Das Schmuckvolle Pilzen sammeln!
Der Geruch von frisch gebratenen Pilzen, lässt mich heute wieder an die Zeiten denken, wo ich ein kleiner Bub war. Meine Frau brät sie ebenso, wie Oma damals. Dort stand sie Sonntagmittag am Kohleherd, um die Pilzen zubereitend, nachdem wir aus dem Wald gekommen waren, und unsere Körbe auf dem Küchentisch leerten, wo es Steinpilze, Pfifferlinge und sogar Eichenrotkappen, welche selten sind, lagen. Gemeinsam wurden die Fungi geputzt.
Während meine Frau die Pilze mit Kartoffel und Knoblauch zu einem schmackhaften Gericht kocht, wandern die Gedanken zurück in eine Zeit, an einem bedeutungsvollen Sonntag, wo man zum Pilzsammeln aufbrach.
Es war warm an diesem Sonntag, als wir in die Pilze fuhren. Oma Johanna stand zum Abschied, oben auf der Betontreppe, die ins Haus führte und winkte. Foxy, der quirlige Foxterrier versuchte, mit in das kleine Auto zu drängeln.
Der NSU Prinz 1000 von Onkel Bruno war aber schon jetzt zu beengt, für seine Fahrgäste. Welche da sind: Brunos Frau Renate mit der hoch toupierten Haarpracht. Opa Otto, der selbsternannte Pilzexperte (ohne ihn wären wir gar nicht erst aufgebrochen), und zu Letzt, meine Wenigkeit, der Enkel und Neffe - das Kläuschen.
Ich hatte mich im Fond neben Opa platziert, als Foxy sich zwischen Onkel Brunos Beinen zu mir durchgemogelte, auf mein Schoß sprang und meine Nase leckte.
„Oh nein“, schimpfte Tante Renate vom Beifahrersitz, „der Hund kommt nicht mit. Los, raus mit dir du verlaustes Fell!“
„Foxy hat keine Läuse“, warf ich beleidigt ein, und zu dem Hund sagte ich: „Los Fellnase raus mit dir.“
Mit sanfter Gewalt schob ich Foxy von mir, über den Schweller des Prinzen, und aus dem Wagen. Onkel Bruno klappte den Fahrersitz zurück und stieg hinters Lenkrad.
„FOXY! KOMM HIER!“, hörte ich Oma von der Treppe rufen, während sie dem lebhaften Hund entgegenkam.
Endlich führen wir los und ich winkte Oma, die Foxy am Halsband festhielt.
Opa hatte zu alledem nichts gesagt, aber so war der alte Bergmann, was hätte er nutzvolles dazu zu sagen gefunden.
Wir fuhren in Richtung Stadion der Spielvereinigung Erkenschwick, wo ich in der F-Jugend spielte, und bogen rechts auf die Stimbergstraße, wo Onkel Bruno dann ordentlich Gas gab.
Im NSU röhrte es so laut, dass ich kaum meinen eigenen Gedanken hörte. Und die Tante sagte zu ihrem Mann etwas, woraufhin er vom Gas stieg und die Fahrt langsamer und leiser wurde.
Wir bogen links ab, querten die Friedhofstraße, die am Waldfriedhof vorbeiführte, wo meine Urgroßmutter lag. Folgten dann die Klein-Erkenschwicker - bis zur Haardstraße, die zur Gastronomie Mutter Wehner führte. Hier war ich oft, nach einem ausgiebigen Sonntagsspaziergang mit den Großeltern essen. Und hier parkten wir.
„Weiter fährt man nicht, für ein Paar Pilze?“, nörgelte die Tante. Ich dachte, was würde sie sagen, wenn sie mal die Strecke zu Fuß bewältigen tät. So, als Spaziergang am Sonntag.
Mit Weidenkörbchen ausgestattet begaben wir uns auf Waldpfade. Immer tiefer bis wir mittendrin waren, in der urwüchsigen Haard mit knorrigen Bäumen und herbstbunten Blätterdach.
„Hier ist’s recht“, sagte Opa. Das war das Erste, was er seit einer halben Stunde sprach. Er war halt ein Mann mit wenig Worten.
Onkel Bruno begab sich durch das Farnkraut tiefer in den Wald hinein. Ich folgte ihm bis zu einer Stelle, wo es eine Anzahl Pilzen gab.
