Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ich erinnere mich noch genau an Omas “Nudeln mit Schnee”.

Du weißt nicht, was das ist? Nun, dann folge mir in meinen Kopf, sieh dir meine Erinnerung an und erlebe mit, warum dieses Gericht für mich so besonders ist. Es sind nicht die vergleichsweise einfachen Zutaten, sondern meine Oma, die dieses Essen so einzigartig gemacht hat.

Als ich nach der Schule bei Oma ankomme, rieche ich es schon. Diese spezielle Mischung aus Nudeln und Käse, die wohl jedem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Oma steht im Türrahmen und lächelt mich an: “Da bist du ja. Weißt du, was es heute zu essen gibt?”

Ich will mir nicht anmerken lassen, dass ich es bereits weiß, denn ich sehe die Freude in ihrem Gesicht, wenn sie mir eröffnet, dass es heute mein Lieblingsgericht gibt. Die Vorfreude darauf, dass ich juchzend in die Küche renne, mich schon mal an den Küchentisch setze und es kaum erwarten kann, dass es endlich los geht.

“Heute gibt es Nudeln mit Schnee!” sagt sie und lächelt verschmitzt. Erwartungsgemäß juble ich und renne los in Richtung Küche. Es ist unser Ritual, das sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Oma kommt mir hinterher und nimmt sich die feine Reibe um den Emmentaler weiter zu reiben. Ich liebe es, ihr dabei zuzusehen. Sie sieht so zufrieden aus und ich bin mir jetzt noch sicher, dass nicht nur Nudeln und Käse, sondern auch eine große Portion Oma-Liebe in meinem Lieblingsgericht enthalten sind.

Als die Nudeln fertig sind, nimmt sie das große Metallsieb und schüttet das Wasser ab. Jetzt kommt der große Moment! Sie häuft einige Löffel Nudeln auf meinen tiefen Teller und gibt den in winzig kleine Stückchen gehobelten Käse über die Nudeln. Käse, der aussieht wie Schnee. Der Käse verläuft sofort und zieht köstliche Fäden. Ich kann es kaum erwarten, den ersten Bissen zu nehmen und schließe genießerisch die Augen. Was für eine Party meine Geschmacksnerven gerade feiern, kannst du dir bestimmt vorstellen. Der Kontrast zwischen dem milden Geschmack der Nudeln und dem fein-herben Geschmack des Käses ergibt für mich das perfekte Essen.

Leider ist es mir niemals gelungen, “Nudeln mit Schnee” nachzukochen, obwohl es nur aus Makkaroni, etwas Butter und fein geriebenem Emmentaler besteht. Ich weiß heute, dass in meinem Essen die Zutat Oma-Liebe fehlt. Also bleibt das Gericht, von dem ich nicht mal weiß, ob Oma es sich ausgedacht hat oder ob es noch andere Menschen gibt, die es kennen, bei mir in ebenso liebevoller Erinnerung wie meine leider schon verstorbene Oma.

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Hallo,
vermutlich bin ich zu alt und zu blöd für diesen ganzen online Kram. Schreibe seit mehreren Jahren mit Papyrus und könnte auch etwas zum Thema: „Brötchen mit Soße“ schreiben, finde aber nix, wo ich meinen Text eingeben könnte. Eingeloggt bin ich. Trotzdem ratlos. Oder wäre das hier der richtige Ort?
Rüdiger Paulsen

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Mein Bruder grinst mich über den Tisch an. Ein hämisches Grinsen. An einem winzigen Mittagstisch, in einer kleinen, stinkenden Küche. Ich rieche, mein Meist-Hass-Essen wird zubereitet.
In geölter Pfanne pufft und zischt und dampft eine ganze, wässrige Tomate.
Zerstossen, mit Haut und Allem! Bedeckt mit einem aufgeschlagenen Ei. Dann das Ganze verquirrlt mit dem Schaumbesen. Zu einer rot-gelb-weiss marmorierten Masse, durchbrochen von zäher Haut. Mit Salz und Pfeffer beworfen.
Es stockt, wird fest. Nochmals gedreht und nochmals vermischt. Mit energischem Stossen, Drücken hälftig geteilt und je auf einen Teller. Die Teller dann mit Schwung vor unsere Nasen.
Ich atme durch den Mund. Stochere angewidert nur so im Essen herum.
«Mami, Christian stochert nur so im Essen herum.»
Vom Herd ein Schnaufen. Meine Bitte nach Alternativen vorweg nehmend, aber trotzdem an niemanden direkt gerichtet – oder, an alle Kinder dieser Welt… ausser Afrika:
»Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.» Kurze Pause. «Ihr habt es gut, die Kinder in Afrika müssen hungern.»
Ich zwacke ein winziges Stück ganz am Rand ab, schiebe es auf die Gabel, zu meinem Mund.
Richtiges Essen gibt es erst wieder, wenn Paps zurück ist. Im grossen Esszimmer. Am grossen Tisch. Mit grossem Abstand zu meinem Bruder.
Noch viermal schlafen.

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Hallo Rüdiger! Du hast eigentlich alles richtig gemacht. Genau so, wie du deine Frage in diesen Thread gepostet hast – mit dem blauen „Antworten“-Button ganz unten, nehme ich an – reichst du auch deinen Text ein.

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Ein licht- und forenscheuer Neuling traut sich:

Schlüsselreiz

Winter 1963/64. Die DDR hat beide Altchen weit über die menschenverachtende Grenze in den Westen gespuckt. Zu alt, um noch nützlich zu sein, dürfen sie sich endlich legal mit der Familie des Sohnes, die acht Jahre zuvor schon „rüber jemacht“ hat, unter einem Dach wiedervereinen.

