Kennt Ihr das?
Heute beim Hundespaziergang sinnierte ich über den aktuellen Plot einer Story nach.
Zwischen Feld und Wald hatte ich quasi meine Epiphanie…
Ich plotte und schreibe an einer Story, die grob gesagt die einfache Handlung „Monster xy bedroht Gesellschaft z“ beschreibt. Die Charaktere sind längst lebendig und relativ ausgereizt. Story recht spannend, nicht total orginell, aber routiniert und erfolgverwöhntes Muster.
Plötzlich fällt mir auf, dass es überhaupt nicht um Monster xy geht. Es geht um Familien, die auseinanderbrechen, um Sehnsucht, um Scheitern und Wiedervereinen… im Setting einer Horrorstory. Das ist die eigentliche Dramatik…
Quasi das erste Mal, dass Plot und zweite Bedeutungsebene so gravierend kollidieren, dass es mich quasi unterwegs überwältigte. Fazit ist eine ausgiebige Korrektur und Ausarbeitung des ersten Drittels - aber eine Hammer Erfahrung!
In meinen Beruf bewege ich mich nicht viel, und beim Schreiben auch nicht. Daher gehe ich regelmäßig zur Mittagspause am Fluss spazieren. (So 7km) Ich denke dabei regelmäßig über den aktuellen Plot nach. Ja, ich kenne dein Erlebnis. Deswegen plane ich Geschichten nicht durch, sondern nur Meilensteine - da kann ich spontane Ideen und Dramatiken, die plötzlich im Kopf entstehen, besser einbauen.
Das passt jetzt vielleicht nicht ganz zu Deinem Aufschlag, doch ich betrachte das mal aus einem anderen Blickwinkel:
Ich war vor ein paar Tagen sehr enttäuscht von einem Zombiefilm, in dem die Zombie-Apocalypse nur das Setting darstellt für einen sozialen Konflikt zwischen einem alleinerziehenden Mann mit Tochter und seinem Nachbarn, der nur einen Hund hat. Die Nachbarn ignorieren sich komplett, weil beide die verstorbene Ehefrau kannten. Die Tochter versucht zu vermitteln, usw.
Wenn ich einen Zombie-Film sehen möchte, erwarte ich kein Familiendrama. Will sagen: Pass auf, dass der Schwerpunkt richtig liegt und Du die Erwartungen der Leser nicht enttäuscht.
Ja, sowas kommt immer wieder mal vor. Bei mir dauert es meist eine Weile, es kann auch Jahre später passieren, dass mir auffällt: Du meine Güte … Hatte gar nicht wahrgenommen, worum es im Kern noch/auch geht … Krass …
Apropos Bedeutungsebene … Ich glaube ja nicht unbedingt an Gott, aber ich schließe nicht aus, dass der Gedanke schafft. Daher wünsche ich mir, dass nicht soooooo viel „grausliges Zeug“ geschrieben wird. Okay, das fällt mir persönlich zum Thema Horror ein
Jap, dann mal los …
Mir passierte hier auf dieser Plattform, beim Seitenwind, so ein krasser Entwicklungssprung, dass ich einen kompletten Roman, den ich so gut wie fertig glaubte, überarbeiten muss. Weniger Inhaltlich aber eben jede Menge Zeugs. Arrgl!
Ein extrem gutes Beispiel. Auch, weil die Mutter aller Zombiefilme „Night of the living dead“ genau das leistet. Zombies sind nicht das eigentlich Thema. Es geht um Gesellschaft, um Rassismus, um zutiefst menschliche Eigenschaften… Romero war ein Künstler (da traue ich mich nicht auf eine Stufe).
All diese Dinge spielen ja nicht im luftleeren Raum, man muss sie irgendwo einbetten. Warum also nicht in ein Zombie-Setting, ich (bin zwar kein Zombiefilmfan, aber) kann mir gut vorstellen, dass das frischen Wind und völlig neue Blickwinkel bringen kann.
Der Plot ist nur das Transportmittel für die Message. Am besten zu sehen bei Stephen King: Das Böse ist nur scheinbar ein Clown, ein Auto, der Teufel, eine Vampirbande. Das Böse sind wir. Kein Roman von King hat mir mehr Unbehagen bereitet als Dolores. Eben weil die Monster keine Masken trugen.
Dolores steht bei mir an zweiter Stelle, ich finde nach wie vor ‚Es‘ am gruseligsten. Wahrscheinlich, weil es darin gar nicht so sehr um ‚das‘ Monster geht, sondern jeder mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert wird.
Und um noch ganz viel mehr. Erwachsen werden, Außenseiter, jeder Charakter hat sein Trauma, Kleinstadtdynamik, Homosexualität und US Moral,…
Aber das ist es, was ich meine. Eine Ebene hat sich aufgemacht, die ich zunächst subcortikal eingebaut habe und die plötzlich mehr Aufmerksamkeit fordert.
Quasi ein Musenkuss…
ich kann auch ausgiebige Dauerläufe oder Veloausfahrten zum Eintauchen in parallele Gedankenwelten empfehlen - nur beim Schwimmen kriege ich das nicht hin
Gerade erst am Wochenende das Hörbuch dazu gehört. Leider eine sehr zusammengeschnittene Fassung, vielleicht 60 Minuten. Ich fand aber, dass die zwischenmenschlichen Konflikte hier in den Dialogen noch mehr durchkamen, als im Film.
Auch, weil man sich in einem Buch/Hörbuch mehr auf das Wesentliche konzentriert und der Splatter/Gore-Faktor gegen Null geht
Das hatte ich allerdings auch schon mal. Hab einen Horrorfilm erwartet und dann etwas gesellschaftskritisches vorgesetzt bekommen.
Horrorfilm mit Gesellschaftskritik > JAAAAAAAAAAAAA
Horrorfilm ohne Horror, ohne Zombies, ohne Wahnsinn mit Gesellschaftskritik > Enttäuschung
@michel
scheint, da hat dich dein Unterbewusstes ausgetrickst. Du schreibst (zuerst ganz unbemerkt), was dich bewegt. Ob das gut für die Story ist, kann ich nicht beurteilen. Eine ähnliche Erfahrung hatte ich jedoch auch und zumindest im Hinblick auf mich selbst, war sie wertvoll.
Und wird mit Hilfe des Monsters erzählt. Das finde ich völlig legitim, und dass Dir das vorher nicht „so bewusst“ war, sollte auch nicht stören.
Mir geht es fast immer so, dass ich beim Schreiben erst sehr spät merke, worum sich der Roman eigentlich dreht. Mein Hirn informiert mich während des Schreibens allenfalls ein bisschen über das wahre Thema oder hält mir ein Möhrchen hin (bei Dir offenbar die Monsterstory), um am Schluss dann mit Tadaaaa zu sagen: Guck mal, ging in Wirklichkeit nicht um den Kampf gegen eine Diktatur, ging um Humanität und Bildung. Ich dann: Ach so, ja, jetzt wo du es sagst …
Manchmal kommt die Erleuchtung sehr spät …
Gestern verstand ich das Diktaturprojekt. Nach zwei Jahren auf Eis. Während ich „The Anatomy of Genres“ von John Truby las (tolles Buch). Ich weiß nicht, ob es daran lag, auf jeden Fall hat es etwas in mir losgetreten.