Nr. 6, "Schwarz-Rot-Blond"

So, ihr abgrundguten Geschöpfe.
Meine Nr. 6 ist fertig, und ab dem 1. April käuflich erwerbbar.
Klappentext:
In einer Kleinstadt werden reihenweise Männer umgebracht. Die beiden Ermittler, die vom Drogendezernat ausgeliehen werden, tappen völlig im Dunkeln. Karl Gebauer bekommt von all dem nichts mit, er ist vollauf mit seiner Scheidung beschäftigt.
Und was will diese blonde Frau von ihm, die ständig auftaucht?

Es geht – für mich – immer darum, etwas Neues auszuprobieren, nicht immer die gleichen Bratkartoffeln mit Spiegelei, und ich habe es mir diesmal nicht ganz leicht gemacht. Aber ich wollte auch einmal ein Ermittlerduo kreieren. Hier ist die Gefahr, dass es schnell langweilig werden kann, ziemlich hoch. Die üblichen Szenen beim Pathologen, Ermittlungen am Tatort, „Kommen Sie heraus! Seien Sie vernünftig!“, Polizistensprache, und viele weitere Fallstricke. Deshalb sind meine Cops das Drogenermittlerteam, dass aus personaltechnischen Gründen bei der Mordkommission aushelfen muss, und sie sind echt etwas durchgeknallt.
Zum Zweiten beginnt der Roman mit sofort mit einer Mordszene, und der Leser weiß somit von Anfang an, wer der Täter ist, aber darum geht es nie bei mir.
Ich gebe Euch mall die erste Szene.