Die Enkelin ist neun Jahre alt und freut sich wie Bolle über die Familienvergrößerung, auch wenn diese fünfundsechzig Jahre älter ist, als die, die sie sich eigentlich als Geschwisterchen gewünscht hätte. Sie nimmt, was sie kriegen kann, um einen Fluchtpunkt im Haus zu haben, wenn sich mal wieder ein elterliches Donnerwetter drohend zusammenbraut und sich mit Hagel, Sturmböen und Blitzen über ihr entlädt.
Die kleine Omi, das Enkelmädchen überragt sie schon einige Zentimeter, und der Opa haben das Gros ihres Hab und Guts im Osten zurückgelassen. Eine Entscheidung, in die sich fügten, weil ihr Leben sie auf harten Verzicht trainiert hat. Zwei widerwärtige, entbehrungsreiche Weltkriege, im ersten verlor der Großvater seinen linken Arm und seine Gesundheit, dann der frühe Verlust eines Kindes, der schmerzliche Verlust des engen Kontaktes mit der Familie, die in den Westen geflohen war und schlussendlich ihr Häuschen mit Nutzgarten im südöstlichen Brandenburg, aus dem sie nur wenige Habseligkeiten mitbrachten.
Aber sie sind zufrieden. Der Opa puttelt im neuen Garten, obwohl der Rasen und die Beete eher dekorativer Natur sind und er Obst und Gemüse wichtiger findet, und zweimal am Tag läuft er kilometerweit über die Dörfer der Umgebung und kennt bald jeden Bauern persönlich. Er war selbst in der Landwirtschaft tätig, und allein draußen sein zu können, reicht zur vollkommenen Seligkeit. Regnet es zu heftig, um spazieren zu gehen, jampelt er unruhig durchs Haus und nervt seine „Kleene“. Sie teilt seinen Unternehmungsdrang nicht und kapituliert, denn sie hat einen hinderlichen Vogel, einen Grauen Star, und weil sie nach der ersten, eine zweite OP für sich nicht mehr lohnend erachtet, war sie nahezu blind. Trotzdem kocht das kleine Energiepaket regelmäßig wie ein Uhrwerk für sich und ihren „Papa“. Mit preußischer Pünktlichkeit stehen um neun Uhr der Muckefuck und die Margarinestulle, um zwölf Uhr das einfache Mittagessen, am Nachmittag noch einmal Muckefuck und ein gerecht geteiltes Hefestück und am Abend eine Scheibe Brot, nicht selten nur mit Butter und Zucker darauf, auf dem Tisch. Alles gute Zureden, sie könnten es sich von ihren Renten doch wesentlich komfortabler machen, abwechslungsreicher essen, helfen nicht, und die „Kleene“ schickt ihren „Papa“ von Pontius zu Pilatus, um die einfache Marmelade noch einen Pfennig günstiger zu ergattern.

Das Enkelmädchen sitzt gerne bei den Großeltern im Wohnzimmer, schaut später heimlich und im Schlafanzug „Raumpatrouille“ zwischen Tür und Angel, damit sie von den Eltern nicht erwischt wird. Kein Film für Kinder und zu spät! Die Großeltern halten dicht, verfüttern weiße und rosafarbene Schokolinsen und kringeln sich vor Lachen. Und oft, wenn es Stuckkartoffeln mit dicker Milch gibt, lädt sich die Enkelin selbst zum Essen ein. Sie weiß es schon Tage vorher, denn dann geht sie mit der Milchkanne zum Bauern und holt die euterfrische Milch dafür, denn nur so gelingt die Dickmilch. Die mit einem Tuch abgedeckte Milchschüssel darf in Ruhe über Tage stocksauer werden. Dazu gibt es gestampfte Kartoffeln mit untergehobenem, ausgelassenem Speck und kurz darauf schließen die heißen Erdäpfel zusammen mit der kühlen Dickmilch einen himmlischen Bund, so wie es bloß einfachen Gerichten gelingt.

Man muss richtig hungrig oder noch ein Kind sein, dann genießt man jeden einzelnen, der wenigen Bestandteile einer bescheidenen Gaumenfreude, und man erinnert sich, inzwischen genauso alt wie die „Kleene“, wehmütig daran. Eine Geschmackserinnerung wird zum Schlüssel für das Tor zur Vergangenheit. Es gibt so viele Schlüssel …

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Ich habe vor einiger Zeit unsere Familiengeschichte mit Fotos, Stammbaum und Erinnerungen geschrieben. Dazu gehören auch einige Anekdoten rund ums Essen mit den Rezepten dazu. Einen Auszug möchte ich mit euch teilen:

Der Wald überm Weg war ein wunderbarer Spielplatz. Schließlich waren Hof und Garten dem
Federvieh vorbehalten. Auf dem Feld sah uns Opa Werner auch nicht so gern, außer er schickte
uns los, um Kartoffelkäfer von den Blättern zu sammeln. Wenn wir im Mais verstecken spielen
wollten, durften wir uns lieber nicht erwischen lassen.
Der Gemüsegarten war Opa Werners Heiligtum. Schnurgerade zog er im Frühjahr die Reihen,
um Beete mit Erdbeeren und Gemüse anzulegen.
Oma erzählte oft, dass sie mit Opa eine gute Ehe führte und sie so gut wie nie gestritten haben.
Nur ein einziges Mal ist Opa ein „Du Trampel!“ rausgerutscht, weil Oma beim Anlegen der Erdbeerbeete
ein klein wenig neben den Pfad und auf das Beet getreten war.
Mit uns Kindern hat er aber nicht geschimpft, noch nicht einmal, als Moni im Frühjahr alle Krokusse
pflückte und sie freudestrahlend Oma schenkte.
Im Gegenteil, er versuchte, uns jeden Wunsch zu erfüllen. Deshalb baute er auch eine Schaukel
überm Weg.
Und wenn wir im Wald oder auch auf einem Baum unsere Buden bauten, schaute er, dass uns
nichts passiert. An der Eiche sägte er sogar die Äste zurecht, damit wir besser Klettern konnten.
Mickeins jüngste Enkeltochter Simone gesellte sich bald zu uns und wurde uns eine liebe
Freundin. Gemeinsam stellten wir so einiges an, aber genau genommen, nichts Schlimmes.
Unsere ersten Gartenfeste feierten wir gemeinsam auf dem Spielplatz unterm Fliedergebüsch.
Schnell war eine Bühne gebaut, Lampions und Lichterketten aufgehängt.
Mickeins Hofhund Molly musste ein paar Kunststückchen aufführen, wir sangen (mehr schlecht
als recht) und sagten Gedichte auf. Unser geneigtes Publikum applaudierte begeistert.
Zu einem Fest gehörten natürlich auch Kaffee und Kuchen. Die Omas Martha und Bertel sorgten schon dafür, dass alle satt wurden.
Später öffnete die „Bar“ und wir Mädels bewirteten unsere Gartenfestgäste mit selbst zusammen gerührtem Eierlikör und anderen mehr oder weniger genießbaren Getränken.

