Charlotte schlief noch als die Schiffsglocke läutete. Francis war bereits wach und schlüpfte in seine Kleider. “Guten Morgen liebes”, er küsste sie und setzte sich neben sie auf das Bett. “Morgen, Francis”, Charlotte setzte sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und rieb sich die Augen “Francis, man sieht eine Dame nicht so an, wenn sie gerade aufgewacht ist”. Er lachte und nahm ihre Hand in die seine “Charlotte, du hast im Schlaf geredet”. Sie winkte ab und lachte “Ich hab sicher was dummes geträumt”, versuchte sie abzulenken und lächelte. Doch Francis blieb ernst. “Was, was hab ich denn gesagt?”, fragte sie unsicher. “Bring mich heim”, gab ihr Francis zur Antwort und drückte ihre Hand. Charlotte gab Francis einen Kuss “Ich bin überall, wo Du bist, Liebster”, sagte sie “und nun lass uns aufstehen und an Deck gehen”. Sie stand auf, zog sich an und ging mit Francis an Deck. Die Mannschaft war bereits auf ihrem Posten und wartete auf den Befehl des Kapitäns, der sogleich erfolgte. “Anker lichten, hisst die Segel, auf in die Heimat”. Wenige Minuten später verließ die Lale Andersen den Hafen von Funchal.
Morgan begab sich gemeinsam mit Scully in seine Kapitänskajüte und studierte die Karten als Geraldine anklopfte und eintrat. “Käpt´n”, grüßte Geraldine “Ich weiß, wir nehmen Kurs auf Teneriffa”, Geraldine versuchte die richtigen Worte zu finden. “Was macht dir Sorgen?”, fragte Morgan. “Ich mache mir Sorgen um Aliena, Käpt´n. Ich weiß, wir nehmen Kurs auf die Heimat. Ich mache mir Sorgen um Aliena und Warlock”. “Denkst du, das sie in Gefahr sind?”. “Ich weiß nicht”, antwortete Geraldine und fügte hinzu “Ja, vielleicht”. Morgan beugte sich erneut über seine Karten, dann schaute er zu Geraldine auf, sah den besorgten Blick in ihren Augen. “Scully, wir ändern den Kurs Richtung El Golfo”.
Kapitel 47
Die Aurelia ließ vor El Golfo den Anker fallen. Günstige Winde hatten die Fahrt von Madeira nach Lanzarote beschleunigt.
Aliena freute sich darauf, das Anwesen und ihre Leute wiederzusehen, sie hatte schließlich den größten Teil ihres Lebens hier verbracht.
Nur zwei der alten Bediensteten ihres Vaters machten ihr Sorgen. Giacomo, der alte Butler und Rafael, der Verwalter.
Nachdem Aliena und Warlock mit dem Beiboot den Strand erreichten wurden sie von Rafael in Empfang genommen. “Aliena, mein Herz”, sie umarmten sich und küssten sich auf die Wangen. Rafael wischte sich eine Träne aus dem Auge. “Entschuldige, ich habe mir schon Sorgen gemacht”, dann musterte er Warlock und schaute sich um. “Wo ist…”. Aliena ließ Rafael nicht weiter zu Wort kommen “Das ist Warlock”, sagte sie freudig und küsste Warlock auf den Mund “mein Matrose, mein Lebensretter, mein Mann fürs Leben”, sie nahm Warlock an der Hand, klopfte Rafael auf die Schulter “Lass uns nach oben gehen, dann erzähle ich dir alles”. Sie bestiegen die Pferde und erreichten nach einer halben Stunde das ehemalige Anwesen von Don Pedro.
Auf dem Weg hatte Aliena ununterbrochen geredet, hatte Warlock die Gegend erklärt, Rafael über ihre Lieblingsstute ausgefragt, die ein Fohlen bekommen sollte, war überschäumend guter Laune gewesen.
Als sie auf den Hof ritt, verstummte sie abrupt. Alle Angestellten und Bediensteten standen vor der Haupttür, angeführt von Giacomo.
Sein feindseliger Blick war ihr nicht entgangen. Sie ritten an ihm vorüber zum Haupthaus und aus den Augenwinkeln heraus nahm sie wahr, wie Giacomo ihnen folgte. Aliena wusste, Giacomo hatte Don Pedro erwartet und das sie nun an seiner Stelle voranritt ließ für den Diener nur einen Schluss zu. Der Patrone war auf der Strecke geblieben.
