Hallo JMP,
ich gehöre auch zu denen, die sich zunächst einmal gerne bedeckt halten und finde das nicht gar so schlimm wenns ein anderer tut - obwohl ich schon auch neugierig bin :)) Also danke auch für die Infos zu deiner Biografie. Zur Info über mich: Ich schreibe beruflich und unter anderem auch Romane und habe Freude daran, mich mit Texten auseinanderzusetzen, weil das genaue Hinschauen immer auch beim eigenen Schreiben hilft.
Ich habe das erste Kapitel gelesen und gebe dir gerne ein Feedback dazu. Drei Dinge habe ich mir herausgepickt.
1. Sprache
Es gelingt dir durchaus, Atmosphäre zu erzeugen, auch wenn mir die Mittel nicht immer so gefallen, weil die Formulierungen recht viele Klischees enthalten. Der Vorteil an den Klischees ist ja, dass man immer sofort ein Bild vor Augen hat. Der Nachteil ist, dass es an Überraschungen mangelt und man sich ein bisschen ärgert, wenn man das Gefühl bekommt, der Autor habe es sich zu leicht gemacht. Beispiel: “Der Engel schaute auf ein langes und erfülltes Leben zurück”, oder “eine düstere Stimme wispert” oder “grauenhafte Kreaturen” … die Liste ist (leider) lang. Man kann sicher nicht alles meiden, aber weniger täte dem Text gut. Vielleicht beim Überarbeiten daran denken …
2. Die Welt beschreiben
Du hast natürlich das Problem aller Fantasyautoren, die Welt gleich mitliefern zu müssen (bzw es ist natürlich auch der Spaß, das zu tun). Nur: wie und an welchen Stellen baut man das ein? Lange erklärende Passagen unterbrechen die Handlung, etwa an dieser Stelle:
*Die Lordschaft hatte ihn gefunden. "Diese selbsternannten „Lords“ waren grauenhafte Kreaturen, die ihre hässlichen Fratzen hinter eisernen Masken versteckten. Ihre Herzen waren weit düsterer, als die Nacht, die ihn umgab. Die Masken vieler Lords bildeten spottende Grimassen, als verhöhnten sie die Engel, bevor sie ihnen das Leben nahmen. Ihre sonst so seelenlosen Körper wurden von der unbändigen Gier nach den besonderen Gaben der Engel vorangetrieben; so wie Hagard das Wissen über die Zeit vergönnt war, besaßen andere Engel andere Fähigkeiten. Die Lords hatten es sich zum Ziel gemacht, die Kräfte dieser Wesen zu stehlen, und sie wussten, dass sie diese nur bekommen
konnten, indem sie die Engel jagen und töten.
*
Da steht also der Engel, den wir bereits kennengelernt haben und wartet auf die Monster. Doch wir erleben nicht wirklich mit Hagard, wie sie sich heranpirschen. Das bleibt alles sehr beschreibend und steckt voller Erklärungen und Erläuterungen, die mir als Leser nicht die Gelegenheit geben, die Situation mitzufühlen. Auch die Gabe, die er hat müsste noch nicht unbedingt vorher in aller Ausführlichkeit beschrieben werden. Statt mitzuerleben, was der Engel erlebt und fühlt, werde ich als Leser informiert und aufgeklärt, so kommt es mir vor. Dadurch entwickelt die Story nicht den rechten Sog. Erläuterungen solltest du geschmeidiger in die Story einbinden. In der eben genannten Szene könntest alles was an Erklärungen notwendig dorthin schieben, wo sie ihn verschleppen. Zwei Stunden lang “durchströmen ihn Gedanken”, da könnte er ja durchaus auch über die Welt nachdenken, in der er lebt, über seine Gabe etc… Das ist ein grundsätzliches Problem, auch an anderen Stellen wird Handlung durch Erklärungen unterbrochen. Es kann ja auch Spannung erzeugen, wenn der Leser etwas miterlebt, das er noch nicht gleich versteht. Solange er neugierig ist auf die Handlung wird er auch weiterlesen.
3. Perspektive
Du hast die Perspektive des allwissenden Erzählers gewählt und das ist leider, um es ganz offen zu sagen, sehr altmodisch. Das größte Problem dabei ist, dass dem Leser nicht die Gelegenheit gegeben wird, sich mit einer Figur zu identifizieren, weil die Perspektive ständig wechselt. Diese allwissende Erzählperspektive hat sich überholt, einen kompletten Roman so zu schreiben würde ich dir nicht empfehlen, da sträuben sich die Leser, auch wenn sie vielleicht nicht auf Anhieb sagen können, woran es liegt, wenn sie nicht gewohnt sind, darauf zu achten.
