Jeder redet über die Pharaonen, aber keiner schert sich um die Frauen!
Leicht resigniert klappe ich den schweren Bildband zu und lege ihn neben mich. Otto hat genügend Platz dafür. Für uns beide. Otto, das ist mein heiß geliebter Sessel. Wobei – Sessel beschreibt ihn absolut ungenügend. Er ist groß. Und er ist breit. Eher eine Art Diwan, eine Ottomane. Wofür er auch seinen etwas respektlosen Namen bekommen hat.
Otto ist nämlich – glaubt man der Beschreibung des Werbeprospekts, auf dem ich ihn entdeckte – ein sogenannter Chatellet-Chair. Ist mir aber egal, ich liebe ihn trotzdem.
Seine Sitzfläche und die Rückenlehne sind aus königsrotem rauem Samt. Weich genug, um sich hinein zu kuscheln, aber trotzdem strapazierfähig. Die großen schweren Seitenlehnen sind antikem Rindsleder nachempfunden. Kolonialstil. Aber in Wirklichkeit ist es Stoff und das ist mir sowieso lieber. Seine dunkelbraunen Füße sind massive gedrechselte Kugeln. Die halten was aus und verstärken den zuverlässigen Eindruck, den er macht. Zuverlässig und doch höchst flexibel. Otto hat nämlich statt verstellbarer Rückenlehne wunderschöne Kissen. Ein wirklich großes, bunt bestickt in Rot-, Orange- und Brauntönen, das ich, genau wie mich selbst, kreuz und quer in ihm drapieren kann.
Er ist eben nicht nur lang, er ist auch enorm breit. Und das kommt meiner dynamischen Sitzweise sehr entgegen. Mal lasse ich die Knie über seine Seitenlehne baumeln, mal die Arme, dann wieder liege ich embryomäßig quer um ein mittägliches Nickerchen zu halten. Otto kann das ab. Er ist für alles zu haben und für vieles zu gebrauchen.
Ich erinnere mich gerade daran, wie er zu mir kam.
Mein alter Fernsehsessel, der mich über zwei Jahrzehnte ausgehalten hatte, kam so langsam aber sicher an sein Ende. Wirklich gefallen hatte der mir nie, die Farbe eher großmütterlich und nicht in meine Wohnung passend. Eine Art pastelliges Tannengrün mit angedeuteten floralen Mustern in Lavendel und Rosé. Aber er war bequem und gerade zur Hand, als ich ziemlich flott entschied, von Frankfurt nach Köln umzuziehen. Die große Couch blieb zurück und der Omasessel erwies sich damals als passender Ersatz.
Nun also hatte er einfach ausgedient. Die Scharniere altersmüde, die Polster beulig, durchgesessen und nicht mehr wirklich weich, man konnte die Stahlfedern darunter spüren. Sicher, er hätte wohl noch eine Weile durchgehalten. Aber für mich war in einigen Wochen eine Operation geplant und ich wollte einfach, dass mich etwas Schönes erwartete, wenn ich nach Hause käme.
Daher die Idee mit dem neuen Sessel. Bequem sollte er sein, dass ich mich möglichst lang ausstrecken könnte, ohne dafür aufs Bett ausweichen zu müssen. Schön sollte er sein, etwas das ich gerne ansah und diesmal wirklich passend zu mir und meiner Wohnung, meinem kleinen Reich.
Und so kam ich dann zu Otto. Er leuchtete mir im Prospekt entgegen und ich wußte sofort: das ist er! Das Möbelhaus nur wenige Kilometer entfernt, ich fuhr sofort los. Wollte ihn live sehen, ihn anfassen. Aufgeregt lief ich durchs Möbelhaus, hoffentlich war er noch da. Nicht, dass ihn mir jemand vor der Nase weggekauft hatte. Dann die Erlösung. Da stand er. Wartete auf mich. Einladend und wunderschön. Ich fragte nicht lange. Setzte mich direkt auf sein dickes fettes Polster. Drückte mich in das Rückenkissen, schloss die Augen und wollte ihn einfach nur spüren.
Was meinst du? Passen wir zusammen? Kommst du mit zu mir? Otto schien keineswegs abgeneigt und am liebsten hätte ich ihn direkt eingepackt und mitgenommen. Aber mit meinem kleinen Smart hätten wir da selbst mit umgelegter Rückbank keine Chance. Eher umgekehrt.