Bevor sie abstieg, wendete Aliena ihr Pferd, sodass sie alle sehen konnte.
“Ich weiß, Ihr habt meinen Vater erwartet. Ich muss Euch leider mitteilen, dass er nicht mehr unter uns weilt. Ich bin seine Erbin, also jetzt die Herrin über alles hier. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen. Vorerst wird sich nichts ändern. Giacomo, bitte komm nachher in mein Arbeitszimmer. Und jetzt geht bitte wieder an Eure Arbeit, ich danke Euch.”
Sie hörte die Bediensteten miteinander tuscheln. Es waren Stimmen der Erleichterung darüber, das die Zeit mit dem alten Menschenschinder endlich vorüber war. Andere hingegen fluchten und schimpften darüber, das ein Weibsbild nun das Erbe des Patrone in Hand nehmen würde.
Giacomo setzte an, etwas zu sagen, öffnete schon den Mund, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Seine Augen hatten einen abwesenden Ausdruck, als sei er gar nicht betroffen. Er drehte sich um und ging mit den anderen Hausbediensteten hinein.
Im Haus angekommen machten sich Aliena und Warlock über das frische Obst her und erzählten Rafael abwechselnd, manchmal durcheinander was ihnen widerfahren war. Rafael war sichtlich erschüttert darüber, was Aliena und Warlock über die vergangenen Ereignisse, die Auseinandersetzung mit Ramirez, und das letztendlich tödliche Schicksal von El Torso und Don Pedro auf Madeira berichteten.
Giacomo konnte sich nicht erinnern, was er als letztes getan hatte, also begab er sich zunächst in Don Pedros Suite. Hier fiel es ihm wieder ein, er war dabei gewesen, etwas sehr Wichtiges zu erledigen. Er ging noch ein paar Schritte weiter in das Arbeitszimmer seines Herrn. Jetzt würde sicherlich Aliena mit dem jungen Mann hier einziehen wollen.
Er musste unbedingt … etwas Wichtiges … gleich würde es ihm wieder einfallen, ganz gewiss.
Der Patrone, er würde jeden Augenblick eintreten. Alles musste an seinem Platz sein. Aliena und Warlock waren eine Gefahr. Er musste schnell handeln. Giacomo verließ das Arbeitszimmer und begab sich zu den Wachen “Eine Verschwörung”, rief er “Nehmt Rafael, Aliena und den Fremden in Gewahrsam”.
Die Wachen zögerten nicht lange. Jeder wusste, das Giacomo dem Patrone stets treu zur Seite stand.
Der diensthabende Wachmann blickte von seinem Journal auf und sah ihn verwundert an. “Wieso Aliena? Und Rafael? Giacomo, wovon redest Du denn?” Er bedeutete den anderen Männern, sich ruhig zu verhalten.
“Don Pedro wird jeden Moment hier sein! Das ist eine Verschwörung! Sie will alles an sich reißen, das dürfen wir nicht zulassen …” Er hatte den Wachmann am Ärmel gepackt und versuchte, ihn mit sich zu ziehen. Dazu reichten seine Kräfte aber schon lange nicht mehr aus und im nächsten Moment stand er da und schaute ihn verwundert an. Was … oh ja, die Verschwörung!
“Wir müssen sie festsetzen, so glaubt mir doch!”, zeterte er.
Der Wachmann beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und gab den anderen Männern jetzt das Zeichen, ihn zu begleiten.
“Aufstand, Meuterei”, zeterte Giacomo weiter und einige der Bediensteten wurde auf ihn aufmerksam.
Aliena, Warlock und Rafael hatten die letzte halbe Stunde damit verbracht, in der gemütlichen Bibliothek bereits über die neue Ausrichtung der Geschäfte zu sprechen. Rafael war sehr damit einverstanden, den Handel mit Weinen, Stoffen und Gewürzen auf eine breite Basis zu stellen und auf die umliegenden Länder auszudehnen.
