Hallo alle zusammen, ich bin neu hier und habe gerade mein erstes Kapitel für meinen Roman fertiggestellt. Ich würde mich sehr über Feedback von euch freuen, um meine Schreibfähigkeiten zu verbessern und zu wissen ob es den Leser ermutigen wird weiter lesen zu wollen.
Vielen lieben Dank
Sillhronz
Kapitel 1
Ich stapfte durch den Schneesturm, der immer stärker zu werden schien. Die Schneeflocken peitschten mir ins Gesicht und ich musste meine Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas zu sehen. Verflucht, warum hatte ich nicht wenigstens eine Jacke mitgenommen? Ich zitterte vor Kälte und der Wind riss zusätzlich an meiner spärlichen Kleidung, als ob er mich noch weiter herausfordern wollte.
In meinem Inneren brodelte eine Mischung aus Wut und Scham. Wie konnte ich nur so dumm sein und ohne passende Kleidung das Haus verlassen? Aber ich hätte es keine Minute länger zu Hause ausgehalten. Ich lief die Straße entlang und spürte die Blicke der Passanten auf mir ruhen. Ich konnte förmlich ihre Verwunderung und Unverständnis spüren. Kein Wunder, bei diesen Minusgraden waren alle dick eingepackt. Ich konnte mich nicht erinnern, wann es in Hamburg so kalt gewesen war. Die eisige Kälte kroch gnadenlos durch meine Kleidung und raubte mir jegliche Wärme. Ich war völlig durchnässt und mein Pullover, auf dem der Schriftzug meiner Lieblings-Band aus Japan prangte, klebte wie eine zweite Haut an meinem Körper. Jeder um mich herum trug dicke Wintersachen und hatte seine Hände tief in den Taschen vergraben, während ich hier stand, und meine klammen Finger um meinen durchweichten Pullover ballte. Ich würde gerade alles für eine heiße Quelle geben! Aber sowas gab es in Deutschland ja nicht. Stattdessen zog ich meine Beine hinter mir her, die in einer dünnen Ballettstrumpfhose steckten und die Kälte gnadenlos durchließen. Ich hatte nicht einmal eine Mütze aufgesetzt, meine Ohren brannten vor Kälte und Schmerz.
Vor der Ampel blieb ich stehen und sprang auf und ab, um mich etwas aufzuwärmen. Ich war mir sicher, dass mir bald Eiszapfen aus der Nase wachsen würden. Die Straßen waren eisig und der Schnee türmte sich an den Gehwegen auf, weil die Schneepflüge nicht mehr hinterherkamen. Doch ich musste weitergehen, ich hatte keine Wahl. Egal! Wenigstens musste ich so Vaters enttäuschtes Gesicht nicht mehr ertragen. Ich würde zu Tantchen gehen, da fühlte ich mich seid Mutters Tod willkommener als zu Hause. Es geschah von selbst, dass sich die Szene wieder und wieder in meinem Kopf abspielte:
Ich kam müde von der Schule nach Hause und wollte mich gleich in mein Zimmer zurückziehen, als mein Vater mich abrupt aufhielt und ins Wohnzimmer zitierte. Er hielt mir einen Joint entgegen und ich starrte ihn an, als hätte er mir eine Vogelspinne vorgehalten. Ich senkte den Blick. Panik stieg in mir auf. Warum hatte ich dieses Ding nicht längstens entsorgt?
„Ich… das gehört mir nicht“, sagte ich leise.
