Sehr schwieriges aber spannendes Thema. Ich ziehe hierfür mal drei bekannte und äußerst gut geschriebene Fantasywerke als Beispiel für unterschiedliche Bösewichte heran: Der Herr der Ringe, Harry Potter, Die Königsmörder-Chronik.
Obwohl ich nicht nur den Herrn der Ringe und den Hobbit, sondern auch das Silmarillion und die Kinder Húrins gelesen hab, fand ich dass Sauron und sein Meister Melkor bzw. Morgoth stets blass bleiben. Sie sind der klassische übergeordnete Bösewicht vor dem sich alle fürchten, der aber kaum in Erscheinung tritt, geschweige denn, dass irgendeine nennenswerte Charakterentwicklung stattfinden würde. So richtig Farbe gewinnt Sauron erst in Mordors Schatten (2014) und Schatten des Krieges (2017), zwei Videospielen, deren Handlung ausschließlich in Mordor stattfinden. Ich finde hier haben die Entwickler ganz schön kreative Arbeit geleistet und viele der weißen Seiten, die Tolkien hinterließ, gefüllt. Nebenbei bemerkt hatte ich schon immer den Eindruck, dass Tolkiens Weltenbau unvollendet blieb. Sauron ist jedenfalls zur Vorlage für einen langweilen Bösewicht im Fantsysetting geworden. Wer heute Fantasy schreibt kann es Tolkien zwar gleichtun, sollte aber besser mehr in Punkto Antagonist anbieten.
Lord Voldemort alias Tom Riddle ist ein wirklich furchteinflössender Knabe, den selbst junge Leser lieber Du-weißt-schon-wer nennen. Tom scheint bereits im Waisenhaus böse und da er von Salazar Slythering abstammt, scheint auch hier auf den ersten Blick keine Charakterentwicklung stattzufinden und die Dunkelheit in die Wiege gelegt. Das interessante an der Geschichte ist, dass Voldemort nach seinem gescheiterten Angriff auf Harry erst einmal an einem Comeback arbeiten muss, was ihm zwar letztendlich gelingt, er jedoch bis dahin schwach und auf die Unterstützung niederer Anhänger angewiesen ist, weil seine besten Leute zaudern ihn zu suchen. Was ihn später dazu nötigt diesen zu verzeihen, um eine neue Armee aufzubauen.
Und das ist nicht die einzige Entwicklung: Voldemort war schon vor seinem Sturz ein Mörder und mächtiger Zauberer - doch ich finde, je mehr Horkruxe Harry vernichtet, desto rücksichtsloser wird Voldemort gegenüber seinen eigenen Anhängern. So betrachtet nimmt die Dunkelheit um ihn herum tatsächlich zu.
Voldemort ist kein Charakter, in den sich der Leser hineinfühlen kann. Gut, unsterblich und mächtig, das klingt verlockend, aber seine Gestalt ist beängstigend und seine Grausamkeit abstoßend. Er wird als jemand beschrieben (vor allem im Konflikt mit Dumbledore) der das Konzept von Liebe, Freundschaft und Familie nicht versteht. Voldemort ist in seinem Herzen ein Einzelgänger, trotz seiner Anhängerschaft. Gerade aber weil es ihm nicht gelingt sich diesbezüglich weiterzuentwickeln und er sich selbst treu bleibt, finde ich, wirkt er so authentisch. Im Grunde verweigert er an dieser Stelle die Charakterentwicklung, was schlussendlich zu seinem Ende führt. Er ist ignorant und blind gegenüber Harrys Warnungen, die dieser im letzten Duell der beiden ausspricht und zaubert sich hochmütig selbst ins Verderben.
Unterm Strich ist mir ein Voldemort tausend mal lieber als ein Sauron.
Die Chandrian aus der Königsmörder-Chronik sind wie ich finde, ein höchst interessanter, aber komplizierter Fall. Die Reihe sollte eine Trilogie werden, nun warten wir Leser seit rund 10 Jahren auf den letzten Band. Die Chandrian gelten in der Welt als Märchengestalten, die nur Kinder und Narren fürchten. Dennoch singen die Kinder Lieder über sie nach dem Motto: pass auf oder die Chandrian holen dich. Obwohl man dafür verlacht werden kann, gibt es dennoch Erwachsene, die die Chandrian fürchten und keine Geschichten über sie erzählen oder ihren Namen aussprechen wollen. Kvothes erster Mentor merkt dazu im Gespräch mit dessen Eltern an, dass es zwar regionale Ängste vor Boggarts oder dergleichen Feenzeug gibt, über die aber im Nachbarland die Leute spotten. Doch die Chandrian werden überall auf dem Kontinent von Leuten des einfachen Volkes gefürchtet, was dem gebildeten Mentor zu denken gibt.
