Hallo, ich mache den Lehrgang “Große Romanwerkstatt” bei der Schule des Schreibens. Dabei hatten wir die Aufgabe eine Szene eines Psychothrillers zu schreiben, mit folgenden Vorgaben:
Protagonist: Ein Programmierer mittleren Alters, der wenige soziale Kontakte hat
Antagonist: Ein junger Mann, der sich in den Wohnungen anderer Menschen aufhält und deren Sachen benutzt
Maximal 5000 Zeichen (mit Leerzeichen).
Freue mich über Feedback https://www.autorencampus.de/forum/images/smilies/icon_smile.gif
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Feierabend**
Niklas erschrickt, als er den Schlüssel in die Wohnungstür gleiten hört. Schnell schwingt er seinen sportlich-hageren Körper aus der Badewanne. Schwielen und Striemen überziehen den zarten Rücken des Einundzwanzigjährigen. Die Selbstgeißelung hat er für sich neu entdeckt. Ausschließlich mit Werkzeugen, vorzugsweise Gürteln, seiner Mitbewohner, die nichts von ihm wissen.
Mist, ich habe den Gürtel auf dem Bett liegen. Niklas ist zu spät. Ricky öffnet bereits die Haustür.
Komisch. Ich hätte schwören können, dass ich die Tür vorhin abgeschlossen habe. In letzter Zeit bist Du ein bisschen durcheinander. Das geht ja früh los. Ricky seufzt beim Betreten der Wohnung. Sein Blick fällt auf die verschlossene Schlafzimmertür. Er erstarrt augenblicklich. Eine befremdliche Besorgnis steigt in ihm auf. Bei ihm stehen die Zimmertüren wegen der Belüftung immer auf. Er lauscht in die Wohnung. Nichts. Entschlossen macht er einen Schritt auf das Schlafzimmer zu. Der Dielenboden knarzt unter seinem Gewicht. Mit einem mulmigen Gefühl öffnet er die Tür: alles wie immer. Das Bett zerzaust, der Rechner surrt.
Die Einsamkeit macht mich noch schizophren. Über sich selbst den Kopf schüttelnd geht er in die Küche.
Das war knapp. Niklas kriecht unter dem Bett hervor. Er zieht die getragene Socke von Ricky, die er sich als Knebel bis zum Brechreiz in seinen Mund gestopft hat, heraus. Er liebt es, wenn seine unfreiwilligen Mitbewohner ihn fast ertappen. Da spürt er kurz, dass er lebt. Heute Nacht hatte er sich sogar unter dem Bett herausgetraut. Hat sich zu Ricky IN die Koje gelegt. Seine Nase in die Achselhöhlen des Älteren vergraben, um dessen Ausdünstungen tief in sich aufzunehmen. Ja, das hatte er verdient.
Einem Impuls folgend schleicht Ricky in das Wohnzimmer. Er schläft, arbeitet und lebt in seinem Schlafzimmer. Hier hat er es sich wohnlich eingerichtet. Die anderen beiden Wohnräume sind von seiner Mutter modern durchgestylt. Sie erinnern in ihrer Sterilität eher an ein Museum, als an ein Zuhause. Nur weiß und schwarz. Ihr war das wichtig, ihm egal. Der Flachbild-TV ist auf Standby. Ricky ist sicher, dass er ihn nach der letzten Benutzung ausgeschaltet hat.
Ich habe Hui Bui in der Wohnung. Er muss kichern, obwohl ihm mehr als mulmig zumute ist. Auch die weiße Stoffcouch sieht benutzt aus. Langsam kriecht die Panik in ihm hoch. Er weiß gar nicht, wann er hier das letzte Mal gesessen hat. Vielleicht mit Claudia? Aber an den Abend denkt er lieber nicht zurück. Weiber. Braucht er nicht. Er streicht die Couch glatt, als ein Scheppern aus der Küche erklingt. Er erstarrt. Traut sich nicht mehr zu atmen.
Drehe ich jetzt durch? Da war doch ein Geräusch?
Er nimmt allen Mut zusammen und schleicht in die Küche. Sein Kaffee-Vollautomat füllt gerade eine seiner Tassen mit dem bräunlichen Gebräu. Verwirrt starrt er auf die surrende Maschine. Dann schaut er sich hektisch um, steckt seinen Kopf in jeden Raum. Aber niemand da. Eine Höllenangst hat sich nun seiner völlig bemächtigt.
Habe ich die Maschine angemacht? Und auf den Kaffee-Knopf gedrückt? Ohne es zu merken? Kann das sein? Vielleicht stimmt mit meinem Kopf was nicht. Das würde auch den Bug der letzten Programmierung erklären. Ein schlimmer Programmierfehler hat das Programm zur Schadsoftware gemacht. Zum Glück hat die Qualitätssicherung vor Auslieferung noch Alarm geschlagen. Das hat Ricky sehr getroffen. So ein Anfängerfehler durfte einem Genius wie ihm nun wirklich nicht passieren.
Erst jetzt fällt ihm auf, dass die Müslischüssel von seinem morgendlichen Frühstück nicht mehr auf dem Tisch steht. Er schaut in die Spülmaschine. Da strahlen ihm die Minions aus dem Porzellan fröhlich entgegen. Ricky muss sich setzen. Wie kommt die Schüssel in die Maschine? Er ist kreidebleich.
War Mama zwischenzeitlich da? Oder Einbrecher? Aber die würden ja wohl kaum mein Geschirr einräumen. Ricky zittert am ganzen Körper. Im ist kalt und heiß zugleich. Schrill läutet das Telefon. Ricky braucht einen Moment, um das Klingeln einzuordnen. Die Suche nach dem schnurlosen Apparat führt ihn wieder ins Schlafzimmer. Ein merkwürdiges Gefühl überfällt ihn, als er den Raum betritt. Irritiert schaut er sich um. Wie kommt der Gürtel auf das Bett. Und was sind das für dunkle Flecken auf dem Leder?
„Ricky Nerds“.
„Ricky, Gott sei Dank kriege ich Dich! Es ist eine Katastrophe. Wo bist Du?“
„Zuhause, wenn ich ans Telefon gehe.“
„Du musst das sofort stoppen. Was machst Du denn da überhaupt?“
„Ja, sag Du es mir. Was soll ich den machen?“
„Die Server. Alle Systemdateien sind gelöscht. Keine einzige dll mehr da. Von Deinem Rechner aus, eindeutig. Ich habe die Einträge vor mir. Stopp das sofort,“ kreischt sein Kollege kopflos in den Hörer.
Mit einer flinken Mausbewegung holt er seinen Rechner aus dem Schlummermodus. Datenfluten rennen über den Bildschirm. Ricky schlägt die Hände vor das Gesicht. Er erstarrt zur Eissäule. Das kann nicht sein. Darf nicht sein.