Hallo an alle Fans und Autoren von historischen Krimis! (Und natürlich alle, die sich auch so mit dem Thema auskennen. )
Ich habe folgende Frage: Wie geht die Polizei (bzw. Gendarmerie) vor, wenn sie einen Verdächtigen in einer Kriminalsache befragen will?
Wird der- oder diejenige von zwei Gendarmen abgeholt? Bekommt er eine Vorladung? Befragen die ihn oder sie zuhause oder in der Wachstube (falls die so heißt)?
Kennt ihr fiktive oder wissenschaftliche Literatur, die solche Vorgänge ausführlich beschreibt? Gibt es digitale Archive, wo vlt. Protokolle oder ähnliches nachgelesen werden können und ich mich nach Herzenslust durchwühlen kann?
Mir geht es nicht um die eigentliche Ermittlung, da die Gendarmen nur am Rande auftreten. Ich will nur, dass ihr Zusammentreffen mit meiner Hauptfigur möglichst historisch korrekt ist.
Ich habe mich auch schon ein wenig belesen zur Geschichte der Gendarmerie und mir verschiedene Kriminalfälle der Zeit angeschaut, aber zum konkreten Vorgehen konnte ich leider noch nichts finden.
Kann mir da jemand weiter helfen?
Ich meine, dass es auch hier im Forum schon mal irgendwo einen Thread zu polizeilichen Ermittlungen im 19. Jahrhundert gab, aber den habe ich leider nicht wieder gefunden…
Ich habe so dies und das mal in eigener Sache ermittelt, wie z. B. den Fall des Jack the Ripper, diese Taten geschahen allerdings zwölf Jahre früher und in London. Und die Morde in Hinterkaifeck haben mich sehr interessiert, zumal ich ganz in der Nähe einmal gewohnt habe. Das war dann 1922. Ich hänge also informationstechnisch ziemlich dazwischen. Aber wenn es denn hilft.
Im Allgemeinen waren die Polizisten nur wenig anders in der Gesinnung, wie die Kriminellen. Der Ruf des Polizisten war denkbar schlecht. Sie waren bestechlich, korrupt und brutal. Es gab keinerlei Ausbildung und meist war der Bildungsgrad ziemlich niedrig. Viele Ex-Soldaten gingen nach ihrem Militärdienst zur Polizei. Die Ermittlungen - wenn es sich nicht um ein extremes Kapitalverbrechen handelte - wurden ziemlich schlampig abgearbeitet. Verbrechen die in der unteren Gesellschaftschicht geschahen, ließ man oft einfach laufen. In den USA nannte man das bei den Afroamerikaner schlicht Schuhputzermord, es wurde gar nicht erst ermittelt. Verhaftungen geschahen zu mindestens zweit und recht brutal, der Einsatz des Schlagstockes war beliebig. Verhöre/Befragungen fanden in den jeweiligen Lokalitäten statt, wie z. B. bei Zeugenaussagen. Nur bei böseren Delikten wurde verhaftet und ins Präsidium bzw. nächste Polizeistelle verfrachtet.
Vielleicht hilft es ja.
Ich weiß nicht, inwiefern es den Tatsachen entspricht, aber ein gutes Gefühl für die Atmosphäre bietet der Film “From Hell” mit Johnny Depp. Auch darin geht es um die Morde von Jack the Ripper. Vielleicht inspiriert dich das ja.
Wo spielt denn das Ganze? In welchem Land? Auf dem Land, in der Stadt? In Berlin, wenn es um Ringvereine geht, wird das anders abgelaufen sein, als in einem Dorf, wo der Gendarm den Verdächtigen “Hendldieb” kennt, seit er ein Bub war. Bisserl mehr Informationen wären hier nicht schlecht.
Meine Geschichte spielt in einer fiktiven Stadt in Süddeutschland, etwa von der Größe Nürnbergs. Der Verdächtige ist ein Student, der von einer Zeugin wiedererkannt wurde und nun befragt werden soll.
Inspiration ist immer gut! Einfach auch fürs Feeling. Super Tipp!
Das ist definitiv schon mal hilfreich! (Grad mal bissi Wikipedia zum Thema Hinterkaifeck gelesen, das ist ja gruselig… )
Es handelt sich zwar um ein „böseres Delikt“, aber die Gendarmen nehmen die Zeugin nicht wirklich ernst.