Kvothe, der Protagonist, erfährt aus eigener Hand dass die Chandrian schrecklich real sind. Dennoch kann er erstmal niemandem davon erzählen, weil er zum einen traumatisiert ist und zum anderen ihm die wenigsten Leute glauben würden, schlimmer, sie würden sich über ihn lustig machen. Die Chandrian sind eine Gruppe Unsterblicher, deren Leben wohl seit Jahrtausenden währt und keine Rücksicht auf Menschenleben nehmen, wenn es darum geht ihre Spuren zu verwischen oder ihren geheimen Plänen zu folgen. Sicherlich gibt es Geheimgesellschaften auch in anderen Büchern als Widersacher, doch gerade weil die Chandrian eigentlich jedermann bekannt sind, aber unterschiedlich über sie gedacht wird - für die einen ein Märchen, für die anderen eine Art Bloody Mary deren Namen man nicht laut ausspricht - sind sie so gute Antagonisten. Vor allem ermöglichen sie es den Autor viele Nebenstränge zu erzählen, da Kvothes erste Begegnung mit den Chandrian sich bislang nicht wiederholte. Er hat sie einmal verpasst und einmal trat vielleicht ein Chandrian als Anführer einer Gruppe von Banditen in Erscheinung, was unbewiesen ist, da keine Leiche gefunden wurde, doch ansonsten beschränkt sich Kvothes Rachefeldzug auf Informationsbeschaffung und Andeutungen im zweiten Erzählstrang, der in einer Zeitlinie spielt, in der Kvothe bei seinen Bemühungen sich zu rächen, offenbar einiges verbockt hat. Man ist wirklich gespannt wie die Geschichte ausgeht, zumal im Buch zwei unterschiedliche Legenden erzählt werden, die die Herkunft der Chandrian schildern: in der einen Version sind sie gestürzte Helden, die Verrat begingen, in der anderen Version wurden sie verraten. Hier tritt der Verdacht in den Raum, dass jemand, vielleicht die Chandrian selbst, die historischen Hintergründe nachträglich umschreiben und ihre alten Identitäten in ein besseres Licht rücken wollen. Jedenfalls ist das ganze großes Rätselraten, da sie jedoch zumindest einmal leibhaftig vor Kvothe als Gruppe in Erscheinung traten, machen sie deutlich mehr her als ein Sauron, den Bilbo nur als feuriges Auge wahrnimmt und am ehesten fürchtet, wenn ein Nazgūl nach ihm greift.
Hm. Irgendwo hab ich mal gelesen, welche Kategorien von Antagonisten es geben soll. Muss bei Gelegenheit mal schauen, was ich mir dazu notiert habe. An sich finde ich es schwieriger einen guten Antagonisten zu schaffen als einen Helden. Ich neige dazu mehrere Antagonisten auftreten zu lassen, die mehr oder weniger hierarisch untereinander stehen, wobei eigentlich mächtige Mittelsmänner dagegen weniger von Bedeutung sind als ihre Schergen.
Da wäre die Inquisitiorin Melandre, die von Kindesbeinen an gezwungen wurde der Kirche zu dienen um ihre Schwester Ysa zu schützen. Melandre ist für die Helden eine äußerst lästige, weil hartnäckige Verfolgerin, nimmt jedoch bei der ersten Gelegenheit Rache an ihren früheren Peinigern.
Ysa, die im Gegensatz zu ihrer Schwester in das Geheimnis der Kirche eingeweiht und in einen Vampir verwandelt wurde. Obwohl sie unter dem Vampirgott im Rang steht, ist sie für mich doch deutlich interessanter, wegen der plötzlichen Rivalität der Schwestern.
Der Vampirgott selbst? Abgesehen von einem Duell zwischen ihm und einer Heldin, hat er deutlich weniger Gewicht, als die schreckliche Kirche, deren Vorherrschaft er etabliert hat. Alt, mächtig und rücksichtslos flieht er ins Ausland, sobald die Wahrheit ans Licht kommt und seine Herrschaft durch eine Rebellion unhaltbar wird.
Trotz seiner Stärke ist er in dieser Welt nur ein Scheusal unter vielen, der sich am Ende dem Schrecklichsten unterordnen muss: Nidhogur, dem Todendrachen, dem Seelenverschlinger (die nordische Mythologie und die Schlange aus dem Paradies lassen grüßen).
Dann wäre da noch Okko alias Odin, der dachte er könne Hel nach ihrem letzten Verrat und einer Strafe von eintausend Jahren eine zweite Chance geben - was ihn den Großteil seiner Macht raubt und ihn zwingt in der Gestalt eines Jugendlichen ein Auge auf eine seiner Töchter zu haben, die Hels erneute Schreckensherrschaft für ihn beenden soll. Um das Geheimnis seiner Identität zu wahren agiert er genauso egoistisch wie Loki und lässt einen Unschuldigen sterben. Dennoch ist er mehr Verbündeter als Gegenspieler.
Hel (ich weiß, eigentlich ist Odin nicht ihr Vater, bei mir aber doch), die nur gegen Odins Herrschaft rebellierte um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die dafür von den Asen mit eintausend Jahren Gefängnis in einem dunken Loch bestraft wurde - und nun da Odin sie freilässt alles Übel der Welt herbeiruft um sich zu rächen. Die aber vielleicht ein falsches Spiel treibt und nur Odins größten Feind den Todendrachen Nidhogur aus der Reserve locken will, in dem sie als sein Bündnispartner weite Landesteile unterjocht? Wer weiß …
In einer anderen Geschichte habe ich einen mordlüsternen Guerilla-Fürsten, der auf Rache sinnt, sich aber in die Thronerbin des Reiches verliebt, das sein Volk fast vollständig von der Erde tilgte. In dieser Geschichte fehlt mir ein Antagonist, der an seine Stelle tritt und von beiden - dem Fürsten und der Prinzessin - bekämpft und vernichtet wird, um Frieden zu stiften. Es sollte der Anführer einer Dämonenarmee oder ein anderer Fürst werden, der nur darauf wartet, dass der Anti-Held den Kaiser ermordet, aber ich habe mich da ziemlich verrannt …