Schwarz
Pia blickte begeistert aus dem Fenster. „Österreich ist so anders! Diese Häuser, supersüss!“ Sie legte Martin die Hand auf den Unterarm. „Warte, bis du die Berge siehst!“ „Na, aber da sind sie doch schon?!“ Martin lachte. „Das sind nur Hügel, die richtigen Berge kommen erst noch. Die Hütte, die ich gemietet habe ist auf 1800 Meter, du wirst staunen!“ Pia war jetzt schon überwältigt. Wie ein Kind konnte sie die Augen von der vorbeirauschenden Landschaft kaum abwenden. Sie öffnete ein Seitenfenster und der Wind wirbelte ihr langes, langes, schwarzes Haar durcheinander. „Noch ein paar Kilometer Autobahn, dann müssen wir raus, die Serpentinen hinauf. Aber es wird schon dunkel.“ Pia blickte besorgt. „Ist das nicht zu gefährlich?“ „Ja, und daher übernachten wir heute in einer kleinen Pension, und morgen starten wir dann frisch und ausgeruht.“ Pia war überwältigt. Stürmisch küsste sie Martin auf die Wange, und er verriss dabei das Lenkrad des Wagens ein wenig. „Hehe, mein Schatz, nicht so wild! Wir wollen doch nicht, dass unser Ausflug tödlich endet!“
Pia lachte und lehnte sich während der restlichen Fahrt an seine Schulter. Der Landgasthof entsprach jeglichem, alpenländischen Klischee: viel Holz und Unmengen pinker Geranien. Die Wirtin trug die hiesige Tracht und sie speisten gegen 20 Uhr auf karierter Tischdecke. Martin bestellte den frischen Bachsaibling mit neuen Kartoffeln, Pia entschied sich für die Schweinelendchen zu Gemüsen der Saison. Dazu leerten sie eine Flasche leichten Weißwein, der zu beiden Speisen gut passte. Auf dem Zimmer hatten sie ausgiebigen Sex. Martin war zärtlich, aber fordernd; Pia ließ sich gehen und gab alles. Erschöpft und verschwitzt schliefen sie Arm in Arm ein. *
Trotz der Anstrengungen der langen Fahrt, standen sie sehr früh auf. Vor lauter Vorfreude wollte Pia kein Frühstück und Martin schloss sich ihr an. Der Kaffee, den sie sich gönnten, war brühend heiß und sie bliesen kleine Dampfwolken aus den Tassen in den blauen Morgenhimmel. „Dieses Licht!“, schwärmte Pia. „Man sollte malen können!“ „Mach doch! Wir sind ja noch jung, uns stehen alle Türen offen!“
Pia schmunzelte. „Von wegen jung. Ich bin 31 und du …“ Martin winkte lachend ab. „Wie alt war ich denn heute Nacht?“
„18.“, antwortete Pia pflichtschuldigst.
An der Rezeption verwickelte Martin die Wirtin in ein Gespräch über Fischzucht und die Wirtin ihrerseits fragte, ob sie denn verheiratet seien.
„Neinnein!“, antwortete Pia. „Wir kennen uns noch nicht so lang.“
Wie lange, wollte die Wirtin wissen. Pia und Martin sahen sich an.
„Drei Monate, aber das Leben hat entschieden: Unsere Schicksale sind unzertrennlich miteinander verbunden!“, lachte Martin. Wie zur Bekräftigung küssten sie sich.
Nach wenigen Kilometern verließen sie die Autobahn und fuhren eine schmale Straße den Berg hinauf.
„Ich muss dir noch diese tolle Stelle zeigen, von der ich dir erzählt hab. So etwas Romantisches hast du noch nicht gesehen!“
Martin suchte und fand eine kleine Parkbucht und beide stiegen aus. Pia zog eine Regenjacke über ihr Top, es war kühl. Sie mussten nur ein paar Meter gehen und hinter einer massiven Wand aus hohen Fichten floss und rauschte ein Gebirgsbach durch ein steinernes Bett zu Tal. Die Strömung war sehr stark. Pia war fasziniert.
„Gott, ist das schön! Ich bin so froh, dass du mir das noch gezeigt hast.“
Martin war vorausgegangen und stand am schmalen Uferrand. Pia folgte ihm, sammelte einen etwa faustgroßen Stein auf und stellte sich auf einen Felsen hinter Martin. Sie holte weit aus und schlug ihm den Stein mit all ihrer Kraft gegen die rechte Schläfe. Martin gab einen undefinierbaren Laut von sich, er wankte, sein Körper fiel vornüber und landete zur Hälfte im Wasser. Pia suchte nach einem langen Ast, fand ihn und schob damit Martins Körper weiter in den Fluss hinein; zu guter Letzt sie gab ihm einen kräftigen Schubs. Die Strömung zerrte und riss an Martins Körper, Pia half noch einmal nach und sah unbewegt dabei zu, wie die Leiche ins Tal hinuntertrieb. Sie zog die Regenjacke aus, wusch sie im Bach und steckte sie in die dunklen Untiefen von Kofferraum und Ersatzreifen. Dann verwuschelte sie ihre Haare, verwischte ihr Mascara, schlug sich ein paar Mal mit der flachen Hand heftig auf beide Wangen, und atmete zehnmal hektisch ein und aus.
Dann nahm sie ihr Handy in die Hand.

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Juchuhuhu! Narratöör lebt! Er ist wieder da!

Vielleicht kannst du vor der Veröffentlichung aus dem supersüss ein supersüß machen. Den Rest muss ich noch lesen.

Wie kommen sie von der Frage der Wirtin zur Autobahn, die sie wieder verlassen. Dann müssen sie ja schon einige Kilometer gefahren sein. Das verwirrt mich, dachte ich doch, sie stünden noch an der Rezeption.

Wieso geht es nicht damit los? Ich persönlich fände das deutlich spannender.
So, wie es jetzt da steht, vor allem mit dem Sexsatz (einmal ganz kurz), ist der Einstieg etwas schleppend, zumindest in meinen Augen.

Ich denke, dass der geneigte Leser durchaus mit diesem Sprung leben kann. Ich kenne ja viele meiner Leser persönlich, und weiss, dass sie das verkraften. Natürlich befindet sich die Rezeption nicht im Aoto… Man könnte auch fragen, wie sind sie ins Auto gekommen, ich habe gar nicht gelesen, wie sie die Tür öffneten. Hier spare ich mir mal ein paar Worte, die werden später noch gebraucht.

