Schifffahrt, Nautik und Orgeln

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In Österreich kann, statistisch betrachtet, jeder 3. Pflichtschulabsolvent nicht sinnerfassend lesen. Das muss man sich einmal im Hirn zergehen lassen. :wink:

Eine Aufgabe aus einer meiner letzten Klausuren lautete:
“Das Vorhandensein von Sommersprossen ist gegenüber dem Fehlen von Sommersprossen dominant.”
Den farblich hervorgehobenen Teil hatte auch ein Schüler im Aufgabentext markiert. Und dann versucht, die Aufgabe so zu lösen, als werde das Fehlen von Sommersprossen dominant vererbt …
Dazu fällt mir nichts mehr ein. (Schnitt der Klausur: 3,7 Punkte.)

LG
Pamina

Du hast meinen / unseren vollsten Respekt und Anerkennung. In Zeiten wie diesen, einer der härtesten Berufe. Vor allem wenn man sich der erfolgten Veränderungen der letzten Jahrzehnte bewusst ist.

Darf ich mich noch erkundigen…

  • wie lange schon?
  • welche Fachbereiche?
  • wie lange darfst/musst du noch?

Ich bin aufgrund meiner Erfahrung einfach der Überzeugung, dass Schüler durch digitale Technik schlechter bis gar nicht lernen und auf keinen Fall besser. Gute Schüler lernen damit vielleicht genauso gut wie ohne, schlechte Schüler aber auf jeden Fall schlechter. Ich weiß nicht, warum ich noch Hausaufgaben aufgeben und kontrollieren soll, um den Schülern wenigstens ein Minimum an Übung zu geben, wenn sie alle Ergebnisse nur noch aus dem Internet abschreiben. Und sie geben das auch ganz offen zu.

  • Erklär das mal in deinen eigenen Worten.
  • Keine Ahnung. Stand so im Internet.
    Und wenn es falsch war, was sie abgeschrieben haben, empfinden sie das nicht als ihre Schuld. Stand ja so im Internet, also können sie nichts dafür.
    Bestimmt verdient dieser Beruf Respekt und Anerkennung, aber ich mache mich dafür nicht mehr tot. Ich hatte schon 2x einen Burnout und konnte mehrere Wochen gar nicht mehr unterrichten. Ich suche jetzt schon nach Möglichkeiten, die Arbeitsbelastung für mich möglichst gering zu halten. Ich habe früher viel Zeit und Energie in Unterrichtsvorbereitung gesteckt, sehr viel Material aus Papier und Laminierfolie gebastelt (z.B. Chromosomen mit einem Klettverschluss in der Mitte, um den Unterschied zwischen Mitose und Meiose zu erklären) - gebracht hat es nichts.

Wie lange schon? 2000 bin ich ins Referendariat eingestiegen und musste von Anfang an eigenverantwortlich unterrichten. Es gab kein Einstiegssemester mit Hospitationen oder so, es ging sofort los. Mit Klassenarbeiten, Zeugnisnoten und allem, was dazugehört.

Meine Fächer sind Französisch und Biologie, aber Französisch unterrichte ich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Und werde ich an dieser Schule wohl auch nicht mehr. Die lassen das auslaufen. Spanisch ist auf dem Vormarsch. Anfangs war ich etwas enttäuscht, weil der Staat ja Geld in mein Studium investiert hat - und nun will er das alles nicht mehr haben? Meine ganze Expertise umsonst? Aber jetzt ist mir alles recht, was die Arbeitsbelastung reduziert. Und es ist weniger Arbeit, nur noch ein Fach zu unterrichten. Es macht auch wenig Spaß, eine Sprache zu unterrichten, wenn niemand ein Minimum an Vokabeln lernt.
Ich mache dieses Jahr 2 Stunden Englisch fachfremd in einer kaufmännischen Berufsschule. Aber Englisch zählt da nicht mal zur Versetzung. Das ist also mehr happy go lucky. (Wozu sollten Kaufleute im Groß- und Außenhandel auch ernsthaft Englisch brauchen??)
Biologie hat an unserer kaufmännischen Schule mit Wirtschaftsgymnasium auch keinen hohen Stellenwert - wie übrigens die anderen Naturwissenschaften auch nicht. Wer sich als Schüler für Naturwissenschaften interessiert, geht an ein agrarwissenschaftliches oder ein technisches Gymnasium. Naturwissenschaften sind bei uns die Hassfächer Nummer 1. Steht jedenfalls immer wieder so in den Abizeitungen drin. Und ich habe oft das Gefühl, im Klassenraum vor einem Haufen toter Fische zu stehen …

Wenn ich nicht zufällig einen Roman auf den Markt werfe, der ähnlich erfolgreich ist wie Harry Potter, werde ich noch bis Anfang der 2040er Jahre durchhalten müssen. Falls sie bis dahin das Pensionseintrittsalter nicht auf 90 Jahre angehoben haben …

Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich hätte kein Problem damit, hart in meinem Beruf zu arbeiten. Er war früher immer mein Traumberuf. Ich habe sogar schon vor meinem eigenen Abitur meine Lehrer gefragt, ob ich mal in den unteren Klassen unterrichten darf, um zu sehen, ob mir das gefällt. Wenn ich für eine Sache brenne, kann ich ein richtiger Workaholic werden.
Aber wenn man seit fast 20 Jahren immer nur Klausurenschnitte um die Note 4 herum oder schlechter bekommt, wenn man sich an den Lehrplan hält, macht es irgendwann keinen Spaß mehr. Am schlimmsten ist der psychische Druck von oben. Dauernd heißt es: Gib bessere Noten, sonst wandern uns die Schüler zu anderen Schulen ab. Mach leichtere Klausuren und Klassenarbeiten. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon wegen zu schlechter Notenvergabe von irgendwelchen Schulleitern verschiedenster Schulen abgekanzelt wurde. Die Abiturprüfungen (meistens habe ich nur mündliche, selten schriftliche) zeigen mir dann immer wieder, dass ich mit “meinem Niveau” gar nicht so falsch liege. Aber für unsere Schüler ist es viel zu anstrengend und schwierig, sich in Biologie hineinzuknien. Dabei wären Naturwissenschaften angesichts der Umwelt- und Klimaprobleme so wichtig …
Die Schüler trifft nur bedingt eine Schuld. Wenn die in der Mittelstufe ebenfalls weggelobt werden, kommen die zu uns mit einem 2er-Zeugnis, können aber höchstens so viel (oder wenig) wie Grundschüler. Wie soll ich jemandem beibringen, wie Proteine biochemisch aufgebaut sind und wirken, wenn derjenige nicht mal weiß, wie ein Atom aufgebaut ist, was Wasserstoffbrückenbindungen sind, oder das Element Sauerstoff mit S statt mit O abkürzt? Im Grunde müsste ich den gesamten Stoff seit der 5. Klasse auch noch in meinem Unterricht unterbringen, damit die Schüler überhaupt eine Chance haben, den Stoff der Oberstufe zu verstehen. Und dafür habe ich dann meistens nur eine Doppelstunde in der Woche zur Verfügung … Und die Schüler gehen natürlich den leichten Weg. Suchen sich alle Schlupflöcher, um möglichst wenig tun zu müssen. Man kann ja bis zu 8 Kurse unterpunkten und wird trotzdem noch zum Abitur zugelassen. (Vier der acht Kurse scheinen bei vielen dann Bio zu sein …) Wenn ich daran denke, was ich fürs Abi alles können musste …
Bildung ist in Deutschland nur noch Einbildung.

LG
Pamina

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