Simone gehörte genauso zur Familie wie wir bei Mickeins ein- und ausgingen. Auch wenn es
um’s Essen ging, wurde kein Unterschied gemacht.
So kam es, dass es einmal eine regelrechte Hefeklöße-Orgie gab. Oma Martha und Tante
Friedel, die gerade zu Besuch war, standen in der Küche, kneteten den Hefeteig, stachen die
Klöße aus und ließen sie auf mehreren Töpfen im Wasserdampf auseinander gehen. Wir Kinder
standen schon Schlange, um mit der nächsten Ladung Hefeklöße samt Blaubeerkompott
auf dem Teller nach draußen zu verschwinden. Oma und Tante Friedel kamen kaum hinterher,
neue Hefeklöße fertigzubekommen. Obwohl sie reichlich Teig angesetzt hatten, neigte er sich
bald dem Ende zu und die beiden hatten noch nicht ein Fitzelchen davon abbekommen.
„Ich werde mal schon Kartoffeln holen!“, beschloss Tante Friedel und sorgte dafür, dass auch
alle Großen ein Mittagessen bekamen, weil - die Hefeklöße hatten die fünf Mädels allein verputzt!

So, die nächsten Hefeklöße macht ihr euch allein!

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Streng genommen bin ich mir bis heute nicht mal sicher, ob es ein wirkliches Gericht ist, an das ich mich am liebsten zurückerinnere.
Meine Oma nannte es Granadiermasch. Ein simples Essen, das aus übriggebliebenen Salzkartoffeln und Nudeln zubereitet wird. Ja, ich habe und geschrieben, da diese zwei Komponenten zwingend zusammen erforderlich sind!
Bei einer Recherche habe ich tatsächlich etwas grob Vergleichbares gefunden, den Grenadiermarsch. Aber nach reichlicher Überlegung bin ich davon überzeugt, dass es sich um vollkommen verschiedene Gerichte handelt, auch wenn die verwendeten Zutaten fast vollständig zusammen passen. Aber die Optik …
Kross angebratene Kartoffelscheiben zusammen mit liebevoll drapierten Farfalle, die locker zusammen auf dem Teller liegen.
Das ist einfach nur völlig falsch!
Das Endresultat sollte ein sehr kompakter Stampf sein, der mit einer Kelle auf den Teller geklatscht wird. Und wer leichtsinnig genug ist, diesen besagten Teller nicht mit beiden Händen festzuhalten, ist selbst schuld, wenn das Gesetz der Massenträgheit greift und der Teller auf dem Boden landet.
Die Zubereitung selbst ist sehr simpel. Gewürfelte Zwiebeln müssen mit Pflanzenöl sehr scharf in einem größeren Topf anbraten werden. Also so richtig scharf, nicht so lasch glasig, sondern bis so kurz vorm Anbrennen.
Dann kommt ein großzügiger Schwung Paprikapulver darauf. Meine Oma war Jugoslawin und man musste nun einmal scharf können, wenn man bei ihr etwas zu essen haben wollte.
Das Ganze wird einmal umgerührt, ehe die Salzkartoffeln dazu kommen. Mit einem stabilen Kartoffelstampfer müssen dann die Kartoffeln zügig mit den Zwiebeln vermengt werden. Man darf an dieser Stelle keine Angst vor dem Festkleben der Kartoffeln auf dem Topfboden haben. Diese Schicht sorgt dafür, dass einem die Zwiebeln nicht mehr verbrennen können.
Anschließend kommen gekochten Nudeln mit in den Topf. Diese werden ebenfalls mit dem Stampfer unter die Kartoffelmasse gearbeitet.
Das ist es im Grunde auch schon. Keine Brühe, keine Soße oder sonstige Flüssigkeit mehr. Salzen und Pfeffern sollte dann jeder nach seinem ganz persönlichen Geschmack.
In meinem Fall war der frische Pfeffer auf dem dampfenden Essen der wundervollste Geruch der Welt.

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Dankeschön, das freut mich!

Danke Elisabeth. Das freut mich sehr.
„Tante“ Grete könnte eine Freundin der Oma sein, die unten im Haus wohnte. grins.