Ich verstehe nicht: Mit diesem Kapitel gehts doch los???
Oder meinst Du, ich sollte direkt mit dem Killen beginnen? Ohne die Geschichte von der Urlaubsreise nach Ösiland? Ich denke, ich bereite eine Atmosphäre, die eigentlich ganz angenehm ist. Urlaub, ein frisch verliebtes Paar, die Berge und gutes Essen. Der Mord kommt dann sehr abrupt, und genau das wollte ich.

Genau das meinte ich. Fände ich spannender.

Oooch…

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Nicht weinen, lieber narratöör. Ist ja nur meine einzelne Meinung. Es ist schön, dass du wieder aus der Versenkung aufgetaucht bist.

komisch, mir geht’s anders - den Mord als Einstieg fände ich langweiliger als die plötzliche überraschende Wende, die mich tatsächlich neugierig macht, was da los ist. Ich würde weiterlesen wollen. Eine unbekannte Frau, die einen unbekannten Mann aus unbekanntem Grund aus dem Hinterhalt erschlägt - das würde mich persönlich weniger in die Geschichte ziehen. Thriller können und dürfen durchaus langsam in Fahrt kommen, finde ich - und Highsmith hat das exzellent vorgemacht. Meinem Gefühl nach dürfte die Vorgeschichte sogar noch etwas länger sein.

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Davon bin ich weit entfernt

Dito!

Natürlich. Nach diesem Einstiegskapitel geht es dann etwas etwas langsamer voran, aber nur in Kapitel 2. Dann gehts ab. Es folgt der Wechsel zwischen den Morden, der Poliziarbeit, ubd dem Leben von Karl, dass gerade den Bach hinuntergeht. Die Erzählstränge fließen dann zusammen.

Ich bin ein großer Fan. Und dieses Intro findet sich u. A. bei „Zwei Fremde im Zug“.
Ein Teil des Romanes besteht aus der Auseinandersetzung meines Helden mit de Ex-Frau und den lieben Kleinen. Und nein, in diesen Kapiteln wird relativ wenig gekillt.
Ich gebe Euch mal Kapitel:

