Ich präsentiere mal wieder einen Text, den ich vor etlichen Jahren geschrieben habe. Er war bereits auf zwei Wettbewerben, einmal kam er sogar auf die Longlist, leider nirgendwo auf die Shortlist. Vielleicht gefällt er euch dennoch. Jeder konstruktive Kommentar ist erwünscht.
Edit: 28.2.2022
Der Anhang wurde von mir heute gelöscht.
Deine Rezensionen lese ich immer sehr gerne. Im Gegensatz zu vielen anderen sind sie nicht nur inhaltlich sehr gut begründet, sondern auch an sich ein großes Lesevergnügen, weil sie mit viel Liebe zum geschriebenen Wort verfasst zu sein scheinen.
Umso gespannter war ich, einen fiktionalen Text von Dir zu lesen.
Und blieb etwas ratlos zurück.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich eine mögliche Erklärung gefunden habe.
An der Sprache liegt es nicht; du benutzt kurze, klare Sätze; ich bin sofort in der Szene drin. Der Kontrast zwischen den knappen Personenbeschreibungen und den sich anbahnenden Erinnerungssequenzen an den Missbrauch in der Kindheit wirkt bewusst gewählt und deshalb stimmig. Einzig das Bild von Schultafeln und Schwämmen, die sie sauberwischen, mag vielleicht ein bisschen zu freundlich wirken, aber auch auch das ein möglicher bewusster Bruch mit der Brutalität des Erlebten sein.
Was mich stört, ist, dass die Geschichte in drei Teile zu zerfallen scheint. Im Vordergrund die sexuelle Gewalt, die Maria, betrunken und desorientiert, erst in der Kneipe und dann im Taxi erfährt. Dadurch ausgelöst die Erinnerung an den Missbrauch in der Kindheit und quasi als finaler Twist die Ehe mit einem behinderten Partner.
Das einzige verbindende Element scheinen Marias immer wiederkehrende Besäufnisse in der Kneipe zu sein, wobei offenbleibt, ob sie die vergangenen oder gegenwärtigen sexuellen Gewalterfahrungen ertränken muss oder die tägliche Überforderung als pflegende Angehörige. Trotzdem passen die drei Teile für mich in dieser Form nicht richtig zusammen; fügen sich am Ende nicht zu einer Einheit.
Bestenfalls den Zusammenhang zwischen dem Missbrauch durch den Vater und ihrer Wehrlosigkeit angesichts der erneuten sexuellen Gewalt kann ich nachvollziehen, ist mir aber schon fast zu klischeehaft. Und das Ende schlicht zu belanglos. Der Taxifahrer bekommt sein Geld vom Ehemann und das wars? Da macht die Behinderung nicht wirklich einen Unterschied, sondern lenkt zum Schluß in eine völlig unerwartete Richtung ab. Wie auch der Titel, bzw die Namensgebung, ganz falsche Vorstellungen wecken und es für mich unbeantwortet bleibt, warum Maria Maria heißen muss und Jesus Jesus.
Ich weiß nicht, ob Dir meine Gedanken helfen, ob darunter vielleicht Gründe sind, die Deine Geschichte in den Wettbewerben nicht weiter nach vorne gebracht haben. Ich merke nur, wie viel Sorgfalt auch eine gut nachvollziehbare und trotzdem wertschätzende Kritik braucht; umso mehr Respekt habe ich vor Deinen Rezensionen.
Hallo Sumsa,
vielen Dank für deine ausführliche Stellungnahme. An sich interpretiere ich meine Texte nicht, denke, dies sollte der Text alleine leisten. Diese Geschichte hat unterschiedliche Sichten bei den Lesern verursacht. Es gab welche, die ihn für einen meiner besten hielten, es gab Leser, die nicht so recht wussten, was sie damit anfangen sollten. Offen gestanden ist es mir am liebsten, wenn es konträre Meinungen zu meinen Texten gibt. Wenn alle derselben Meinung sind, ob positiv oder negativ, werde ich misstrauisch.
Eine Möglichkeit der Interpretation wäre: Der Blick auf ein vom Vater missbrauchtes Mädchen, das seiner selbst lebenslang unsicher bleibt, sich in Erlösungsfantasien versteigt, Angst vor körperlicher Sexualität hat und vielleicht deshalb mit einem reichen Behinderten im Luxus lebt, wäre eine Möglichkeit, ihn zu interpretieren. Damit ist beiden gedient. Er hat eine attraktive Frau, sie einen Mann, der sie sexuell weitgehend in Ruhe lässt. Dass sie immer wieder mal aus ihrem goldenen Käfig ausbricht und sich hemmungslos betrinkt, um sowohl Kindheit als Gegenwart zu ertränken, wäre auch eine mögliche Sichtweise. Die Szene mit dem Behinderten am Schluss, der den Lenker noch - wenn auch unwissentlich - mit Trinkgeld belohnt, der kurz zuvor seine Frau sexuell bedrängte, sehe ich eher als fiese Laune des Schicksals. Und ich hoffe, die Scham, die der Fahrer dabei verspürt, dezent angedeutet und damit für den Leser spürbar gemacht zu haben.