Beispiel
Lords versuchten, durch ihre Rüstungen bedrohlich und angsteinflößend zu wirken, und die beiden Gestalten, die sich dem Engel näherten, hatten dieses Ziel keineswegs verfehlt. (Hagard-Perspektive - er hat Angst)
Als sie sahen, dass Hagard keinerlei Reaktion auf ihre Gegenwart bot, blieb einer von beiden verwundert stehen. (Lord-Perspektive)
»Das könnte eine Falle sein«, flüsterte er dem anderen zu. (Hagard-Perspektive? könnte er das Flüstern hören?)
»Blödsinn! Der ist allein. Das spüre ich«, antwortete dieser selbstsicher. (selbstsicher = Innenperspektive Lord) Mit langsamen Schritten kamen sie auf den Engel zu, während ihre Blicke ihn nicht losließen. (Lord-Perspektive) Sein Herz schlug wie wild und er war so erstarrt, dass er sich selbst ermahnen musste zu atmen. (Hagard-Perspektive) Der Lord mit den spitzen langen Hörnern schwang sein Schwert neben sich in kreisenden Bewegungen, (Hagard-Perspektive, so sieht er das) um ihn einzuschüchtern. (Motivation = Lord-Perspektive)
»Willst du nicht versuchen zu fliehen, alter Mann?.« Hagard schwieg. Die Angst, die er verspürte, raubte ihm die Luft. (Hagard) Der Lord hob sein Schwert und setzte ihm dessen Spitze an die Kehle. (Außen-Perspektive) »Nun gut, ich bin gespannt, was für ein Geschenk du für uns hast. Welche Gabe hast du?« (Außen oder Hagard-Perspektive)
Weiterhin blieb der Engel stumm. Er war geradezu gelähmt. (Hagard-Perspektive) Wenn es jedoch eines gab, das die Lords hassten, dann war es das Gefühl, ignoriert zu werden. (Lord-Perspektive) Sie hielten sich selbst in ihrer unendlichen Arroganz für Götter – erhabene Götter, die man nicht zu ignorieren habe. (Perspektive des Erzählers von außen) Der Lord senkte sein Schwert mit einem ungläubigen Schmunzeln. (Lord-Perspektive) Dann stieß er Hagard mit einem Tritt gegen sein Brustbein um, woraufhin der Engel direkt in die Arme des anderen Lords fiel. Dieser schubste ihn in die Pfütze, in der er zuvor gestanden hatte (Perspektive von außen)
Vorschlag – du könntest alles aus der Perspektive von Hagard erzählen: (Übrigens auch ob du “der Engel” oder Hagard" sagst spielt eine Rolle. “Der Engel” ist mehr von außen “Hagard” ist mehr Ich-Perspektive, “der alte Mann” ist auch von außen)
Lords behängten sich mit Rüstungen, die bedrohlich und angsteinflößend wirken sollten, und die beiden Gestalten, die sich dem Engel näherten, hatten dieses Ziel keineswegs verfehlt. Doch Hagard ließ sich seine Angst nicht anmerken, was die beiden zu irritieren schien. Einer der beiden blieb stehen.
»Das könnte eine Falle sein«, flüsterte er dem anderen zu.
»Blödsinn! Der ist allein. Das spüre ich«, antwortete dieser und wollte sich offenbar nicht beirren lassen. Mit langsamen Schritten kamen sie weiter auf Hagard zu, während sie ihn mit ihren Blicken fixierten. Sein Herz schlug wie wild und er war so erstarrt, dass er sich selbst ermahnen musste zu atmen. Der Lord mit den spitzen langen Hörnern schwang bedrohlich sein Schwert neben sich in kreisenden Bewegungen.
»Willst du nicht versuchen zu fliehen, alter Mann?«
Hagard schwieg. Die Angst, die er verspürte, raubte ihm die Luft. Der Lord hob sein Schwert und Hagard fühlte die kalte Spitze des Metalls an seiner Kehle. »Nun gut, ich bin gespannt, was für ein Geschenk du für uns hast. Welche Gabe hast du?«
Hagard blieb weiterhin stumm. Er war geradezu gelähmt.
Die Erzählperspektive solltest du nur bei neuen Kapiteln oder zumindest Szenen wechseln und auch nicht zu oft. Vielleicht kommst du ja mit zwei bis drei Perspektiven hin? Oder wenn du mehrere Erzählstränge hast, eine pro Strang. Probier es mal aus und vlt bist du sogar überrascht, wieviel mehr an Atmosphäre schon allein durch eine konsequente Perspektivwahl entsteht und dadurch, dass du selbst dich nur in einen Kopf hinein verpflanzt.
In diesem Sinne weiterhin viel Spaß beim Schreiben!!
Herzlich
Susanne