Butterweiß
Amrei hatte alles Mögliche gewollt, einen begehbaren Kleiderschrank, einen Patio. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er gar nicht gewusst, was ein Patio ist. Karl war das alles meist vollkommen Wurst gewesen, für ihn zählte sein Job, er wäre auch abends in eine heimelige Bushaltestelle nach Hause gekommen.
Der Garten, der Garten war ihm immer wichtig gewesen, er hatte ihn, zusammen mit einer Gartenbaufirma aus dem Ort, geplant, gestaltet und geliebt. Gartenarbeit war nie seins gewesen, aber er bezahlte ja auch für den ganzen Kram, warum sollte er also dazu noch in der Erde wühlen?
Und wie sah es jetzt hier aus? Karl stieg aus dem Auto und betrachtete die Hecke, die schon lange hätte geschnitten werden müssen. Schweinerei! Unerlaubterweise trat er um das Haus herum und genau das hatte er geahnt: Verwahrlost. Die Beete voller Unkraut, das Gewächshaus grün veralgt. Es lag Spielzeug herum, im Regen, Spielzeug, dass er bezahlt hatte! Er müsste darüber einmal mit seinem Rechtsanwalt sprechen. Werteverlust durch Verwahrlosung, das klang stichhaltig und sehr juristisch. Sicherlich gab es dafür einen Paragraphen.
Bevor er klingeln konnte, öffnete Amrei die Tür. Die lieben Kleinen stürmten heraus und umarmten mangels Körperlänge seine Beine.
„Papa!“
Amrei hielt sich zurück und öffnete die Tür nicht ganz. Sicherlich sollte er nicht ins Haus hineinsehen können, dachte er sich. Wer wusste schon, wie es drinnen aussah?
Seine Frau – hoppla! – Exfrau hielt ein überdimensionales Stofftier in der Hand. Sie sprach leise und fast schüchtern. „Würdest du bitte Moritz´ Stoffgiraffe mitnehmen? Er braucht sie für die Nacht.“
„Warum das denn?“ Karl hatte so eine Ahnung, und schickte die Kinder schon einmal ins Auto, wo sie mit großen Augen an der Scheibe klebten, und ohne jeglichen Ton den Streit ihrer Eltern betrachten durften.
„Ihr wart doch letztes Wochenende auf dem Reiterhof, und Moritz ist von diesem Pony gebissen worden.“
„Ja, und? Er ist nur gekniffen worden, das war nicht mal ein blauer Fleck.“
„Moritz hat Alpträume seitdem, und Mister Raffi hilft ihm ein wenig.“
„Raffi, Schnaffi, Schnuffi, Buffi und Stampfi – der Junge hat kaum noch Platz in seinem Bett!“
Amrei sprach so leise, fast entschuldigend, Karl konnte sie kaum verstehen. „Raffi beschützt ihn.“
Niemand konnte es Karl in diesem Augenblick recht machen, nichts, absolut nichts würde ihn zufrieden stimmen.
„Du verweichlichst den Bengel. Ich werde mal mit ihm reden. Von einem Pony gebissen! Ha!“
„Er ist nicht so wie du.“
Karl wollte etwas sagen, aber es fiel ihm nichts dazu ein. Als er mit einem Bein bereits im Wagen war, rief er noch: „Du kannst mir sagen, was ich tun soll, aber nicht wie!“
Mit diesen epochalen Worten raste er wie ein Vollidiot davon, bis er sich besann, dass er ja seine Brut im Auto hatte.
Karl genoss sicherlich die Zeit mit seinen Kindern, unwidersprochen, trotzdem geriet er regelmäßig an die Grenzen seiner pädagogischen Fähigkeiten. Kinder waren so unlogisch! Besonders Moritz. Nach dem systematischen Abarbeiten von Eiscafes, Pizzerien, Tiergärten und Action-Parks waren sie wieder einmal im Zoo gelandet. Und direkt vor dem Gehege der Braunbären kam Karl auf die wenig glorreiche Idee, seinen vierjährigen Sohn nach seinen Zukunftsplänen zu fragen. Der Klassiker.
„Und, was willst du mal werden, wenn du groß bist?“
Moritz kratzte sich seinen Wuschelkopf. „Bär.“
„Wie, Bär?“
„Wenn ich groß bin, will ich Bär werden.“ Er wies auf ein großes Tier, dass sich den Rücken an einem Baumstamm schrubbte.
„Aber Bär ist doch kein Beruf?“
„Moritz ist doof!“, mischte sich Manya mit der beispiellosen Arroganz der zwei Minuten älteren Schwester ein. Karl konnte das so nicht stehen lassen.
„Moritz, mein Kleiner, du kannst nicht zum Bären werden! Du bist ein Mensch!?“
Moritz stemmte die kleinen Hände in die Hüften. „Du hast gesagt, man muss sich nur was ganz doll wünschen, dann geht das in Erfüllung! Immer!“
Karl resignierte. Wann hatte er seinem Sohn diesen Scheiß erzählt? Das Leben war hart, mies und absolut unfair. Das Leben bestand in erster Linie aus Steuerbescheiden, Miete, Rechtsansprüchen und Kampf, Schlacht und Krieg.
„Ja, aber das funktioniert bei Fahrrädern, und so.“ Verdammt, wie kam er aus dieser Nummer wieder heraus?
„Butterweiß sagt auch, dass man alles werden kann!“
„Was ist Butterweiß?“
Aber Moritz wollte nicht mehr, er verschränkte die Arme vor der schmalen Brust und machte dicht.
„Das ist sein blöder, unsichtbarer Freund.“, klärte Manya auf.
„Und, ist das der Nachname?“, fragte Karl mit der intensiven Naivität des hoffnungslos erwachsenen.
„Nee, der heißt nur so, und nur Moritz kann ihn sehen.“
Am Abend, als Karl seine Kinder auf notdürftigen Luftmatratzen zu Bett brachte, lag Moritz ganz hinten an der Wand. Ein gutes Dutzend Stofftiere lag davor, nur Raffy, die heilende Giraffe, hielt der Bengel fest an sich gepresst. Karl griff sich seinen Sohn, wie man sich Vierjährige eben greifen kann, und legte ihn in die Mitte des Bettes, um ihn zuzudecken. Moritz rutschte wieder nach hinten.
„Jetzt leg dich doch einmal ordentlich hin, so kann doch kein Mensch schlafen!“ Moritz druckste, er wollte nichts sagen. Dann platzte es aus ihm heraus. „Da kann ich nicht liegen, das ist der Platz von Butterweiß!“
Karl stand auf, ließ es, wie es ist, löschte das Licht und verließ kopfschüttelnd das Zimmer.

