!, mein Schreibfeind

Nur mal so:

ES IST SONNTAG

Draußen dämmerte der neue Tag herauf. Egal. Es war Sonntag. Ausschlafen. Sie kuschelte sich an ihn und suchte sein Ohr.
„Schlaf weiter, Schatz! Es ist Sonntag!“
Er riss die Augen auf und fuhr in die Höhe.
„Bist Du irre?“ Er stocherte mit dem Zeigefinger in seinem Gehörgang.
„Was hast du denn?“
„Was brüllst du hier herum?“
„Ich? Ich brülle doch gar nicht!“
Er ging auf Abstand. So weit, wie das Bett es zuließ.
„Doch. Das tust du.“ Er reckte den Hals und sah aus dem Fenster. „Sogar bei den Schuhmanns ist das Licht angegangen. Mensch, Renate, rede doch einmal vernünftig. Bitte.“
„Ich rede doch vernünftig!“
„Nein, tust du nicht. Du kreischst.“ Er stocherte wieder in seinem Ohr, aber das Klingeln hielt sich hartnäckig.
„Bleib liegen! Verdammt noch mal! Es ist Sonntag!“ Sie versuchte, ihn festzuhalten. Vergeblich.
Er trat ans Fenster und grüßte zu Bernd Schuhmann hinüber. Er konnte erst verstehen, was der Nachbar von schräg gegenüber rief, als er das Fenster öffnete.
„…mer das dasselbe bei euch. Es ist Sonntag! Wir wollen ausschlafen!“
„Ich auch.“
„Was?“
„Ich auch!“
Sie war auch aus dem Bett. „Was will der Arsch?“
„Es ist Sonntag, Renate.“
„Das sag ich die ganze Zeit schon! Hör einfach mal zu, wenn ich mit dir rede!“
„Rede? Rede?“ Er schnappte nach Luft. Dann schloss er eilig das Fenster und zog die Vorhänge zu.
„Dieter? Leg dich sofort wieder ins Bett! Es ist Sonnt…“
Ihr letztes Wort war kaum noch zu verstehen. Mit dem Ausrufezeichen, das er ihr entrissen hatte, schlug er auf sie ein. Er ließ auch nicht von ihr ab, als sie ins Parterre flüchtete. Selbst im Korridor sauste das Ausrufezeichen wieder und wieder auf sie hinab. Ihre stummen Schreie klangen wie Musik in seinen Ohren. Draußen ging die Jagd weiter. Das Gartentor klemmte immer noch. Wie eine Verrückte zerrte sie daran. Er holte sie ein und schon wieder aus. Da sah er den Pastor, der entsetzt auf dem Gehweg stehen blieb.
Renate am Kragen, das Ausrufezeichen hoch über seinem Kopf schwingend, hielt Dieter kurz inne. Dann besann er sich und schlug wieder zu.
„Es ist Sonntag, Renate“, schrie er dabei. Außer sich vor Wut. „Wir gehen heute in die Kirche! Ob du willst oder nicht!“

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Das ist der Knaller!

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Yep. Eine der schöneren, sehr bildhaften Beschreibungen, die ich so liebe. Fast ein Comic. Toll!

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Auf die Idee muss man erstmal kommen! Ich habe sehr gelacht. Danke dafür.

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Großartige Idee! Geht mir nicht mehr aus dem Kopf - und wie michel oben sagt: Comic! Das wäre-auch ein genialer Comic-Plot :+1:

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:rofl:
Wie herrlich irre. Ich liebs.

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Haha, sehr schöne Geschichte. Das „Es ist Sonntag!“ könntest du noch als „ES IST SONNTAG!“ schrieben, dann hättest du noch den Bezug zur Schreierei in Internetforen drin.

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Gefällt mir sehr gut! Bin hin und her gerissen zwischen Entrüstung über Dieters Gewalttätigkeit und Schmunzeln über das (auch mir so bekannte) !- Thema. :wink:

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ging mir beim Verfassen genau so. Das sind jedoch Herausforderungen, die man als Schriftsteller (m/w/d) zu meistern hat. Gewalttätigkeit hat viele Formen. Ich hielt diese hier für angebracht.

Auf jeden Fall. Ist dir super gelungen zuerst einen Moment von „wie kann sie sowas schreiben“ auszulösen um im zweiten Moment zu merken, wie gut das ist. Gefällt mir bei jedem durchlesen noch mal besser.

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Die offenkundige Gewalt kommt in diesem Kurztext nicht willkürlich daher. Ich will damit einen historischen Bezug andeuten: Das früheste Zeugnis (eines Ausrufezeichens) in Deutschland ist der Erstdruck von Johann Fischarts „Ehezuchtbüchlein“ von 1573. [s. Wikipedia]

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Ah wie spannend!