Nochmals herzlichen Dank für deine durchaus konstruktive Stellungnahme. Ich hoffe, du wirst auch weiterhin Gefallen an meinen Beiträgen finden.
ich hab jetzt ein paar Tage drüber nachgedacht, deine Story dreimal gelesen - und kann es drehen und wenden wie ich will, ich komme mit der Geschichte einfach nicht zurecht.
Am Schreibstil liegts nicht, den finde ich sehr gut gelungen, aber beim Inhalt frage ich mich jedes Mal, was da jetzt eigentlich Sinn und Zweck des Ganzen ist. .
Du entwirfst ein interessantes Szenario, klar, es ist ein bisschen klischeebeladen, aber das stört hier nicht, doch dann lässt du sämtliche Spannungsmomente im Nichts verpuffen.
Es bleibt völlig unklar, warum Maria sich ausgerechnet in der übelsten Spelunke der Stadt regelmäßig zuschüttet, wo die Gefahr von sexuellen Übergriffen recht hoch sein dürfte. Dass sich jemand mit ihrer Vorgeschichte, unter der sie ja klar erkennbar leidet, aktiv in eine derartige Situation begibt, kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Es gibt ‘harmlosere’ Orte, an denen man sich zulitern kann.
Den Taxifahrer finde ich nicht wirklich glaubwürdig: Jemand, der eine völlig betrunkene Frau ‘total geil’ findet und das ausnutzen will, kommt sich plötzlich wie ein Arschloch vor und hört auf, nur weil sie zu heulen anfängt? ok, nicht unmöglich, aber ich bin drüber gestolpert.
Dass Jesus und die Erlösung für sie eine sexuelle Komponente zu haben scheint, kommt für mich zu unvermittelt - es gibt sicher Gründe dafür, aber davon erfährt man als Leser nichts. Genauso ihr behinderter Mann, welche Funktion hat er genau? Und wie hängt das alles denn nun zusammen?
So, wie sie jetzt ist, liest sich deine Story für mich noch nicht rund, sie bildet keine Einheit. Es fehlt ein alles verbindendes Ende, eine Erkenntnis, ein überraschender Effekt, was auch immer. Ich denke, wenn du an den richtigen Stellen ein oder zwei kurze, erklärende Sätze einfügen würdest, würde die Geschichte sehr gewinnen. Es braucht nicht viel zu sein, halt gerade so, dass du den Leser ein bisschen mehr in deine gewünschte Interpretationsrichtung schubst und ihn nicht völlig ratlos mit zu vielen unbeantworteten Fragen zurücklässt.
Ich weiß nicht, ob dir das jetzt weiterhilft, ich wollte es dir aber nicht vorenthalten. Immerhin ist es eine Story, über die man nachdenkt - und das finde ich eigentlich immer eine positive Komponente.
ich wollte eigentlich nur mal kurz in Deinen Text reingucken, aber dann musste ich weiterlesen. Die Dichte, mit der Du die Kneipenszene beschreibst ist unglaublich. Ich war sofort drin in dieser Spelunke und konnte Qualm und Bier regelrecht riechen. Sprachlich also schon großes Kino.
Aber auch ich hatte Probleme mit dem Plot. Er wird in der zweiten Hälfte und zum Ende nicht rund. Alles, was ich dazu im Einzelnen sagen würde, haben meine beiden Vorgängerinnen schon geschrieben.
Schon die Tatsache, dass du meinen Text dreimal gelesen hast und darüber nachdachtest, werte ich als Kompliment und bedanke mich dafür!
Wie ich schon Sumsa schrieb, polarisiert dieser Text, wenn auch - glücklicherweise - ausschließlich inhaltlich. Ich hole mal etwas weiter aus. Diese Maria existierte tatsächlich, ebenso wie der Branntweiner Uli. Beide sind mittlerweile tot, folglich habe ich kein Problem mit dieser Offenbarung. Ich betrieb vor Jahren in einem Vorort Wiens, später auch in Wien, ein Taxiunternehmen mit drei Wägen. Von daher kenne ich diese Szene, und natürlich holte ich auch einige Passagiere aus Ulis Beisl persönlich ab, da ich auch selbst gerne mal fuhr. Uli war einer, der im Zusammenhang mit anderen Drogen vermutlich Pusher genannt werden würde. Also einer, der im Gegensatz zum Dealer, sein Zeug zwar unters Volk brachte, aber selbst strikter Antialkoholiker war.
In Anlehnung an diese realen Personen entwickelte ich diese, ich nenne sie mal Psychostudie, wobei sowohl der Behinderte, als auch die versuchte Vergewaltigung und der Kindesmissbrauch schlicht erfunden sind. So viel zur Vorgeschichte.
Ich halte meine Kurzgeschichte für ein Segment, ein Schlaglicht auf ein einziges Ereignis. Eine oder mehrere Figuren erwachen zum Leben, die Episode ereignet sich, die Story ist zu Ende. Sie richtet ihren Scheinwerfer auf die Zeitspanne von wenigen Stunden im Leben zweier Menschen, die einander nicht kennen und möglicherweise nie wieder sehen werden.