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Bin gespannt, bis 1. April ist ja nicht mehr lang :+1:

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Ich gratuliere ganz herzlich zum fertigen neuen Buch! :tada:

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Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem neuen Roman. Deine Textproben zeigen, dass du dir treu bleibst und das finde ich großartig.

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Mich hats erwischt: so überraschend gut die Wendung! Genau richtig: dadurch, dass es erst ein romantisches Geplänkel ist, ist der Moment des Mordes und die plötzliche Wendung noch viel spannender.

Da dachte ich schon, dass es ein Hinweis ist, dass beide tödlich verunfallen werden.

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Ach, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert…
Es gibt noch eine andere, recht subtile Vorwarnung, kurz vor der Tat.

Das sollte wahrscheinlich nicht passieren. Aber es ist ein Krimi, da hat man als Leser natürlich die Augen offen. Ja, die Dame ist sehr, sehr krank. Und böse.
Ich gebe Euch mal zum guten Schluss die Szene mit dem Finanzbeamten.

Blond
Bernd Kapellke hatte keine Lust.
Zu gar nichts, und am wenigsten auf seinen Job. Es war immer das Gleiche – eine Steuererklärung schlimmer als die andere. Die hier zum Beispiel: Boris Grigoleit, Beruf Clown, Künstlername „Mekki, der Furchtlose“. Na, das würde er ihm austreiben! In der Sparte Betriebsmittel versuchte doch dieser, dieser Clown alles Mögliche abzusetzen. 3000 Luftballon, Verwendungszweck: Platzen lassen. Oder 135 Schokoküsse – auf Zuschauer werfen -, zudem ein Paar Arbeitsschuhe Größe 56. Wer sollte das glauben?
Er schmulte zu seinem Kollegen hinüber, der scheinbar hochkonzentriert auf einen Rechner starrte. Kapellke konnte den Bildschirm nicht einsehen, war sich aber sicher, dass der liebe Kollege wieder einmal auf Porno-Seiten surfte, es hatte schon Ärger deswegen gegeben, und nicht zu knapp. Den Kollegen schien es nicht zu stören.
Die Kaffeemaschine furzte eine unbekannte Melodie. Unter dem Vorwand, den zum Tode verurteilten Gummibaum gießen zu wollen, und ihn damit zu einer weiteren, unsicheren Sterbewoche voller nicht eingelöster Versprechen verurteilte, konnte er ja mal nachschauen. Kapellke stand auf, und holte eine Tasse Wasser aus der Pantry. Dann schob er sich um seinen Schreibtisch herum zu besagtem Gummibaum. Aber der Kollege war nicht dumm. Es machte zweimal KLICK, und es ploppte ein offizielles Formular auf. Kapellke konnte man nicht leicht täuschen, nicht ihn. Er goss den Gummibaum, und machte sich eine Notiz in seinem geheimen Büchlein, in dem alle Kollegen des Finanzamtes verzeichnet waren. Die blöde Müller hatte doch ganz sicher etwas mit dem Schmidt, Kapellke schwor, die würden es auf der Toilette der Kantine treiben. Gerbereit klaute Büromaterial in großem Stil, und Kollegin Bierhenke verschwand immer kurz nach der Mittagspause. Und sie hatte keinen Halbtagsjob, das hatte Kapellke in der Personalabteilung sorgfältig recherchiert. Alles Versager.