„Das gehört dir nicht? Wirklich? Für wie naiv hälst du mich?“ Mein Vater wurde immer wütender. „Hast du das draußen schon öfter gemacht?“
„Nein, das habe ich nicht“, antwortete ich schnell. „Ich habe nur einen Zug genommen, um nicht-“, nervös knetete ich meine feuchten Hände. „Uncool vor meinen Freunden zu wirken.“
Mein Vater schnaubte verächtlich. „Uncool? Weißt du, was uncool ist?“ Als ich unsicher zu ihm hochsah, weil er nicht weiter sprach, sagte er: „Deine Mutter zu verlieren und dann dein Leben wegwerfen, indem du Drogen nimmst!“
Eine Gänsehaut der unangenehmen Art bildete sich auf meiner Haut. „Aber das ist nicht wahr, Papa! Ich wollte den Joint nicht mal benutzen. Ich habe ihn nur mitgenommen, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte.“
„Das spielt keine Rolle“, sagte mein Vater hart. „Was, wenn die Presse davon erfahren hätte? Was, wenn sie herausgefunden hätten, dass meine adoptierte Tochter Drogen nimmt? Das hätte ein schlechtes Licht auf unsere Familie und unsere Firma geworfen!“
„Das ist unfair“, sagte ich verzweifelt. „Ich wollte das nicht tun, ich wollte nur dazu gehören“, versuchte ich es ihm erneut zu erklären.
„Und um dazu zu gehören, hast du es aufs Spiel gesetzt, dass deine Familie in ein schlechtes Licht geworfen wird und die Firma in Mitleidenschaft gezogen wird! Du bist sechzehn Jahre alt, du solltest wissen, das der Name Senoo einen Ruf zu verlieren hat, wenn man dich mit Drogen erwischt! Mal ganz abgesehen davon, dass alle unsere Schüler einen Freibrief erhalten, wenn sie mit Drogen erwischt werden. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: Adoptierte Tochter der Senoo Stage, verfällt im Drogenkonsum! Zerfällt die Familie nach dem Tod seiner Frau?“
Tränen rollten meine Wangen hinab. Das wollte ich doch alles nicht. Mein Körper zitterte. Ich wollte nicht, das mein Vater sich noch weiter von mir entfernte. Ich berührte seine Hand und sagte: „Bitte Papa, es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht, was mein Handeln für Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Bitte verzeih mir!“, flehte ich schluchzend.
Er ignorierte meine Worte und zog seine Hand eiskalt von meiner weg. Ein kalter Schauer legte sich über mich.
„Deine Mutter wäre schwer enttäuscht von dir, wenn sie wüsste, was du getan hast!“ Ich erstarrte bei seinen Worten.
„Odo-San!“, rief eine scharfe Stimme. Das Klackern von Absätzen war zu hören, wie meine ältere Schwester ins Wohnzimmer schneite. Auch Saijo streckte etwas überrascht den Kopf in das Wohnzimmer. Wie peinlich! Hatte sogar Marikos Freund mitbekommen, wie Vater mich angeschrien hatte? Es wurde mir alles zu viel. Mariko kam auf mich zu und streckte die Arme aus, doch ich trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Nagisa, bitte!“
Ich rannte an ihr und Saijo vorbei und rannte in den Schneesturm hinaus.
Hätte ich die Situation vielleicht ändern können? Ja verflucht, wenn du diesen scheiss Joint, gar nicht erst mit nach Hase genommen hättest! Gab ich mir selbst die Antwort. Ich war so wütend auf mich selber. Ich wusste ja, dass Vater seit Mamas Tod sensibel auf solche Themen reagierte.
Die Ampel sprang auf Grün und ich hastete über die leere Fußgängerzone. Plötzlich hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Ich drehte mich um und erkannte meine Schwester. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich wollte schnellstens von ihr weg. Doch dann rief sie erneut auf Japanisch: »Nagisa, bitte bleib stehen! Du weisst doch Vater ist - er ist momentan nicht Derselbe. Er hat es nicht so gemeint. Lass uns nach Hause gehen und darüber sprechen!« Ich blieb stehen. Mariko sah mich mitfühlend und flehend an. Es schien ihr ebenfalls nahe zu gehen. Würde sie mir glauben, wenn ich ihr sagte, dass ich diesen Joint nicht benutzen wollte? Ja das würde sie. Mariko hatte immer gewusst, wann ich sie anflunkerte und wann nicht.
Meine Schwester machte Anstalten, mir entgegenzukommen, als sie die Stirn in Falten legte und zur Seite sah. Ich konzentrierte mich auf sie und sah, dass sie auf einmal panisch wirkte. Sie blickte zur Seite und dann wieder zu mir. Plötzlich schrie sie so laut, dass ich es trotz des Lärms, der plötzlich ausbrach, hören konnte: „Nagisa, lauf! Hinter dir!“ Ich war völlig verwirrt und sah nach hinten. Was zur Hölle passierte hier gerade?
