Liebe Krimitante,
vielen Dank für deine Kritik und natürlich auch das Lob. Mir ist inzwischen klargeworden, daß meine Art zu schreiben hier im Forum auf Hindernisse – tlw. wohl auch Widerwille – stößt, weil offenbar die Mehrheit der geschätzten Teilnehmer andere Prämissen setzt, sowohl beim Schreiben als auch Lesen, als es meine Wenigkeit tut.
Dies bitte ich, nicht so (miß-) zu verstehen, als hege ich deshalb Groll oder so etwas. Im Gegenteil sehe ich’s positiv, weil es mich nötigt, das Eigene scharf und kritisch ins Auge zu fassen; oder andersherum formuliert: Wenn man mehr oder weniger immer nur im eigenen Saft schmort, entgehen einem wahrscheinlich jene Ingredienzien in der angerührten Soße, die nicht so gut passen oder eines anderen Mischungsverhältnisses bedürfen … – Will sagen: In jenen “Zirkeln”, die ich ansonsten frequentiere, kriege ich kaum Dinge zu hören, die mir hier serviert werden (da geht’s zwar auch nicht eiapopeia zu, aber aus ganz anderen [vorgetragenen] Gründen); und gerade das ist für mich inzwischen hilfreich geworden, nicht nur die eigenen Beiträge betreffend übrigens, sondern ich kann auch Aspekte aufnehmen, die hier durch das Reflektieren der Beiträge anderer “aufpoppen”. – Ich gestehe, mit diesem Effekt nicht gerechnet zu haben. Sagen wir mal: erwartet hatte ich, daß die Interessen- und Präferenzsphäre (Stil und Inhalt gleichermaßen betreffend) bzgl. ‘Literatur’ im Forum etwas “durchmischter” wäre; aber inzwischen ist mir dieser Effekt ganz recht, weil ich merke, daß er bei mir Wirkung zeitigt und ich jetzt Dinge ins Auge fassen kann, die mir vorher so nicht davor standen.
Zwar ist es nicht immer lustig, etwas einsam durch ein bestimmtes Biotop zu stolpern, in dem man mindestens ein wenig fremd ist und zugleich auch so wirkt, jedoch hat das – wie ich langsam merke --, auch Vorteile; und unter anderem hin und wieder mal dem (ja stets ein bißchen vom Ruch des Inzestuösen umflorten) Gewohnten entfliehen zu können, gehört wegen der o.g. positiven Effekten unbedingt dazu.
All dies – und Weiteres, das jetzt nicht zur Sprache kam – vorausgesetzt, möchte ich noch ein paar Anmerkungen zu deinen setzen, was den Text selber angeht:
-
Prolog (oder nicht): Ich selbst habe hier bekannt, nicht der Ansicht zu sein, es befürfe zwingend eines P(rolog)s. Im vorliegenden R(oman) ist für mich ein P allerdings zwingend, weil die formale Anlage des R’s so funktioniert, daß alle Handlungsteile streng aus der thrid-person-view erzählt werden, also dem entsprechehnden Klischee nach ein “allmächtiger Erzähler” (aE) über all dem thront. – Da ich aber aE als Konzept ablehne (dazu gleich noch etwas), führe ich mithilfe des P den dann nur noch vorgeblichen aE als Ich-Erzähler ein und entmächtige ihn zugleich! Denn wie im P ausgeführt, ist er unsicher und weiß gar nicht, was … ähm … “eigentlich passiert ist”; will sagen: er fürchtet, sich zu irren in seinen Vorstellungen darüber (vielleicht, weil er selbst ins Geschehen involviert war?) – und mehr oder weniger stellt sich damit der ganze R als ein Versuch der Vergewisserung dar.
Ich werde damit übrigens der genauen Funktion eines P gerecht, denn wörtlich übersetzt ist der P als Vor-Rede [sic] zu verstehen, die der Autor selbst seinem Werk voranstellt (das scheinen etliche Leute, die sich des Wortes ‘P’ als Kapitelüberschrift bedienen, heutzutage gar nicht mehr “auf dem Schirm zu haben”)!
Innerhalb des R tritt dieses Erzähler-Ich (EI) dann übrigens nur noch ganz selten und das Be-Deutende angehend stets marginal in Erscheinung, warum das so ist, lasse ich hier beiseite. Im P ist das Ganze ja zudem durch die Bar-Szene (bewußt) gebrochen (der dabei zum Einsatz kommende “Trick” enthüllt sich im Lauf der R-Handlung). Es gibt, dem uralten Muster folgend, dann noch einen Epilog, den spricht das EI auch tatsächlich ungebrochen (es handelt sich also um einen Epilog klassischer Provenienz, was ja beim P nicht so ist).
-
Sprache/Stil usw.: Rundweg gesagt ist meine Einstellung die folgende: U(nterhaltungs)-Literatur – mit diversen Stil-Niveaus von ‘sehr gut’ bis ‘abscheulich’-- gibts in Unmaßen, es ist eine wahnwitzige Flutung des Marktes zu verzeichnen und ich sehe aufgrunddessen nicht den geringsten Anlaß, zu einer weiteren Mehrung dieser ozeanischen und m.A.n. auch weitgehend opak wabernden Masse beizutragen. Zudem entspricht diese Art zu schreiben auch nicht ganz meinem … ähm … “Naturell”. Ich bin mit der sog. “Hochlit.” herangewachsen (bei meistens begeisterter Rezeption [bei mir bedurfte’s da niemals eines Zwanges]) – freilich genauso mit guter Kinder- und Jugendlit., die tlw. sicher auch der U-Sphäre entstammt --; und seit ich “erwachsen bin” tritt noch hinzu, daß ich mich rezeptiv auch von der Ausbildung und Profession her eher im (bitte nicht falsch verstehen) … ähm … “gehobenen Sektor” bewege.
