Prolog

Trink bitte nicht ganz so viel. Sonst ist das voll schlimm.

1 „Gefällt mir“

Sehe ich nicht ganz so. In positiven wie negativen Aussagen läßt sich „ganz“ durch „ziemlich“ ersetzen, auch in deinen Beispielen. Also relativierend, da bleibt noch Luft nach oben. Die Aussage „…war sie voll böse mit mir“ geht nach meinem Empfinden über das „ganz“ hinaus, wirkt also verstärkend.

Lustig wird es, wenn die verschiedenen Bedeutungen von „voll“ miteinander kollidieren. Gemeint war: „Mir fällt gerade nichts ein“. Die Aussage war „Ich bin gerade voll leer“. :laughing:

Dann haben wir da wohl ein unterschiedliches Sprachempfinden. Wenn ich hier mal irgendwann – sagen wir mal, drüben im Lesezirkel – schreiben sollte: »Ich finde, dieser Abschnitt ist ganz schlecht geschrieben", dann meine ich richtig schlecht (oder auch voll schlecht) und nicht nur ziemlich schlecht.
(Obwohl ich so etwas vermutlich gar nicht schreiben würde. Meistens bin lieber ganz höflich als voll ehrlich.)

Nachtrag: Hatte mich in den Threads verirrt… statt »drüben« hätte ich natürlich »hier im Lesezirkel« schreiben sollen. :wink:

1 „Gefällt mir“

Oha, da bist Du bisher der Einzige mit der Rückmeldung! Hättest Du aber ruhig sagen können; auch das ist ja Feedback! Was gefiel Dir denn an Variante eins besser; an zwei schlechter? Vielleicht kann ich ja das Beste aus beiden Varianten zusammenführen :wink:

Genau das habe ich gemacht: Ich fand bestimmte Kritikpunkte so überzeugend, daß ich eine komplett neue Szene geschrieben habe. Und mit dieser sehr zufrieden bin.

2 „Gefällt mir“

Es hat etwas gedauert, es wird unter der Woche immer dauern, weil ich den ganzen Tag mit Texten arbeite, abends textlich ausgelaugt bin und, wenn ich denn noch Textkraft habe, diese lieber in mein Buch stecke, aber: Hier kommt nun was von mir.

Die Suche zeigt, daß (auch) Journalisten das Wort falsch benutzen. Das ist allerdings kein Beleg dafür, daß sie die ersten waren, die das taten, und so das Wort versaut hätten.

Klingt in meinen Ohren alles sehr befremdlich. Auch hier: Mag sein, daß auch Journalisten diese Worte verwenden. Bestimmt sogar. Aber auch hier ist das kein Beleg dafür, daß wir damit angefangen hätten.

So sehr ich Dir übrigens zustimme, daß gerade bei Menschen, die professionell mit Worten arbeiten, solche Nutzungen ärgerlich sind, sogar besonders ärgerlich, möchte ich ein paar Dinge zu bedenken geben. Sie werden Deine Einstellung zu Journalisten sicher nicht ändern, aber vielleicht Deinem Urteil ein wenig die Grundlage für seine Verallgemeinerung nehmen.

  • Ich weiß nicht, wie viele Journalisten Du kennst; ich kenne persönlich an die 200 aus etwa 15 Redaktionen in verschiedenen Verlagen. Die allermeisten davon gehen ihrer Arbeit mit Leidenschaft nach. Da wird diskutiert, überlegt, Rat gesucht, teilweise eine halbe Stunde an einer Überschrift getüftelt. Bei einer Tageszeitung, wo sich die Nachrichtenlage teilweise minütlich ändert! (In dem Fall wird dann nicht so lange getüfelt :wink: )
    Ja, uns gehen Fehler durch. Mir sind Fehler durchgegangen, mehrere, nicht nur einer. Glaub mir, niemand ärgert sich so sehr über Fehler wie wir selber. Leser schreiben uns erboste Mails wegen Fehlern, auf Facebook stehen haßerfüllte Kommentare über unsere Inkompetenz, Leser schreien uns am Telefon an - egal, jede dieser Reaktionen ist weniger wütend als wir in solchen Momenten auf uns selbst. Wir wissen es doch, wußten es doch! Das Problem: Wir sind auch nur Menschen. Und Menschen machen Fehler.