Erschrocken zuckten alle drei zusammen, als die Wachen ungestüm die Tür zur Bibliothek aufrissen. Giacomo geiferte von hinten, “Da seht ihr es, sie stecken die Köpfe zusammen! Verschwörung! Meuterei! Don Pedro wird sogleich kommen und dann …”
Aliena stand gelassen auf und trat furchtlos auf die Wachen zu. “Was soll das bedeuten, Carlos? Don Pedro ist tot. Giacomo, was redest Du da?”
Carlos sah peinlich berührt aus, wich aber nicht zurück.
Sie nestelte einen Gegenstand in einem seidenen Tuch aus einer ihrer Rocktaschen und hielt ihm die flache Hand unter die Nase. Sofort erkannte er den schweren goldenen Siegelring, den Don Pedro immer an der rechten Hand getragen hatte. “Hier, seht ihn Euch an! Das ist der Ring meines Vaters. Und jetzt geht bitte.”
Carlos drehte sich zu Giacomo um, aber der war nicht mehr da.
Hilflos wandte Carlos seinen Blick Aliena zu. “Seit eurer Abreise hat er sich sehr verändert, Herrin. Das Alter macht ihm schwer zu schaffen.”
“Das ist offensichtlich. Ich werde mich später um ihn kümmern. Wenn du ihn siehst, erinnere ihn daran, dass wir uns im Arbeitszimmer meines Vaters treffen wollten.”, Aliena lächelte Carlos an und bekräftigte mit einer Handbewegung seine Entlassung aus dem Gespräch an. “Geht nun wieder auf eure Posten.”
Indes machte sich der verärgerte Giacomo auf den Weg zur Küche. Der Vorfall in der Bibliothek war ungeheuerlich. Waren denn alle blind geworden? Wie deutlich musste diese unrechtmäßige Machtübernahme denn vonstattengehen, damit hier irgendjemand reagiert? Vor sich hinbrabbelnd lief Giacomo die Gänge seinem Ziel entgegen. Ein Küchenjunge, beladen mit einem Tablet voller Naschwerk, kam um die Ecke und nickte dem Diener höflich zu, als sich ihre Wege kreuzten.
“Einen Moment!”, rief Giacomo, als der Junge schon fast an ihm vorbei war. Dieser blieb überrascht stehen.
“Wo bringst du diese Leckereien hin?”
“In das Arbeitszimmer des Herrn … äh, der Herrin.”, stotterte der Junge.
Die ärgerliche Situation in der Bibliothek verschwamm hinter nebligen Gedankenschleiern. In Giacomos Kopf machte nun eine wichtige Aufgabe breit. Der Schutz des Hauses.
Seine Gedanken überschlugen sich. Don Pedro - Warlock - Aliena. Warlock hatte mit diesem Lord zu tun. Franziskus - Francis. Lord Francis Fulton. Don Pedro´s Feinde.
“Gib das her und troll dich. Ich mache das.”, schnauzte er den erstaunten Küchenjungen an, nahm ihm das Tablet ab und ging weiter. Ich werde euch ein paar Erfrischungen vorbereiten, Herrin, dachte er bei sich als er die Küche betrat.
Zwei Mägde waren dabei aufzuräumen und sammelten die beschmutzten Tücher und Tischdecken des letzten Mahls, um sie in Körben zur Waschküche zu bringen. Giacomo stellte das Tablet auf dem großen Arbeitstisch ab und wandte sich an die Frauen.
“Macht, dass ihr rauskommt! Und das mir ja keine Flecken auf den Tüchern zu sehen sind!”
Die Mägde knicksten und verließen eiligst den Raum.
Giacomo wartete bis die Schritte der Mägde verhallt waren. Dann schaute er sich um, nahm sich einen Teller und ein weiteres Tablet. Aus der Innentasche seiner Jacke fischte er ein kleines Fläschchen hervor. Er hatte es immer bei sich. Es in seinem Zimmer unter seinen Habseligkeiten zu verstecken, schien ihm nie ratsam. Gut so. Nun würde er es brauchen.
Ein paar Tropfen der Tinktur auf die kandierten Früchte, die er auf dem kleinen Teller zurechtgelegt hatte. Ein paar Tropfen in den Portwein, den er auf dem Tablet nebst Gläser dazugestellt hatte. Er war fertig mit seinen Vorbereitungen. Ein schnellwirkendes Gift. Giacomo grinste vor sich, als er sich mit der tödlichen Fracht auf den Weg zu Don Pedros Arbeitszimmer machte.