Für heute hatte er keine Lust mehr auf den ganzen Papierkram. Kantine war gut. Um diese Zeit des frühen Nachmittages trafen sich dort beinahe alle Kollegen/innen, die die paar Stunden bis zum Feierabend schnell herumbringen wollten. Am liebsten mit einer Tasse Kaffee und einem leichten Snack. Kapellke schlenderte den Flur hinunter, heute nahm er mal den Fahrstuhl. Trotzdem kam er kurzatmig unten an. Er hatte sehr zugelegt in den letzten zwanzig Jahren. Irgendwann hatte seine Waage kapituliert, und er war nicht gewillt, sich eine neue zu kaufen. Was sollte das auch, immer dieser Druck, immer dieses „Sie haben 36 Kilo Übergewicht“? Eine sprechende Waage! Wer hatte sich diesen Psychoterror ausgedacht? Kapellke schob sich in die Kantine, wo bereits ein paar andere Kollegen verstreut und ausgesprochen lustlos herumlungerten. Ein Kaffee und ein schönes Stück Kuchen, das wäre jetzt genau das Richtige, um seinen Blutzuckerspiegel wieder in die korrekte Bahn zu bringen. Die Bedienung schien neu zu sein, eine ausgesprochen hübsche junge Dame mit wallenden, blonden Haaren.
„Was darf es denn sein?“
Kapellke war unsicher, er hätte die scharfe Schnitte – also die hinter dem Tresen, nicht die darin - gern angebaggert, wusste aber nicht mehr, wie das ging. Lieber Kuchen.
„Was empfehlen Sie denn heute, mein hübsches Kind?“
Hübsches Kind? Wo hatte er das denn her? Aus dem neunzehnten Jahrhundert? Die blonde Dame schien es nicht zu stören. Sie wies auf ein paar Bleche mit gebackenen Schönheiten.
„Wir haben Butterkuchen, wir haben Mandarinenkuchen, und wir haben eine sehr schmackhafte Käsetorte, ganz frisch.“
Kapellke musste nicht lange überlegen, ganz klar Käsekuchen, der Rolls Royce unter den Gebäckwaren.
„Drei Stück Käsekuchen, bitte.“
Zwei würde er gleich verdrücken, das eine könnte er im Büro am seinem Schreibtisch verkümmeln. Das war zwar nicht gern gesehen, aber fuck off. Angeblich schade das der Tastatur des PC´s. Ha! Die sogenannte innerliche Kündigung hatte Bernd Kapellke längst vollzogen. Nur noch ein paar Jahre absitzen, das war es dann. Eine fette Pension, keine blöde Ehefrau, die ihm dann auf die Nerven ginge, sein Campingdauerplatz am See und angeln. Angeln, angeln, angeln. Dabei aß er gar keinen Fisch.
Die blonde junge Dame tat ihm drei Stücke Käsekuchen auf einen Teller. „Noch extra Sahne?“
Natürlich, ja. Die Dame zog einen Syphon hervor und sprühte drei mäandernde Pyramiden auf den Kuchen.
„Schokostreusel?“
Wer, bitteschön, kann zu Schokostreuseln nein sagen? Kapellke war nicht der Mann dafür.
„Aber, ja!“
Großzügig verteilte die junge Frau gut zwei Hände voll Streusel auf der Sahne. „Zuckerstreusel?“
Natürlich.
Als die leider sehr attraktive Dame fragte, ob er vielleicht noch gehackte Haselnüsse, Mandeln, extra Mandarinen und/oder Rosinen wollte, fühlte er sich leicht verarscht, und lehnte ab, als hätte er gerade ein unmoralisches Angebot bekommen.
„Ich wünsche einen guten Appetit, du fette Sau!“
„Äh, was?“
„Oh, ich wünsche nur einen guten Appetit!“
Hatte sich Kapellke verhört? Kaum zu glauben, er musste sich verhört haben, das lag sicherlich am Stress der letzten Tage. Er sah die junge Frau an, die strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Er musste sich verhört haben.
Kapellke suchte nach einem Tisch.
Neben der Müller und dem Schmidt wollte er nicht sitzen, und die beiden sicherlich auch nicht neben ihm. Der blöde Simonischek starrte ihn an, dann tuschelte er mit der blöden Kuh aus dem vierten Stock. Wie hieß die nochmal? Egal. Dann lieber allein.