  • Hast Du schon mal eine Polizeimeldung redigiert? Da finden sich so schöne Worte wie das Cuttermesser. Ob die Hersteller das draufschreiben oder nicht, geschenkt. Du hast diese Polizeimeldung, und Du mußt sie in den nächsten fünf Minuten online stellen. Spätestens. Das heißt, Du hast fünf Minuten, den Text zu lesen, umzuschreiben, ein passendes Bild zu suchen, Zwischenzeilen zu setzen, Links zu plazieren (die Du vorher erstmal raussuchen mußt), eine Überschrift und einen Teaser zu formulieren, einen Kollegen drüber lesen zu lassen und das Ding online zu stellen. Je nach Redaktion machst Du das so 20 mal am Tag. Polizeimeldungen sind Fließbandarbeit. Wir müssen sie haben, aber sie kommen jeden Tag im Überfluß rein. Ja, darunter leidet die Qualität, auch der Sprache. Aber wenn ich mich entscheiden muß, ob ich für meine aktuelle eigene Recherche noch tiefer gehe, ob ich noch einen fünften Ansprechpartner anrufe und noch ein weiteres Gesetz lese, um das beurteilen zu können, worüber ich schreibe, oder ob ich eine Fast-Food-Pressemitteilung raushaue, dann werde ich mich immer für die eigene Recherche entscheiden. Und die meisten Kollegen ebenso.
    Das ist der Punkt, an dem Cuttermesser nicht rausredigiert werden und / oder Fehler entstehen. Wobei das mit dem Cuttermesser auch dem Genre Polizeimeldung geschuldet sein könnte. Denn was Du lernst, wenn Du solche Texte redigierst, ist: Jedes Wort, das Du änderst, ist unter Umständen ein Fehler. Da steht was von “in Gewahrsam nehmen”, aber “verhaften” oder “festnehmen” ist einfacher, geläufiger? Ja, aber leider falsch; es handelt sich um unterschiedliche Dinge. Immerhin, den “Multifunktionsstock” kann man relativ gefahrlos als “Schlagstock” bezeichnen, auch wenn auch das strenggenommen ebenfalls nicht richtig ist. Solcher Worte gibt es dutzende, und jede Polizeimeldung ist voll davon.

  • Ich bin mir ziemlich sicher, daß es keinen Menschen gibt, der textlich alles richtig macht. So sehr man sich auch aufregen mag über Tsunamiwellen und Co. (und zwar zurecht!): Jeder hat seine eigenen sprachlichen Marotten, und manche davon sind Fehler. Die Tsunamiwelle ist ein sehr plakatives Beispiel. Viele Fehler sind subtiler, wie das von mir schon erwähnte “über 20 Euro” statt “mehr als” oder die beliebte “letzte Woche” (war es wirklich die letzte aller Wochen? Oder eher “vergangene Woche”?), der 45jährige Bäcker (ist der 45, oder arbeitet der seit 45 Jahren als Bäcker?), das gern genutzte “20. Jubiläum”, das aus gleich zwei Gründen falsch ist, und, und, und.
    Insofern hab’ ein bißchen Verständnis für die Fehler anderer.

  • Ich habe das Zitat auf Anhieb nicht gefunden und ehrlich gesagt keine Lust, es zu suchen, aber irgendwo schriebst Du von den seit Jahren sinkenden Ansprüchen in der Ausbildung im Journalismus.
    Die gibt es nicht.
    Bei Ausbildung reden wir zwangsläufig von Volontären bzw. später Redakteuren, denn der Begriff Journalist ist, im Gegensatz dazu, nicht geschützt; dafür gibt es also keine Ausbildung. Unter den Redakteuren, die ich kenne, befindet sich gerade einmal eine handvoll Menschen, die kein Studium abgeschlossen haben (die deswegen keine schlechteren Journalisten sind, aber das ist nun mal ein formales Kriterium für die Bewertung von Ansprüchen). Der Grund: Die formale Voraussetzung für ein Volontariat ist ein Mindestalter von 18 Jahren sowie Abitur, und das seit Jahrzehnten. Hier hat sich also nichts geändert. Die formale Voraussetzung für eine Anstellung als Redakteur ist ein abgeschlossenes Volontariat. Auch das hat sich nicht geändert.
    Was sich allerdings geändert hat, besonders in den vergangenen zehn Jahren: die Qualität der Bewerber. Früher war es selbstverständlich, vor einer Bewerbung um ein Volontariat diverse Praktika und eine langjährige Freie Mitarbeiterschaft bei einer Zeitung vorweisen zu können, zusätzlich zum üblicherweise vorhandenen Studienabschluß. Heute ist es kein Einzelfall, wenn der Bewerber vorher noch nicht ein journalistisches Wort geschrieben hat. Der Uniabschluß hat sich dank Bolognareform in vielen Fällen auf einen B.A. reduziert, im Extremfall also auf vier Semester Studium.
    Gleichzeitig ist der oft beschworene Fachkräftemangel mit einigen Jahren Verspätung auch im Journalismus angekommen. Will heißen: Viele Bewerber mögen vergleichsweise unqualifiziert sein und hätten vor einigen Jahren nicht den Hauch einer Chance gehabt, aber heute müssen wir ihnen zumindest den Volontariatsplatz geben und versuchen, sie auszubilden. Bei manchen klappt’s. Bei anderen nicht. Und Sprachgefühl ist etwas, das man nur bedingt beibringen kann; das muß man in seinen Grundzügen mitbringen.

Journalismus darf und soll, wie alles andere, kritisiert werden. Aber Kritik kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie so vorgebracht wird, daß sie vom Adressaten auch angenommen werden kann. Beleidigungen und Pauschalisierungen tragen dazu nicht bei. Wenn Du wirklich etwas verändern möchtest, frag doch einmal bei Dir um die Ecke bei der örtlichen Lokalzeitung nach, ob Du einen Tag hospitieren kannst, Feedback geben kannst, das Redaktionsleben beobachten und kommentieren kannst. Oder auch bei einem anderen Medium Deiner Wahl. Ich kann nicht dafür garantieren, daß die jeweilige Redaktion dem aufgeschlossen gegenüber steht. Ich weiß nur: Meine wäre es.

Viele Grüße
Buchling

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