Über Geschmacksnerven, angesengte Bärte und Schmalzmus
Ich habe gelesen, dass es drei Fähigkeitsstufen im Schmecken gibt: Allesesser, Unkomplizierte und Gourmets. Wie bei allen vorteilhaften Eigenschaften des Menschen ist auch die des Schmeckens gerecht verteilt: Jeder glaubt, er habe genug davon – das heisst in unserem Fall, fast jeder Mensch hält sich für einen Gourmet. Objektiv betrachtet, ist es aber durchaus einfach, eine den drei Fähigkeitsstufen entsprechende Einteilung vorzunehmen. Allesesser können sich von Buttermilch und Cornflakes ernähren; einen ganzen Sommer lang, wenn’s sein muss. Es ist Ihnen egal, ob das Hafermus angebrannt oder die Polenta versalzen ist. Sie schmecken nämlich keinen Unterschied.
Die Unkomplizierten erkennen zwar, dass etwas nicht wirklich stimmt, doch sind sie darüber keineswegs unglücklich, denn mit einer gehörigen Portion Aromat oder Maggi wird alles zum Lieblingsessen.
Wir Gourmets hingegen werden bereits als kleine Kinder kulinarisch gebeutelt. Ich erinnere mich an eine Ovomaltine, die meine Mutter aus Mangel an Milch mit Wasser angerührt hatte, und die ich trinken musste, weil man nichts verkommen lässt. Ich habe den ganzen Nachmittag dafür gebraucht und erst, als mir meine grosse Schwester aus Mitleid den Tipp gab, mir die Nase zuzuhalten und es dann einfach herunterzukippen, wurde ich von meinem Leiden erlöst. Nur für diesen Tag allerdings, denn die Fischstäbchen auf unserem Tisch waren chronisch Minibriketts und nicht einmal mit einer dicken Mayonnaise-Wurst obendrauf geniessbar. Ganz zu schweigen von den Fleischbrocken, die ich nach minutenlangem Kauen immer noch nicht schlucken konnte und die nicht einmal der Hund fressen wollte, dem ich sie unter den Tisch schmuggelte.
Es gab aber auch Speisen, die ich bereits als Kind heiss liebte: Blutwurst mit Salzkartoffeln beispielsweise oder Tomatenspaghetti. Ein regelrechtes Fest war es für mich, wenn Käsefondue auf dem Speiseplan stand. Wer diese typisch schweizerische Speise kennt, weiss, dass hierfür ein sogenanntes Caquelon auf einem Rechaud mit Spiritusbrenner steht. In dem Caquelon blubbert die Käsemischung, wohinein alle ihre auf extralange, dreizackige Gabeln gespiessten Brotbrocken eintauchen und sie über dem Caquelon einige Male drehen, um den herabtriefenden Käsefaden aufzurollen. Dann bläst jeder den heissen Brot-Käse-Würfel an, um ihn so weit abzukühlen, dass er in den Mund geschoben werden kann, ohne Verbrühungen zu verursachen.
Als wir vier Kinder noch klein waren, sassen wir beim Essen paarweise übers Eck unseren Eltern gegenüber auf einer Bank. Beim Fondue-Essen traf unser Gepuste zum Abkühlen unserer Brot-Käse-Klumpen genau auf die Flamme des Spiritusbrenners. So verursachten wir nicht nur einmal eine Stichflamme, die unseres Vaters Vollbart ansengte und stellenweise verschmürzelte. Darüber regte er sich jeweils fürchterlich auf, denn sein Bart war sein ganzer Stolz. Zum Glück musste auch meine Mutter darüber lachen, wenn er wie das Rumpelstilzchen neben dem Esstisch hüpfte und mit der Serviette auf seinen Bart einschlug.
Schmalzmus war weit weniger gefährlich. Es handelt sich dabei um ein Gericht, das unser Nani uns hie und da am Mittag auftischte – Nani ist die Bezeichnung für die Grossmutter bei den Walsern in Graubünden. Man isst Schmalzmus genau wie das Käsefondue gemeinsam aus einer Pfanne. Eine Bratpfanne um genau zu sein, in welcher Mehl, Butter, etwas Milch und wenig Salz so lange gerührt wird, bis ein bräunliches Mus entstanden ist. Die Pfanne wird auf den Tisch gestellt und jeder beginnt auf seiner Seite, indem man nach Belieben Zucker draufstreut und Löffel für Löffel aussticht. Obwohl dies ein Gericht war, das wir alle gerne assen, wundert es mich nicht, dass ich seit diesen Tagen in den Siebzigern nie mehr davon gehört habe.
Als Kind wurde ich immer als heikel taxiert, weil ich vieles nicht gerne ass. Ging es Euch ähnlich? Dann seid Ihr auch Gourmets und habt im Gegenzug die Fähigkeit, wahren Genuss als solchen zu erkennen und zu schätzen.

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Omas Kuchen

Es ist ein warmer Tag Mitte September.
Ich bin auf dem Weg zu Omas Geburtstag. Die Scheiben von meinem roten Smart habe ich herunter gelassen. So weht ein lauer Wind durch das kleine Auto, der den satten Geruch gemähter Felder durch die Lüfte trägt. Für mich hat dieser Duft schon immer das Ende des Sommers angekündigt. Bald würde es wieder kälter werden.

In dem kleinen Kofferraum des Smarts liegt ein bunter Blumenstrauß in herbstlichen, kräftigen Farbtönen. In der Mitte habe ich eine leuchtend gelbe Sonnenblume einbinden lassen. Oma liebt die Farben des Herbsts. Sie sagt immer: „Die leuchtenden Farben machen es uns leichter, den Sommer zu verabschieden. Wir sollten nicht traurig sein, dass der Sommer geht. Wir sollten uns freuen, welch schöne, intensive Farben uns der Herbst schenkt. Außerdem geht es im Leben wieder gemütlicher zu. Die Menschen verbringen mehr Zeit zusammen. Das ist etwas Gutes.“ Ihre positive Einstellung hat sie durch ein ereignisreiches Leben getragen. Ich bin froh, dass sie bis heute, zu ihrem 82. Geburtstag, so lebensfroh geblieben ist.

Omas freudiges Gesicht ist das Erste, was ich sehe, als ich bei meinem Elternhaus vorfahre. Munter ruft sie von der Haustür: „Hallo mein Kind! Schön, dass du da bist! Komm dann rein! Ich muss nach dem Kaffee sehen!“
Langsam steige ich aus dem Auto und strecke mich nach der Fahrt in der warmen Sonne aus. Nach Hause kommen hat seine eigene Form der Geborgenheit. Auch, wenn ich selbst schon 42 bin, ja unsere Oma wurde früh damit überrascht, eine zu werden, bin ich doch immer noch „das Kind“. Manchmal hat der Gedanke, dass darauf Verlass ist, egal was im Leben passiert, etwas Tröstliches.