Sprich, es wäre mir lieber, wenn sie meinen dusseligen Studenten nicht gleich niederknüppeln und mitnehmen, sondern erstmal vorladen und auf der Wache befragen, damit mein restlicher Plan aufgeht.
Da gab es auch mal eine gute Doku, in der heutige Auszubildende der Polizei sich an dem Fall versucht und Erstaunliches herausgefunden haben. Ich finde diese Doku aber auf Anhieb nicht wieder.
Hinterkaifek ist aber schon ein Sonderfall - ziemlich brutal und die Ermittler haben damals etliche Fehler gemacht und Beweise nicht richtig sichergestellt. Vor allem wurde viel zu wenig fotografiert, obwohl das damals schon möglich war. In einem Roman sind solche groben Fehler der Ermittler - obwohl sie durchaus noch vorkommen können - eher keine gute Idee, denn die Leser erwarten, dass die Figuren immer am oberen Rand ihrer Möglichkeiten handeln. Also sollten sie nicht zu offensichtliche Fehler machen.
Wenn dein Fall nicht so schlimm oder der Student vielleicht noch kein Verdächtiger, sondern eher ein Zeuge ist, könnte ich mir gut vorstellen, dass er erst einmal vorgeladen wird. Vielleicht steht er auch im Verdacht, aber bisher haben sie noch keine Beweise dafür …
Falls du irgendwann mal die Möglichkeit haben solltest, in ein Kriminalmuseum zu gehen, kann ich das nur empfehlen. Ich war im Wiener Kriminalmuseum, habe mich aber nicht als Schriftstellerin für die Kriminalistik interessiert, da ich keine Krimis schreibe. Sonst hätte ich mir sicher mehr Notizen gemacht. Ich war vor allem an der 48er Revolution interessiert.
Recherchiere doch mal “Ernst Gennat”. Er war der Begründer der ersten Mordkommission in Deutschland (Berlin) und wurde wegen seiner Körperfülle auch “Der Dicke vom Alexanderplatz” genannt. Vielleicht kriegst du was über seine Methoden raus. Er lebte von 1880 bis 1939. Das müsste doch in deine Zeit passen. Du solltest nur bedenken, dass seine neuen Erkenntnisse sicher immer erst einige Jahre später in Süddeutschland angekommen sein dürften.
Ermittlungstechnisch ein Deasaster! Und letztendlich hat man Niemanden verhaftet. Das Bauernhaus hat man kurz nach der Tat abgerissen, aber bis heute fahren dort Touristenbusse hin und Menschenmengen glotzen auf eine große Ödfläche. Bei Rosemarie Nitribitt verliefen die Ermittlungen ähnlich und das war gut 35 Jahre später. Es rannten rund zwei Dutzend Menschen durch den Tatort, Polizei, Journalisten, sog.Schaulustige, Nachbarn, ein totales Chaos. Beweismittel, die auf Fotos noch sichtbar waren, verschwanden. Ein Graus.
Ja, aber das ist meiner Ansicht nach völlig daneben. Nicht dramaturgisch - das ist reine Geschmackssache, die Handlung hat nur wenig mit den realen Ereignissen zu tun. Du solltest eher das Buch lesen, eine Dokumentation. Leider ist sie schwer zu bekommen. Ich besitze sie nicht, durfte sie aber lesen. Dann ehr der Film „Der Totmacher“ mit Götz George. Ein Dreipersonenfilm, der fast ausschließlich aus den Gerichtakten der Verhöre besteht. Sehr dicht, sehr echt, sehr gruselig.
Die Ingredienzien im Falle Hinterkaifesk sind natürlich reizvoll, Inzest, aus dem ein Kind entstand, eine verschrobene Bauernfamilie, ein kleines Vermögen in Goldmünzen in der Schubalde, ein im Krieg verschollener Ehemann, und schließlich eben die fünf Morde. Das kann man sich als Krimiregisseur kaum entgehen lassen. Es gingen übrigens über Jahrzehnte Hinweise über den Täter immer wieder ein, bis weit in die Siebziger Jahre. Krass, krass…
Der Film ist der absolute Oberknaller. Ich mag Götz George überhaupt nicht. Aber wer diese darstellerische Leistung ignoriert, der ist nicht mehr zu retten. Habe nur ein einziges Mal etwas Adäquates gesehen. Das war Evilenko (nur im Original genießbar, weil grottenschlecht synchronisiert) und für deinen Fall leider unbrauchbar, da es um einen Massenmörder im 20. Jahrhundert geht.
