf jeder Seite einer. Eine künstliche Einbahnstraße und in der Mitte ein Gerät, welches nicht nur dein Blut mit Sauerstoff bereicherte, sondern auch dein Herz unterstützte. Zum Glück brauchte dein Herz nicht lang, bis es sich berappelte. Wenige Tage nach dem Einbau, konnten die Ärzte das Gerät samt der Schläuche entfernen.
Die gesamte Zeit über sahst du so aus, als ob du schliefst, während dein Körper tat, was von ihm verlangt wurde.
Weitere Tiefs blieben nicht aus. Als die Entzündungswerte stiegen, versagte dein Klärwerk als erstes seinen Dienst. Ein neuer Schlauch wurde gelegt. Viel dünner als die letzten, aber dick genug für einen weiteren externen Stoffaustausch an einem Gerät, um dein Blut von Abfallstoffen zu reinigen.
Jeden Tag kam der Mensch, den du entschieden hast zu heiraten. In Gesprächen wird schnell klar, wie lang ihr euer Leben schon teilt. Dein Mensch schwankt mehrmals täglich zwischen Hoffen und Bangen. Sucht in jedem Wortwechsel mit den Ärzten oder Pflegekräften den rettenden Strohhalm. Sah es den einen Tag gut für dich aus, kam der Wind plötzlich aus einer anderen Richtung und riss alle Hoffnung mit sich.
Zwischendurch schlichen wir die Schlafmittel aus. Die Ärzte wollten wissen, ob du noch da warst. Wir warteten auf Reaktionen, doch nichts geschah. Es folgten weitere Untersuchungen. Dieses Mal betrafen sie deinen Kopf. Auf den Bildern war kein Grund für deine Abwesenheit erkennbar. Wir entschieden zu warteten und hofften, dass du deinen Weg zurückfinden würdest.
Dein Lieblingsmensch wurde reflektierter. Sah, trotz des atemnehmenden Schmerzes, von Besuch zu Besuch objektiver. Weiß, dass der Aufenthalt bei uns euch für immer trennen kann.
Gerne wollten die Ärzte dir einen Luftröhrenschnitt machen und um dort eine Kanüle einzulegen. Der Tubus musste entfernt werden und die kurze Kanüle würde angenehmer für dich sein. Dein Mensch willigte ein, in der Hand das richterliche Schreiben, welches die Liebe deines Lebens als offiziellen Betreuer bestimmte.
Dann kam die Nacht, in der sich alles änderte. Der Kollege erkannte eine Pupillendifferenz. Sofort wurde dein Kopf abermals untersucht. An diesem Tag sah deine Prognose nicht gut aus. Blut verdrängte dein Gehirn. Drückte es ab. Auch die konsularischen Ärzte der Fachklinik sahen keine Möglichkeit mehr dir zu helfen. Zu groß war das Ausmaß, zu schwer wog deine Erkrankung.
Wir alle schluckten schwer. Hatten wir doch bis zuletzt gehofft, dass du einen anderen Weg einschlagen würdest.
Dein Lieblingsmensch kam. Dieses Mal nicht allein. Menschen, die dich geliebt und lange begleitet hatten, sind dabei. Die einen waren gefasst, die anderen in Tränen aufgelöst. Das ist in Ordnung. Jeder ging mit seiner Trauer anders um. Und doch vereinte sie in dem Moment eine Sache: Keiner von ihnen wollte dich, im schwärzesten Tief deines Lebens, alleine lassen.