Vorsichtig hole ich den Blumenstrauß aus dem Kofferraum und gehe rüber zur Haustür, die Oma für mich offengelassen hat. Auf dem Gehweg rieche ich das schwere, volle Aroma von frisch gebrühtem Kaffee. Ein leises Gefühl der Vorfreude auf Omas Kuchen steigt in mir auf. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, finde ich Oma im Untergeschoß. Im Esszimmer ist sie mit dem Herrichten der Kaffeetafel beschäftigt. Ich gratuliere und übergebe ihr den Blumenstrauß. Ihre blauen Augen strahlen. Versonnen atmet sie den Duft der Blumen ein: „Danke dir, Kind. So ein schöner Strauß. Ich werde gleiche eine passende Vase suchen.“ Und schon verlässt sie auf immer noch flinken Füßen den Raum, um oben in der Küche nach der Vase zu suchen. „Aber Oma, das kann ich doch für dich machen.“, biete ich an. „Du weißt ja nicht, welche Vase ich haben will.“, sie zwinkert verschmitzt. „Was kann dir abnehmen, Oma?“ „Ach Kind, wenn ich mal nicht mehr kann, dann kannst du mir alles abnehmen. Solange ich aber noch kann, da seid ihr meine Gäste. Ihr arbeitet alle so fleißig, da sollt ihr es bei mir schön haben und auch mal nicht arbeiten.“ So ist unsere Oma. Sie will gebraucht werden und uns eine Freude machen, solange sie es kann. Sind wir glücklich, ist sie es auch. „Helfen könnt ihr mir alle, wenn ich alt bin.“, und dann lacht sie vergnügt.
Die Kaffeetafel ist mit einer blütenweißen Tischdecke überzogen. Ihr liebstes Porzellangeschirr mit dem Blumenmuster steht darauf. Den Kuchen hat sie mittig platziert. Es klingelt wieder und diesmal ist es Papa mit seiner Lebensgefährtin und meinem Bruder. Lachen und Geplapper dringt von oben durch das Treppenhaus, als die Neuankömmlinge Oma gratulieren. Schritte auf der Treppe kündigen an, dass alle auf dem Weg nach unten sind. Papa hat die Vase mit dem Blumenstrauß in der Hand. Oma hat ihm genaue Anweisungen gegeben, wo der Strauß stehen soll. Und so findet auch er einen Platz auf der Tafel: „Damit ihn alle sehen.“, wie Oma zufrieden sagt. Hinter Papa folgt Opa mit dem duftenden Kaffee.
Wir setzen uns an Omas schön gedeckte Kaffeetafel.
„Schwarzwälder“ nennt Oma ihren Kuchen, den sie zu allen Anlässen backt. Eine richtige „Schwarzwälder Torte“ ist es allerdings nicht.
Omas Schwarzwälder hat einen Boden aus Rührteig, der sehr schokoladig schmeckt mit einem Hauch von Zimt. Auf diesem Boden verteilt sie, nachdem er gebacken wurde, die aufgekochten Kirschen. Sie krönt diesen Kuchen immer mit einer Schicht aus Schlagsahne, die sie locker aufschlägt. Der Vanillinzucker darf nicht fehlen. Er sorgt für ein feines Aroma in der Sahne. Zu guter Letzt streut Oma Schockoraspel über ihren Kuchen.
Wir haben uns etwas länger nicht gesehen, erzählen was im Leben gerade los ist und lachen über Anekdoten. Was passt dazu besser, als Omas „Schwarzwälder“? Auch wenn es keine richtige
Schwarzwälder ist, wir alle lieben diesen Kuchen. Oma strahlt glücklich, als zum Ende des Kaffeetrinkens kein Stück mehr übrig ist.
So unterschiedlich wir sind: Ihr Kuchen bringt uns immer zusammen. Und wird für uns ein Stück „zu Hause“ bleiben.

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Kalorien, Teufels Werk oder Gottes Beitrag

THEORIE

Kalorie ist eine veraltete Maßeinheit der Energie, insbesondere der Wärmemenge. Eine Kalorie ist nach einer gängigen Definition die Wärmemenge, die erforderlich ist, um (bei bestimmten Bedingungen) 1 Gramm Wasser um 1 Grad Celsius zu erwärmen.

PRAXIS

Wenn du als Mädchen das Licht der Welt erblickst, hat diese rein wissenschaftliche Definition aber noch andere, ungeahnte Auswirkungen auf dein Leben. Sie bestimmt, ob du eine 36er, Konfektionsgröße trägst, oder dich mit Müh und Not in eine 42 zwängst. Sie hat die Kraft, dein Selbstbewusstsein nachhaltig zu verwirren, dir ein vollkommen gestörtes Essverhalten anzuerziehen, und das was dich ausmacht auf Kilos und Zentimeter zu beschränken. Statt ohne schlechtes Gewissen superleckeres, genial duftendes Essen, bei dessen Anblick dir das Wasser im Mund zusammenläuft, zu genießen, steht plötzlich ein fieses Monster an deiner Seite, um dir jeden Gaumenschmaus zu verleiden. Dieses Biest zwingt dich Essen zuerst argwöhnisch auf Kalorien zu untersuchen, bevor du es reuelos zu dir nehmen darfst.
Für mich war es immer schon unverständlich, was eine Schaumrolle, eine Tafel Schokolade, ein knuspriges Hendlhaxerl oder flaumige Marillenknödel mit der 1 Grad Celsius Erwärmung zutun haben sollte. Als Kind war meine Beziehung zum Essen noch ganz natürlich, ich folgte dem Grundsatz: Iss wenn du Hunger hast.