All das “färbt ab”, wenn ich mal so sagen darf. Ob diese Abfärbung eine gelungene ist oder nicht – also hinsichtlich meines Geschreibsels --, kann ich natürlich nicht selbst beurteilen; aber wenn ich nicht wengstens so ein ungefähres “Gefühl” hätte, daß dem so sein könnte, würde ich natürlich niemals irgendetwas meiner Ergüsse anderen zeigen. Will sagen: Ein bißchen glaube ich’s … das ist aber auch schon alles … – Und Ende Gelände in diesem Sektor!
-
Inhaltliches: Natürlich – nach eben Ausgeführtem – sollte klargeworden sein, daß sich Inhalt und Form für so einen Spinner wie mich keinesfalls auseinanderdividieren lassen. Und das bedeutet dann in der Konsequenz: Einer, der so schreibt wie ich, schreibt (beinahe) notwendig sowohl in Form als auch Inhalt für manche Leute (möglicherweise sogar eine Mehrheit) einerseits “schwerverständlich” und für andere schlicht auch degoutant (oft liegt da auch 'ne Kombination dieser beiden Charakteristika vor). Jedoch gibt’s auch Menschen, die “so etwas” gerne lesen; und ich hab’s schon erlebt, daß mancher R (oder Erzählungen usw.) “auf diesem Niveau” auch dazu ursprünglich skeptisch Eingestellte begeistert haben, nachdem sie’s halt mal versuchten, ggf. auch mit Insistenz konfrontiert. Kurz: Daß so zu schreiben nur 'ne Attitude sei, die mit Größenwahn legiert oder nur von elitären Gedanken motiviert wäre, ist schlicht ein blanker bullshit!
Bei mir persönlich tritt hinzu, daß ich – nicht nur literarisch – sehr stark auf *Ich-Konzepte *und damit verbundene epistemologische und bewußtseinsphilosophische Fragen fixiert bin, was literarisch seinen Niederschlag darin findet, daß *unreflektierte *Voraussetzungen bei diesen Sachlagen (wie sie großteils bspw. die U-Literatur strukturieren) konsequent de-konstruiert werden, was dann notwendig nicht nur inhaltlich komplexere Zusammenhänge aufpoppen läßt, sondern natürlich auch … ähm … diffizilere und auch fragilere usw. stilistische Konstruktionen! – Damit stehe ich übrigens nicht allein (das ist ein Leitmotiv der modernen und insbesondere auch der aktuellen avancierteren Literatur!).
Bei mir ist es allerdings speziell kombiniert mit mythologischen Fragen, weil ich die anthropologisch einigermaßen gut belegte Theorie vertrete, daß der Mythos (als “Untergrundfolie der Mythologie”) i.S. des ursprünglichen Geschichtenerzählens [sic] auch als Welterklärung und Angst-Reduktionsfaktor nicht nur Wesentliches zur Konstitution des Menschen als Menschen beitrug, sondern “unterirdisch” bis heute die Kunst allgemein und die Literatur speziell wesentlich mitstrukturiert.
Der R des hier präsentierten P handelt das in der äußeren Form eines ziemlich labyrinthischen Kriminalfalles ab, wobei im Zentrum diverse und auch verdeckte Formen von sexuellem Mißbrauch stehen. Es ist wie in der Mythologie (die ja mit Inzest und Vergewaltigung etc. geradezu dauer-“geschwängert” ist): Die Dinge zwischen scheinbar unterschiedlichen Sphären überschneiden sich und diverse Geschichten fangen an, miteinander zu kommunizieren (das dabei entstehende “Bild” ist das eines gigantischen Netzes, einer alles überwölbenden Textur). Ein bißchen ist wie in Ecos NdR (ohne daß ich dort “abgeschrieben” hätte, denn das damit aufgerissene Feld ist ganz einfach eine tiefe Passion auf eine bestimmte Weise gestrickter sog. “Intellektueller” und wird deshalb wieder und wieder iteriert; will sagen: auch Eco hat da schon etliche Vorläufer und er hat sie ja sogar tlw. signifiziert in seinem Rosen-Roman): Die Lösung des Falles (sofern davon überhaupt gesprochen werden kann – denn nur naive Interpreten glauben, Eco hätte “seinen Fall” aufgelöst: Das hat er nicht, sondern das Rätsel stehenlassen!) erfolgt nicht mit dem üblichen Schnulli-Pulli der ewig-gleichen Durchschnitts-Krimi-Suada, sondern – soweit überhaupt möglich – mit hermeneutischer Kompetenz, also mit der Erkenntnis, daß Texte und Erzählungen einen Sinnhorizont aufscheinen lassen, von dem her Lösung möglich ist, aber immer mit dem Signum der Vagheit versehen. Eine “letzte Wahrheit” gibt es nicht …
Damit ist der Kreis geschlossen. Ich habe meine Antwort mit dem Prolog angefangen und seinem Ich-Erzähler und daß er “ein Problem hat”, auch nachdem scheinbar “alles aufgeklärt” ist …
Viele Grüße von Palinurus