Kapellke setzte sich und machte sich über den Kuchen her. Der Teller war ein bisschen klein, zugegeben, aber das würde er gleich ändern. Sahne in den Kaffee, sechs Stück Zucker. Der Kuchen war herrlich, ein Traum von Quark und Gelatine! Zart, saftig, und samtig weich, die Vanille war gut zu schmecken, aber doch nicht zu dominant, die Rosinen waren wunderschön gleichmäßig im Teig verteilt. Nicht jeder konnte Käsekuchen, und Kapellke war außerordentlich anspruchsvoll. Er piekste große Stücke auf die Gabel, und stopfte sie sich in den Mund. Was für ein Genuss! Kapellke öffnete den Hemdkragen, es war warm in der Kantine. Heizten die schon, jetzt im September? Sicher nicht, das Finanzamt war eine staatliche Behörde, da wurde gespart und gefroren. Trotzdem, echt warm. Kapellke kaute und zermalmte, speichelte reichlich ein, und spülte den Brei mit großen Schlucken Kaffee herunter. Lecker! Kuchen Nummer zwei war innerhalb weniger Sekunden Geschichte. Konnte man vielleicht einmal ein Fenster öffnen? Kappelke atmete tief durch, aber es funktionierte nicht so, der Brustkorb schmerzte plötzlich, und ihm war schlecht. Er griff sich an den Hals, als ob das etwas helfen würde. Hilfe, er brauchte Hilfe! Niemand in der Kantine sah zu ihm her, alle hatten ihre Stühle weggedreht. Das hatte er jetzt davon.
Kapellke wollte schreien, er wollte etwas sagen, nichts davon klappte. Sein Gesicht verfärbte sich bereits. Er sah flehend zu der blonden Dame am Buffett hinüber, aber die lachte nur. Warum lachte die?
Dann glitt er langsam wie in Zeitlupe vom Stuhl, und verschied.
Der benachrichtigte Notarzt war ziemlich zynisch. Er konnte nur noch den Tod feststellen.
„Wundert mich nicht, bei dem Gewicht.“
Die Krankenakte von Bernd Kapellke sprach eine deutliche Sprache. Übergewicht, Raucher, totale Verstopfung der Coronargefäße, Schrittmacher, zwei OP´s, das volle Programm.
Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Autopsie ab, Verwandte waren nicht interessiert.
Die Beerdigung war sehr schön, leider kamen nicht viele Besucher. Es war kein Kollege dabei. Kapellke verfügte über eine tolle Sterbeversicherung, die alles zahlte.
Der Stein war wirklich schön.

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Verrate nicht zu viel von deinem Roman!

Ich halte ab 1. April die Augen offen. Dein Schreibstil ist genau mein Ding!

Ich male beim Lesen (v.a. Krimis) gleich den Teufel an die Wand und sehe überall Mord und Totschlag. Da hast du mich in die Irre geführt… :slight_smile:

Da ging es mir wohl wie dem armen Martin: das habe ich anders gedeutet.

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Meins auch. Und das freut mich natürlich.

Recherche is allways and ervrywhere. Immer auf der Suche nach einem Plot, immer die Augen und Ohren weit geöffnet. Gibt dafür sicherlich ein lateinisches Wort.
Ich arbeite in einem Laden auf Sylt mit jeder Menge Kundschaft im Sommer. Eine Goldgrube für Studien des menschlichen Geistes, oder was man so darunter versteht.

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Ah diese Studien liebe ich! Im Sommer, am See oder i der Stadt in Zürich auf einer schattigen Sitzbank. Und manchmal entwickeln sich auch Gespräche mit Fremden, die auch eine Geschichte wert wären.

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