Ich war ein Omakind, meine Mama starb zu früh und mein Vater war mit einer lebendigen 4-Jährigen vollkommen überfordert. Also kam ich in die Obhut meiner heiß geliebten Oma, von mir liebevoll Ömchen genannt. Sie nahm mich in ihre mütterlichen Arme, trocknete meine Tränen, zog mich an den wogenden Busen und begann mich zu bekochen. In ihrer Welt hielt gutes Essen Leib und Seele zusammen und heilte jeden Kummer. Ömchen hatte böhmische Vorfahren und das schlug sich auch in ihrer Kochkunst nieder. Ihre Knödel, Palatschinken, Powideltascherln oder Buchteln mit Vanillesauce, waren zum Anbeten, der Apfelstrudel, der Nusskuchen und die Vanillekipferln ein Gedicht. Damals war ich noch ein Allesesser, Schweinsbraten, von dem ich heimlich die knusprige Schwarte stibitzte, landete genauso in meinem Magen wie Grenadiermarsch, Paprikahendl, Gulasch mit Nockerl, Linsen mit Semmelknödeln, Schwammerlgulasch oder ein Ganserl mit Apfel Maroni Rotkraut mit Erdäpfelknödeln und Bratensaft. Mit ganz viel Saft und noch mehr Knödeln! Eigentlich war ich schon immer eher der Beilagenesser, Fleisch musste nicht sein, aber dummerweise gibt es ohne Fleisch keinen Saft, also verdrängte ich mein schlechtes Gewissen, dass Tiere für mich sterben mussten, und genoss Omas Küche. Erst Jahrzehnte später strich ich Fleisch ersatzlos von meinem Speisezettel und begriff, dass ich meinen Genuss nicht durch den Tod eines Tieres erkaufen wollte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Als kleines Mäderl war ich fest gebaut, nicht dick, aber auch keine Elfe mit zarten Knochen und feinen Gliedern. Meine beste Freundin, die Ingrid, war um ein Jahr älter und auch kein Hungerhaken, wir waren gesunde, lebendige, aktive Kinder, die lieber in der Prater-Hauptallee herumstreunten, als sich mit „Mädchendingen“ zu beschäftigen. Im Sommer 1972 waren wir Teil einer lustigen Gruppe, Mädchen und Buben gemischt im Alter von 9 bis 12 Jahren, die alles miteinander teilten, die irgendwie trotz der Geschlechtsunterschiede „gleich“ waren. Es war ein heisser Sommer und wir lungerten faul in unserem Bandenhauptquartier herum, als die „Neue“ zu uns stieß. Ich erinnere mich noch gut an den Tag und sogar mir blieb der Geleefrosch fast im Hals stecken, als sie mit Max´s Schwester Andrea, den Clubraum betrat. Sie hieß Lucia und war zum Anbeten schön, zumindest sahen das unsere Jungs so. Langes, dunkles Haar, das nicht wie bei uns zu Zöpfen geflochten war, Augen so groß wie Bambi, ein schlanker, biegsamer Körper, der die Schwelle vom Mädchen zur Frau bereits überschritten hatte – kurz gesagt – sie war perfekt. Der ehemalige Geräteschuppen, der von uns als Treffpunkt benutzt wurde, war nichts Besonderes, wir hatten ihn ein bisserl verschönert, lose Bretter angenagelt, ausgediente Fauteuils und eine alte Bettbank hineingestellt, auf der sich Decken, Polster und Comics, mit Apfelbutzen und in Stanniolpapier gewickelter Schokolade den Platz teilten. Uns hatte das nie gestört, doch als Lucia erschien (anders konnte man das nicht nennen) sprang der fesche Max sofort auf um Platz zu machen. Michael, sein bester Freund, schüttelte eifrig imaginäre Brösel einer Decke aus und legte sie für Lucia auf die verschlissene Bank. Sogar Erwin, der sich eigentlich nie um etwas anderes kümmerte als um Fußball und umSammelbilder der Austria-Mannschaft, strich sich unauffällig die zerrauften Haare aus der Stirn, zog die Hose hoch und den Bauch ein. DAS hatten sie bei Ingrid und mir noch nie gemacht und der Grund war eindeutig Lucia. Die wunderschöne, schlanke, elfenhafte Lucia… Heute weiß ich, dass ihr sirenenhafter Auftritt den Untergang von Erdbeerschokolade, Kokosstangerl, Geleefröschen und Co einläutete, weil ich kurz den Wunsch verspürte, genauso wie Lucia angesehen und hofiert zu werden.
Mir war damals noch nicht klar, dass es zwei Kategorien Frauen gab, die Glücklichen, deren Stoffwechsel mit einem Güterwagen voll Schokolade umging, als wäre es ein Salatblatt und die Anderen. Ingrid und ich gehörten eindeutig zur zweiten Kategorie. Wir mussten eine Torte nur ansehen und schon schmiegte sie sich an Hüften oder Bauch an. Und zwar dauerhaft. Sie war gekommen, um zu bleiben.
Mit zehn Jahren war ich noch weit davon entfernt Essen argwöhnisch zu betrachten und in Kohlehydrate, Eiweiß und Fett aufzuspalten, bevor ich hineinbiss. Im Laufe der Zeit wurde mir aber klar, dass ich nicht zu den „Lucias“ dieser Welt gehörte. Ich war im Team „gute Futterverwerter“, wie meine Oma es liebevoll nannte, und die hatten es viel schwerer in Form zu bleiben als Lucia´s. Je älter ich wurde, umso mehr wuchs die Erkenntnis in mir, dass ich die Freunde meiner Kindheit - Schokolade, Mehlspeisen, Knödel und Co - nie wieder ansehen würde, ohne frustriert zu seufzen.

Es hat einige Irrungen und viele Lucias gebraucht, um mich aus diesem unnatürlichen Kaloriendiktat zu lösen. Heute weiß ich, Kalorien machen nicht dick und trennen auch keine Beziehungen, nicht sie treiben dich in den Wahnsinn, sondern du selbst, weil du dir einbildest dich in ein Kleid zu hungern, in das nur Lucias mit Leichtigkeit hineinpassen. Kalorien machen dich auch nicht liebenswürdiger, schöner, beliebter, mitfühlender, gütiger, klüger oder glücklicher, sie machen dir aber das Leben schwer, weil du ihnen diese Macht gibst.

Ich brauchte fast 40 zig Jahre um zu erkennen, dass Essen Spaß machen muss, es nichts Besseres für die Seele gibt, als Vanillekipferl nicht nur zu riechen, sondern auch zu essen. Mittlerweile hab ich verstanden, dass es genial ist, mit Freundinnen vor dem Fernseher zu sitzen, umgeben von Chips, halbleeren Pizzakartons und ganz leeren Sektgläser, um mit Baby mitzufiebern, ob sie am Ende ihren Jonny bekommt, oder Lizzie ihren versnobten Mr. Darcy erobern kann. Zu begreifen, dass Geburtstagstorten mit Schokoladencreme oder Zuckerguss nicht Teufels Werk, sondern Gottes Beitrag sind, um Anlässe zu feiern und dadurch unvergesslich zu machen, ist ein wichtiger Teil meines Lebens.