„Such dir einen eigenen Ort, Kläuschen“, sagte der Onkel, „die hier sind meine.“
Ich zuckte mit den Schultern und trollte mich weiter. Zeitweise drehte ich mich um, aber sah weder Opa oder die Tante. Dann fand ich ein Feld voll Pfifferlinge, und ich sah etwas weiter Steinpilze. Ich stellte den Korb ab, zückte mein Fahrtenmesser, welches ich an meinem neunten Geburtstag bekam, und schnitt, soviel wie ich meinte, um Platz zu haben für die Steinpilze weiter von dieser Stelle. Im Handumdrehen war mein Korb gefüllt. Als ich den letzten Pilz kappte, da blinkte etwas im Boden.
„Nanu“, sagte ich leise, „was ist das denn?“
Mit der Klinge wühlte ich den Waldboden drumherum auf, und legte eine prächtige Halskette frei. Sie war schwer und mit blauem Steinen besetzt. Ich dachte, das ist ja ein richtiger Schatz.
„Opa!“, rief ich laut, während ich mich aufrichtete und den Schmuck in der Luft hin und her schwenkte. „Opa! Komm schnell her! Ich hab was gefunden!“
„Grund gütiger, was schreist du hier so?“, kam Bruno durch den Farn zu mir. Ich streckte ihm das Schmuckstück entgegen, und sagte: „Sieh Onkel, das hab ich gefunden.“
„Junge“, stöhnte er geblendet von dem, was er in meiner Hand sah. „Wo?“ Doch bevor ich ihm die Stelle zeigte, kam die Tante und Großvater hinzu.
Renate war, beim Anblick auf des Colliers, so erregt, dass sie kaum ein verständliches Wort hervorbrachte. Ihr Blick irrte zwischen uns Männern hin und her, na ja, zwei Kerle und ein Junge. Großvater beugte sich vor. „Ist das die Stelle?“
Ich nickte, als Opa auf die kleine Kuhle zeigte. Er kniete nieder und wühlte den Waldboden dort am Fundort weiter auf und tiefer, dann hörten wir ihn sagen: „Wusste ich`s doch. Das da mehr ist.“
Mit beiden Händen fuhr er ins Loch, ruckelte und zuckelte, und Schwups, hatte er eine Blechschachtel hervorgezaubert.
„Sieht ramponiert aus, fast weggerostet das Teil. Welch eine lange Zeit das hier vergraben lag“, meinte Onkel Bruno.
„Schätze mal, seit dem Weltkrieg“, sagte Großvater, und öffnete den verrotteten Blechdeckel des Kästchens.
Alle Augen richteten sich auf den Inhalt. Da waren zwischen Erdklumpen weitere Schmuckstücke: Ringe mit und ohne Steine. Armreifen und Kettchen. Ohrringe. Wenn das alles echt ist, dachte ich, ist das ein Vermögen wert.
„Was ist das für ein Tand?“, Tantes Stimme zitterte, als sie es sagte.
Großvater holte nach und nach Schmuck aus dem Behälter, befingerte es und betrachtete es eingehend. Er macht „hm“, und „aha“, und murmelte für sich hin. Gab die Stücke den anderen weiter, die gleichermaßen staunend alles besahen. Dann sagte er: „Nazi. Aber ja. Eindeutig.“
„Das sieht mir mehr, wie Diebesgut aus“, widersprach der Onkel. „Wie kommst du darauf, Vater? Woran meinst du es als Nazi … Beute fest?“
„Es sind die Zähne“, sagte Opa trocken. „Ich habe das schon einmal gesehen. Damals im Krieg. Es gab da welche, meist Offiziere der unteren Stufe, die den Toten die Goldzähne ausbrachen.“
Tante Renates längliches Schafsgesicht wurde ein wenig länger. „Das ist ja furchtbar.“
„Zähne?“, fragte ich erstaunt. „Welche Zähne?“
Großvater kippte aus dem Kästchen Schmutz und kleine Goldnuggets in seine Hand.
Dachte ich zumindest.
„Es sind Goldzähne“, klärte er uns auf. „Seht.“
„Oh, Gott! Wie widerlich!“ Die Tante wendete sich angeekelt um, sie scheute den Anblick auf die kleinen Dinger in Opas schwieliger Hand.
Nach dem Essen stand ich vom Tisch auf und schlenderte verträumt hinüber zur Anrichte. Ich zog die rechte Schublade hervor und entnahm ihm ein kleines Schmuckkästchen mit Intarsien aus Ebenholz. Darin waren die Schmuckstücke aus dem Wald. Opa hatte sie behalten, und ich erbte sie. Nur die kleinen Dinger, die der Tante Übelkeit bereitete, waren nicht dabei. Opa warf sie fort, und der Wald verschlang sie mit den Jahren.