Sie haben Glück, sagte der Verkäufer. Der Sessel gehört zu den Artikeln mit 30% Rabatt. Schön, entgegnete ich fahrig, wann kann er bei mir sein? Ich hatte noch nichtmal nach dem Preis gefragt, hielt einfach nur die Scheckkarte hin, zahlte die gewünschte Summe und ging noch mal zurück zu Otto, um mich zu verabschieden. Nicht mehr lange. Mit der nächsten Tour nach Ehrenfeld wirst du geliefert. Erwartungsvoll und glücklich fuhr ich heim.
Dort erlebte ich zwei Tage zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.
Einerseits freute ich mich unbändig auf Otto. Ich konnte es kaum erwarten. Aber andererseits. Mist. Der ist riesig. Gibt es in diesem Haus überhaupt irgendwo ein Loch, durch das er reinpasst? Sicher, so Pi mal Daumen hatte ich seine Maße überschlagen und zur Not eben übers Dach. Ja nee schon klar. Ich hatte Horrorvisionen, stellte mir vor, wie ein Kran in unserer engen, mit Bäumen flankierten Straße hält, um mir einen Sessel übers Dach des 5-stöckigen Hauses nach hinten auf die Terrasse zu hieven. Denn eins war klar. Ich würde Otto niemals aufgeben! Eher zöge ich um. Haustür? Keine Chance. Selbst wenn die breit genug wäre, die Kurve hinter meiner Wohnungstür bekäme er nie. Terrassentür? Mittelstrebe. Sowieso zu schmal. Blieb nur das Fenster. Da ist es doch mal gut, dass ich im Erdgeschoss wohne und das Wohnzimmer zur Straße raus geht. Breite messen, puh. Erleichterung. Das könnte gehn. Der Herzschlag beruhigte sich wieder. Angekündigt war er für den nächsten Morgen. Voller Vorfreude hatte ich schon alles um das Fenster und die Stelle, an der Otto stehen sollte, leergeräumt. Ein Bücherregal abmontiert um Platz zu schaffen für die hohe Rückenlehne. Den kleinen Schreib- mit dem größeren Zeichentisch getauscht, um ihm mehr Raum zu geben. Zwei der Stühle in den Keller, denn mehr als zwei Personen hab ich ja eh kaum mal zu Besuch. Gehn wir halt auswärts oder sitzen in Otto. Noch einmal messen. Sicher schon zum 5. oder 6. Mal, wenn nicht mehr. Konnte immer noch passen, das Fenster war über Nacht nicht geschrumpft. Aber dann traf mich fast der Schlag. Sicher, es war breit genug, würde man Otto seitlich durchschieben. Aber was war mir der Höhe? Denn Otto ist ja enorm breit! Läge er also auf der Seite müßte seine komplette Breite hochkant durchs Fenster.
Das war der Moment, als ich dann einfach aufgab. Wenn Otto bei mir sein sollte, dann würden ihn die Möbelpacker sicher irgendwie reinkriegen. Das war schließlich ihr Job. Die machten ja den ganzen Tag nichts anderes. Also. Runterfahren. Ommen, TV an und einfach warten.
Es hat dann auch nicht mehr allzu lange gedauert und war letztendlich merkwürdig unspektakulär im Vergleich zu dem vorhergehenden Drama in meinem Kopf. Der Möbelwagen hielt, die beiden Jungs sprangen raus, fuhren Otto aus dem Wagen und hievten ihn seitlich durchs Fenster. Zack. Einfach so. Füße angeschraubt, Schutzplane entfernt, Trinkgeld kassiert und weg waren sie. Und Otto und ich waren allein.
Da stand er nun. Abwartend. Majestätisch. Den gesamten Raum bestimmend. Ich lehnte lange an der Tür und sah ihn einfach nur an. Fast schon andächtig strich ich dann über seine Polster. Fühlte diesen wunderbar weichen und doch robusten Stoff.
Ja, irgendwie sind wir uns fast ein wenig ähnlich, Otto und ich.
Beide Einzeltiere, im Grunde solitär.
Vielleicht mag ich ihn deshalb so gerne. Vielleicht passen wir deshalb so gut zusammen.