Ich hörte Stimmen, die ebenfalls panisch schrien, „Passt auf, der Laster!“ Und dann sah ich es: Ein Lieferwagen schlitterte rasant auf mich zu.
Ich konnte mich nicht bewegen, ich war wie gelähmt vor Angst. Nun verstand ich das Sprichwort wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Genau so fühlte ich mich. Der Moment gefror vor meinen Augen. Die panischen Laute um mich verstummten. Mein Herz verkrampfte sich vor Schreck. Würde ich jetzt sterben? Ich vernahm eine Bewegung vor mir. Meine Augen fixierten sie. Entsetzt weiteten sich meine Augen, als mein Verstand in wenigen Sekunden erfasste, was gleich geschehen würde. Ich spürte, wie das Adrenalin durch meinen Körper schoss, gefolgt von Übelkeit. Das Nächste, was ich spürte, war ein harter Stoß gegen meine Brust, der mich nach hinten stieß. Das Letzte, was ich sah, bevor ein heftiger Schmerz durch meinen Körper schoss, war der panische Ausdruck in den Augen meiner Schwester.
Alles wurde hell um mich herum. Ich fühlte, wie ich durch die Luft gewirbelt wurde und der harte Aufprall auf den Boden. Ich hatte Schwierigkeiten, Luft zu bekommen und konnte meine Gedanken kaum ordnen.
Ich versuchte, mich zu bewegen, doch es gelang mir nicht. Ich spürte ein Kribbeln am ganzen Körper, als würde ich von tausend Ameisen attackiert werden. Mein Hirn fühlte sich wie Matsche an. Ich konnte keinen wirklichen Gedanken fassen. Ich sah in den Himmel und bemerkte, dass Schnee fiel, doch ich konnte keine Kälte spüren.
Als ich meine Augen umherbewegte, entdeckte ich meinen nackt ausgestreckten Arm, der blutüberströmt war. Hatte ich nicht einen Pullover an? Warum war da so viel Blut und warum konnte ich mich nicht bewegen? Eine unglaubliche Angst überkam mich. Mein Atem beschleunigte sich.
Ich blickte auf einen schief geparkten Wagen vor mir und sah, dass der nasse Schnee darunter in einem unheimlichen Rot schimmerte. Das Rot breitete sich auf dem Boden aus und schien fast meine Fingerspitzen zu berühren. Trotz meiner Anstrengungen zitterten meine Finger nur und ich konnte sie nicht bewegen. Schwarze Flecken tanzten vor meinem linken Auge und ich versuchte, sie wegzublinzeln. Doch das Bild wurde nur noch schlechter, als ob ein dichter Nebel aufgezogen wäre. Doch ich konnte nicht aufhören zu schauen, irgendetwas sagte mir, dass etwas Schreckliches passiert war.
Zwischen dem Rauschen und Piepsen in meinen Ohren nahm ich zusätzlich ein lauter werdendes Stimmengewirr und eine laute Sirene wahr.
Schließlich entdeckte ich einen leblosen Körper zwischen den Rädern liegen, der mich mit dunklen, leeren und unbeweglichen Augen anschaute.
Mit voller Brutalität kam die Erinnerung zurück - der Laster! Vor mir lag meine Schwester in ihrem eigenen Blut! Mein Herzschlag erhöhte sich noch mehr. Nein, nein, nein! Verzweifelt versuchte ich, meine Schwester zu berühren, doch es gelang mir nicht. Ich begann zu schreien, weil es das Einzige war, was ich anscheinend noch tun konnte. Und ich schrie! Flehend schrie ich nach meiner Schwester, doch sie gab keine Antwort.
Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass sich ein Mann in einer gelb-orangenen Jacke neben mich gesetzt hatte und versuchte, mit mir zu sprechen. Seine Stimme klang ruhig, aber seine Worte erreichten mich nicht.