Im Mittelpunkt steht die problembehaftete Maria. Sie erscheint bereits im ersten Satz und verschwindet erst im letzten. Die Frage, warum Maria ausgerechnet in ein abgefucktes Beisl außerhalb Wiens geht und sich dort betrinkt, könnte damit beantwortet sein, dass sie in einer feinen Gesellschaft lebt und nicht erkannt oder verleumdet werden will. Aber auch damit, dass man sich in dieser Art Lokalen üblicherweise in Ruhe betrinken kann und von niemandem deshalb in Frage gestellt wird. In einem feinen Lokal fliegt man normalerweise raus, wenn man besoffen ist. Es kann aber auch andere Gründe haben, die mich jedoch in dieser Story gar nicht groß interessieren. Natürlich könnte ich dies mit ein, zwei Sätzen erklären, aber erklären möchte ich möglichst nichts in einem fiktionalen Text. Für mich steht hier bloß die Begegnung im Mittelpunkt und wie sie sich entwickelt.
Das mit der Geilheit des Taxlers auf betrunkene Frauen will ich auch nicht groß erklären. Betrunkene Frauen sind häufig leichter zu verführen, als nüchterne. Selbiges gilt auch für Männer.
Dennoch werde ich diesen kurzen Satz … so etwas macht ihn geil … rausnehmen. Die Story braucht ihn nicht. Danke für den Hinweis. Du meinst, der Taxler wirke auf dich unglaubwürdig, weil er im letzten Moment zu sich kommt und feststellt, dass er im Begriff ist, eine betrunkene, wehrlose, neurotische Frau zu vergewaltigen? Das ist ein ungestümer junger Mann, der glaubt, alle Frauen wären nur drauf aus, mit ihm zu schlafen. Und jede, die es tut, bestätigt seine Ansicht. So etwas soll es tatsächlich geben.
Zur Rolle des Behinderten habe ich mich bereits in meinem Kommentar zu Sumsa geäußert. Ich denke, dass sein Auftritt Marias Profil zusätzlich verdeutlicht.
Ich kann verstehen, wenn einige Leser mit dem Text nichts anfangen können. Er ist weder besonders spannend noch gibt es eine großartige Pointe, soweit der Auftritt des Rollifahrers keine solche ist. Wie gesagt, ich habe dazu ebenso Lobeshymnen wie totales Unverständnis erhalten. Es gibt unter diesem Text auch einige Gefällt mir. Wäre interessant zu lesen, was diesen Lesern daran gefallen hat.
Darüber werde ich jedenfalls gründlich nachdenken. Vorerst danke ich für deine Mühe und Sorgfalt mit der du die Story kommentiert hast. Bitte, bleib mir weiterhin gewogen,
Liebe @Manuela K.
Eine tolle Geschichte. eine fiese Geschichte, eine traurige Geschichte. Ich hatte kein Probleme sie zu lesen. Manchmal sind Geschichten wie sie sind. Manchmal passieren Sachen und man bekommt keine Erklärung. Ich frage mich nicht warum sie ausgerechnet da hin fährt. Vielleicht weil sie da niemand erkennt? Ist das wichtig? Nicht für mein Seelenheil. Verbeugung mit Hut und so.
Dein großes Lob für Sprache und Stil geht natürlich runter wie Milch und Honig. Dazu noch: Ich wollte eigentlich nur kurz reinkucken und bin dann hängen geblieben … Danke vielmals, besonders dafür.
Im Wesentlichen führst du ähnlich inhaltliche Kritk an, wie Yoro, der ich oberhalb bereits ausführlich geantwortet habe. Deshalb weiß nicht so recht, was ich dazu noch weiter anführen könnte. Ich hoffe, du verzeihst mir das.
Ich bedanke mich jedenfalls ausdrücklich für dein Interesse und die Zeit, die du in meine Geschichte investiert hast. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht in einem Literaturforum.
Ich wollte das “Gefällt mir” eigentlich nicht näher begründen, sonst hätte ich direkt etwas dazu geschrieben. Warum wollte ich das nicht? Weil ich es nicht an “Sachverhalten” festmachen kann, wieso mir die Geschichte gefällt. Wieso gefällt einem ein Pullover, ein T-Shirt oder Sonstiges? Manchmal gefallen einem Dinge eben - ohne besonderen Grund.
Ich finde sie, im Gegensatz zu anderen Meinungen hier, rund. Sie war NICHT langweilig, vielleicht einfach mal was anderes. Für mich muss nicht jede Geschichte einen pointierten Knaller bereithalten. Sie muss in erster Linie gut erzählt werden. Und das hast du eindeutig geschafft.
Huhu @Lusmore ,
auch dir vielen herzlichen Dank für deine positive Bewertung. Du hast Recht. Manchmal passieren Dinge einfach so, wie sie passieren. Und genau eine solche “passierte” Situation wollte ich zeigen.
Danke auch dir, liebe @Suse für deinen positiven Nachtrag. Ich hoffe, es geht dir wieder halbwegs gut und möge das Neue Jahr weitere Besserung bringen.