Hallo SchereSteinPapier. Ich schreibe auch in dieser Zeit. Folgendes könnte Dich weiterbringen: Das wäre als Suchbegriff zum einen das “Handbüchlein für Polizeidiener” (Pappenheim 1855). Ist bei Googlebooks zu finden. Und zum anderen den Suchbegriff “Polizei 19.tes Jahrhundert und heute. Eine Gegenüberstellung”.
Ich fand beides rundum erhellend.
Hallo SchereSteinPapier,
ich darf mich auch ztu Wort melden, da ich mich ebenfalls vor einiger Zeit damit befasst habe. Deine Frage ist etwas problematisch, und zwar bezüglich der Zeit. In der Überschrift schreibst du “um 1900” (also 1895 bis vielleicht 1905), in deinem Text sprichst du von einem Thread 19. Jahrhundert. Das Problem ist: bis etwa 1850 beruhte die polizeiliche Ermittlungsarbeit im prinzip auf die alte “Inquisition”, nur etwas abgemildsert, also ohne eigentlichen Rechtsrahmen. Erst ab 1850 bildete sich das Polizeirecht, welches im Prinzip bis heute noch gilt (Ausnahmen 1933-1945).
Insofern kann man also bei Methoden und besonders bei den Rechten der Zeugen bzw. Beschuldigten von durchaus ähnlichen Methoden wie heute ausgehen.
Siehe hierzu zum Beispiel das “Kreiuzbergerkenntnis” oder “Kreuzbergurteil”. In Süddeutschland z.B. Bayern galt das “Polizeistrafgesetzbuchg für das Königreich Bayern” (über Google leicht zu finden, wenngleich auch etwas mühselig zu lesen oder das “Polizeistrafgesetz für das Königreich Württemberg” (auch Google, auch mühselig zu lesen)
Vielleicht helfen diese Tipps.
Gruzß
Alfredo
Vielen Dank für die Lektüretipps @Dagmar A. Hansen und @alfredo !
Damit werde ich mich nächste Woche ausführlich befassen
Zeitlich ist die Story auf jeden Fall gegen Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Ganz konkret eingrenzen kann (und möchte) ich es nicht, da die erzählte Begebenheit sowieso vollkommen fiktiv ist. Für mich ist die 1900 eine grobe Richtschnur, aber jeder Historiker wird mir (mit Recht) gewisse Dinge ankreiden. Das lässt sich nicht vermeiden.
Hallo SchereSteinPapier,
es gibt einen Krimi von Nikola Hahn “Die Farbe von Kristall”. Die Geschichte an sich ist für heutige Verhältnisse wohl eher unspektakulär, aber wirklich sehr spannend sind die Beschreibungen der Arbeit der Kripo, die in diesem Roman im Frankfurt von 1904 spielt. Okay, ist nicht so ganz “Süddeutschland”, aber es düfte dennoch einen ganz guten Eindruck vermitteln.
Dies insbesondere, weil es von der gleichen Autorin noch ein weiteres Buch gibt, das sie herausgegeben hat “Kriminalistische Denklehre”.
Dann gäbe es noch “Geschichte der Kriminalistik” von Dr. Manfred Lukaschewski
Vielleicht hilft dir das ja ein bißchen.
Ich habe die ganze Angelegenheit inzwischen etwas entschärft, aber mir weitere Eskalationsmöglichkeiten für Teil 2 offen gehalten.
Trotzdem ist jedes kleine Puzzleteil hilfreich, damit ich das halbwegs realistisch rüber bringe. Danke euch allen!
ich würde in entsprechenden Städten auch nach Kriminalmuseen suchen. Oder auch die Pressestelle des Innenministerium anschreiben. Erklären, was man will und ob sie den Kontakt zu Polizeihistorikern herstellen können.
Solche Dinge funktionieren recht gut und diese Leute haben ein unglaubliches Detailwissen. Die sind froh, wenn sich jemand dafür interessiert und sie erzählen können.