Heute, im Alter von 59 Jahren, sitze ich mit Tee und Keksen vor meinem Laptop und schreibe das alles in der Hoffnung nieder, dass ich Essen nie wieder an Kalorien und Verzicht binde, es viel mehr ein Teil von Lebensfreude und Genuss bleibt.

Bevor meine Schwammerlsuppe am Herd nun endgültig überkocht, oder das selbstgebackene Brot im Backofen zu knusprig wird, noch ein flammender Appell an alle „nicht Lucias“ dieser Welt:
Vergesst nie das Leben euch schmecken soll, lasst nicht zu, dass alte Muster es verkopfen und diktieren, denn dazu ist unsere Zeit auf Erden eindeutig zu kurz.

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schrecklich… nicht dein Schreiben, sondern Deine Erinnerung.

Ich habe heute zwei neue Wörter gelernt, die ich hoffentlich bald total lässig nebenbei in ein Gespräch einbauen kann, am liebsten über ein blubberndes, duftendes Käsefondue hinweg. Und ich habe sehr geschmunzelt über den verschmürzelten (drei neue Wörter!) Bart deines Vaters. Ich hoffe, das ist nicht schlimm.

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Haha! Ich bin auf Deiner Seite. Glücklicherweise brauchte ich nicht 40 Jahre sondern erlangte Deine Weisheit bereits nach 30 Jahren Darben. Und du gehörst zu den Gourmets, genau wie ich. Die meisten Lucias hingegen zu den Allesessern… Liebe Grüsse aus dem Schokoladenland…

Wo auch. Ich freue mich sehr darüber und auch, dass du meinen Beitrag zum Wettbewerb schon gelesen hast. Danke!

„Ich fürchte nicht den Mann, der 10.000 Kicks einmal geübt hat, aber ich fürchte mich vor dem, der einen Kick 10.000mal geübt hat“

So soll es Bruce Lee einmal gesagt haben. Was hat das mit meinem Lieblingsessen zu tun? Eine ganze Menge.

Der zehntausendfach getretene Kick meiner Großmutter, Gott hab sie selig, war:

Die Kartoffel

Ich kenne keinen Menschen der sie besser gemeistert hat, als Sie. Als jemand, die den Krieg und die Nachkriegszeit miterlebt hat, hatte sie oft keine Alternative zu ihr. Sie hat wohl irgendwann beschlossen, das Beste daraus zu machen, buchstäblich. Ob Kartoffelstampf, Bratkartoffeln, Kartoffelknödel, niemand hat sie je zu 100% so hinbekommen wie sie.

Ich erinnere mich gern daran, als Kind ab und an bei ihr in der Küche sitzen zu dürfen, wo ich ihr fasziniert bei der Zubereitung zusah. Eine Sache die mir in Erinnerung bleibt ist, wie dünn die übrig gebliebene Schale war. Auch das wohl ein Vermächtnis aus einer Zeit, in der Verschwendung, insbesondere von Essen, noch eine absolute Unverschämtheit war. Gerne erinnere ich mich auch daran mit welcher Ruhe und unbeirrbarer Konzentration sie am Werk war. Gesummt wurde dabei auch häufig und gerne.

Ihr Magnus Opus war der Kartoffelsalat. Viele in der Familie haben gefragt, wie genau sie diesen denn jetzt macht. Das Rezept ist bekannt:

Die Kartoffeln in Gemüsebrühe gekocht, für einen angenehmen Eigengeschmack
Zwiebeln, ganz fein geschnitten
Gekochte Eier, nicht mehr flüssig aber noch samtig weich
Ebenfalls sehr fein geschnittene Apfelstückchen, um der Zwiebel den Biss zu nehmen
Klein geschnittene saure Gürkchen
Mayonnaise, um alle Extreme etwas abzumildern und dem Gericht Volumen zu verleihen
Und zum Schluss noch etwas Pfeffer und Salz

Ein Löffel, auf dem alle oben genannten Zutaten einen halbwegs fairen Anteil hatten, sorgte dafür, dass man alle Geschmacksrichtungen auf einmal bekam:

Schärfe über die Zwiebel, Süße über die Äpfel, Säure über die Gurke, Salz über, nun ja, Salz. Selbst Umami ist über die, üblicherweise in Hühnerbrühe gekochten Kartoffeln, vertreten.

Es konnte einem die Tränen in die Augen treiben. Die Guten. Es gab zahlreiche Versuche das Gericht zu replizieren, aber es ist nie vollständig gelungen.

Es fehlen wohl noch ein paar Tausend Kicks.

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Danke Dir und liebe Grüße ans Schokoland retour… ich hatte ja schon zwischendurch Erkenntnisse :slight_smile: , aber ich irrte dann doch wieder auf " schlanker werden" Pfaden umher.
lg aus Österreich

Eierkuchen

Papyrus Autor kennt 19 Synonyme für diese Speise: von Eierfladen bis Plinz.
In den Geschichten weiter oben in diesem Forum kommen sie bereits vor. Und sicher sind sie nichts Besonderes. Pfannkuchen ist gewiss die gebräuchlichste Bezeichnung dafür. Doch bei uns heißen sie von jeher Eierkuchen.

Meine Mutter hat das Rezept an mich weitergegeben. Sie hat sie in einer großen Pfanne zubereitet, denn zu kleine Portionen verletzten ihre Küchen-Ehre. So ein praktisches beschichtetes Teil, wie ich es heute benutze, hätte sie gewiss mit Kusshand genommen.
Hingekriegt hat sie sie trotzdem – wie immer perfekt. „Mit Eischnee werden sie lockerer“, hat sie mir beim Aufschreiben des Rezepts diktiert. Leider sind meine Ansprüche geringer und nehme mir weniger Zeit, schließlich heißen sie nicht Ei-Schnee-Kuchen.
Die Familie liebt meine Eierkuchen trotzdem. Sie kennen sie von früher, von der Oma. Nicht nur der Körper braucht Nahrung, sondern auch die Seele, und es ist für sie eine süße Erinnerung, selbst wenn sie die Speise mit - selbstverständlich palmölfreier – Nuss-Nougat-Creme anreichern, die es früher nicht gab.
Es hat eine Weile gedauert, bis meine Eierkuchen wie Eierkuchen aussahen und nicht wie ein fehlgeschlagener Versuch aus dem 3D-Drucker. Die Familie hat die Experimentierzeit geduldig ertragen. Mittlerweile kann sich mein Werk sehen lassen.
Die Pfanne ist heiß und der Duft lockt die Hungrigen an. Alle bekommen abwechselnd einen und später noch einen und noch einen. Die Wartezeit wird mit Unterhaltungen ausgefüllt und mit Gedanken an früher. Es ist ein Ereignis.

Der Blick schweift zurück, aber auch nach vorn. Was wird später von mir bleiben, außer Erinnerungen und Bildern, die es nicht über die Kinder- oder Enkelgeneration hinaus schaffen? Die Software, die ich beruflich schreibe, wird der technische Fortschritt in wenigen Jahren mit Haut und Haaren aufgefressen haben. Meine Geschichten haben ein paar stolze Leser, aber es sind überschaubar viele.
Die Eierkuchen hingegen, die reisen gemeinsam mit den Kindern und deren Kindern in die Zukunft. Sie erinnern heute an die Oma und irgendwann an mich.
Und dadurch sind sie für mich doch etwas Besonderes.

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Wie versteinert blickte mein völlig fassungslos und tieftrauriges dreizehnjähriges Ich auf den prall gefüllten Essenstisch. Das meine Mutter kochte, kam wirklich nicht oft vor. An diesem Abend, kurz vor Weihnachten tat sie es. Sie stellte die riesige Platte auf die Mitte des alten Holztisches. Der Duft von gebratenen Fleisch lag streng in der Luft. Ich konnte ihm keinen mir bekannten Duft zuordnen. Nur die Knödel und das Rotkraut erkannte ich. Auch heute noch wird mir speiübel, wenn ich an den beißenden Geruch des Bratens denke.
Ich hatte nach einigen Tagen der Trauer endlich mal wieder Appetit und etwas Hunger und freute mich auf das Abendessen im Kreis meiner Familie. Gerade deswegen ließ mich der Anblick und die breit grinsenden, gehässigen Gesichter nach der Offenbarung erschaudern. Mein bester Freund war tot. Nach acht treuen Jahren wachte er eines morgens in seinem Offenstall nicht mehr auf. Starr durch die Winterkälte fand ich ihn eingebettet in seinem Stroh. Die Wasserschüssel war völlig zugefroren. Er ist ganz alleine und bitterkalt gestorben. Armer Schlumpfi. Mein kleines weißes Zwergkaninchen mit den schwarz umrandeten Augen und dem schwarzen Strich auf dem Rücken, war mein einziger Freund in meiner gottlosen Kindheit. Den unwürdigen Tod hatte er so nicht verdient. Mein Kleiner verdiente ein Grab, direkt neben dem Teich und der großen Tanne, bei der er gerne herum hoppelte. Ich hätte ihm ein schönes Blümchen gepflanzt und weiter mit ihm gesprochen, so wie ich es immer tat. Stattdessen landete er in der Bio Tonne. Direkt neben den stinkigen Essenresten und dem Unrat. Sie sagten sie haben ihn dort entsorgt. Wie eine alte Bananenschale oder ein paar Latschen die ausgedient hatten. Ich durfte ihn nicht beerdigen. Als ich nun auf den Küchentisch starrte und fragte was genau sie gekocht hatte, sagte meine Mutter :" Na das ist ein Hasenbraten. Das schmeckt total lecker. Das musst du unbedingt probieren". Sie kicherte dabei wie ein Schulkind. Ich verstand nicht wieso sie darüber so amüsiert zu sein schien. Ich murmelte leise… Hase? Bis mein Vater mit seinem schockierenden Satz heraus brach :„Das ist dein Hase Schlumpfi!“. Beide inkl. meinem nervigen Bruder lachten lauthals los. Mir liefen die Tränen. Ich brachte keinen weiteren Ton heraus. „Na iss schon“ sagten sie. Ich weigerte mich und ignorierte mein nagendes Hungergefühl, welches in Ekel und Übelkeit übergang. Ich stand tränenüberströmt auf und rannte zur Mülltonne in den Hof hinaus um mich davon zu überzeugen, dass mein armes Tier nicht wirklich gerade auf dem Küchentisch verspeist wurde. Ich öffnete vorsichtig den Deckel aber ich sah ihn nicht. Mein Herz raste und ich fing an zu schwitzen. Die frostige Kälte machten mir nichts aus. In der Stille und Dunkelheit des Hofes hörte man nur noch mein schluchzen. Ich konnte vor Tränen nichts mehr erkennen. Schwankend lief ich schnell ins warme Haus zurück und rannte wutentbrannt in die Wohnküche. Ich schrie meine Familie an, was ihnen einfiel mein süßes Kaninchen zu essen. Mein Vater machte sich darüber erneut lustig und kaute genüsslich auf seinem Stück Fleisch herum welches er sich vor meinen Augen in den Mund stopfte. „Hmmm, dein Schlumpfi schmeckt so lecker.“ Meine Mutter schmunzelte und meinte :" Ach komm schon, das ist natürlich nicht dein Hase. Den habe ich aus dem Supermarkt gekauft". Ich glaubte ihr kein Wort. Ich lief in mein Zimmer und weinte mich in den Schlaf. Ich weiß es bis heute nicht, was aus dem Leichnam meines geliebten Vierbeiners geworden ist. Ist er wirklich in der Tonne und auf der Mülldeponie gelandet oder in den Mägen meiner abscheulichen Familie, die mir mit diesem Abend eines neues Trauma bescherten. Die Antwort liegt irgendwo begraben.

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