Hallo zusammen, mich würde es interessieren was ihr über das erste Kapitel meines Projekts denkt. Da dies mein erstes Buch werden will, werde ich bestimmt einige „Fehler“ in puncto Stil, Gramatik, Zeichensetzung und und und haben.
Ich bin über jedes Feedback dankbar auch wenn ich vielleicht nicht jede Kritik annehme. Trotzdem würde ich mich freuen wenn ihr eure Meinung hier abgebt.
ACHTUNG: Menschen mit zartem Gemüt und die empfindlich auf den Tod reagieren und wie es dazu führte, sollten ab hier evtl. nicht weiterlesen.
Vielen Dank und schönen zweiten Advent.
Sascha
Der schwarze Mann
Vor wenigen Tagen feierten die meisten Menschen Silvester und die Leute begrüßten sich immer noch mit den Worten ›frohes Neues‹. Es war kalt draußen und es hatte letzte Nacht lange Zeit geschneit. Lukas stampfte an diesem Vormittag freudig durch die frische, pappige weiße Pracht, beim kurzen Fußmarsch zu seinem Klassenkameraden Martin. Bei jedem Fußtritt knirschte die handbreit Schnee unter seinen braunen Winterstiefeln. Während vereinzelnd Schneeflocken fielen und Lukas in Gedanken den schneebedeckten Bürgersteig entlangschlenderte, erinnerte er sich zurück an die festlichen Weihnachtstage, die er mit seiner Familie zu Hause verbrachte.
Es war keine richtige Familie. Schon eine echte Familie aber eher eine Patchworkfamilie. Lukas wuchs wohlbehütet bei seiner Mutter auf. Und da er ein Einzelkind war, wurde er dementsprechend verhätschelt. Er genoss die Aufmerksamkeit und fühlte sich immer als Mittelpunkt im Leben seiner Mutter.
Seinen Vater kannte er nicht, aber vor ein paar Jahren, als Lukas zehn Jahre alt wurde, erzählte seine Mutter ihm etwas über seinen richtigen Vater.
Die beiden hatten sich damals Hals über Kopf ineinander verliebt und verbrachten nur wenige Wochen miteinander, bevor sein Vater, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden ist. All sein Hab und Gut ließ er an Ort und Stelle und es soll so ausgesehen haben, als wäre er nur spazieren gegangen oder einkaufen gewesen. Seine Mutter suchte nach ihm. Verzweifelt und mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen. Die Polizei nahm zwar alle Daten für eine Vermisstenanzeige auf, aber die Suche dauerte nicht lang. Die Nachfragen beim Einwohnermeldeamt waren ergebnislos und eine Geburtsurkunde wurde ebenfalls nie gefunden. Der Vorname seines Vaters war in Deutschland selten, und das Alter der wenigen Menschen mit dem gleichen Namen passte nicht zum Alter seines Vaters. Sein Vater wurde in den Augen der Behörden schnell ein Mensch, den seine Mutter erfunden hatte. Niemand glaubte ihr mehr, dass er existierte, und stellten somit die Suche nach ihm ein.
Sie musste sich eingestehen, dass beide nur selten das Haus verlassen hatten, so wurden sie kaum von anderen gesehen. Trotz aller Sehnsucht und des Verlustgefühls musste Lukas Mutter akzeptieren, dass sie ihren Liebsten nie wieder sehen würde.
Trotzdem wurde Lukas einige Monate später geboren. Seine Mutter versuchte alles, damit beide ein normales Leben führen konnten. Ohne einen stattlichen, blonden, muskulösen und liebevollen Adonis, wie seine Mutter seinen Vater beschrieb. Der sich damals mit dem Namen Gijs vorstellte.
Lukas versuchte immer ein braver, verständnisvoller und angenehmer Sohn zu sein, der er seiner Meinung nach stets war. Trotzdem gab es hin und wieder Höhen und Tiefen, so wie in jeder anderen Familie auch. Nach ein paar Jahren fühlte sich seine Mutter einsam und verliebte sich in einen anderen Mann und heiratete diesen. Somit hatte er einen Stiefvater bekommen. Aber wenn das nicht genug gewesen wäre, brachte sein neuer Stiefvater eine Tochter mit in die neugegründete Familie. Lukas Stiefschwester war zwei Jahre jünger als er und nervte einfach nur. Nicht immer. Manchmal war sie auch lieb. Vielleicht öfter als nur manchmal.
Wie auch immer. Sein Stiefvater und Stiefschwester fühlten sich fremd für ihn an. Obwohl sie schon einige Jahre zusammen lebten und sich die meiste Zeit gut verstanden.
Lukas kurzes blondes Haar wedelte in den kalten Windböen hin und her, die zwischen den Häusern hervor bliesen. Trotz das er warm, in zig Schichten Kleidung eingepackt war, fing er an zu frieren. Umso erfreulicher war es, dass er nur noch wenige Fußschritte von Martins Elternhaus entfernt war. Dieser schien auf ihn gewartet zu haben, da sich die schwere Eingangstüre schnell öffnete und Lukas mit einem breiten Grinsen hinein ins warme Haus gebeten wurde.
Lukas und Martin lernten sich in ihrer Schule kennen. Beide waren dort neu und saßen zusammen in derselben Klasse. Ihre Freizeit verbrachten sie so oft zusammen, wie es möglich war. Obwohl Lukas eher ein Einzelgänger war, genoss er Martins Anwesenheit, da beide über alles sprechen konnten und sich nie stritten.
An diesem kalten Ferientag wollte Martin Lukas unbedingt seinen neuen Computer zeigen, den er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Martin erzählte seit Tagen davon am Telefon und Lukas war neugierig auf dieses hochwertige Stück Technik und ließ sich nicht zweimal bitten, Martin besuchen zu dürfen. Obwohl Lukas zwei linke Hände in puncto Technik hatte, war er trotzdem immer wieder fasziniert, was es Neues gab und wie schnell sich die Technik entwickelte. Martin wiederum war froh, dass er Lukas erneut sein tiefgründiges Wissen über Computer und das unendliche Internet unter die Nase reiben konnte.
Nachdem die Ferien zu Ende waren, startete die Schule wieder wie gewohnt und der normale Tagesablauf wurde erneut zur Routine. Der Tagesinhalt wiederholte sich immer und immer wieder. Lukas hatte manchmal das Gefühl ein Roboter zu sein, der nur auf Aufstehen, Frühstücken, Schule, Hausaufgaben, Mittagessen, Freizeit, Abendessen, TV gucken und schlafen, programmiert war.
Lukas freute sich jedes Mal wie ein kleines Kind von dem Programmablauf abzuweichen zu können, wenn das Wochenende anfing. Es war für ihn wie eine Befreiung aus den Zwängen der Verpflichtungen. Ein Freiheitsgefühl, dass er wie einen guten Kakao, jede Sekunde genoss.
Und den wahrhaft allerbesten, unschlagbarsten Kakao kreierte sein Onkel Walter. Walter ist der Bruder seiner Mutter und immer wenn seine Mutter alleine sein wollte, schob sie Lukas an Walter ab. Beide verstanden sich blind. Sie waren mehr engste Freunde statt nur Onkel und Neffe. Zudem hatten sie das gleiche Hobby. Und für seinen Onkel war es sogar sein Beruf.
Walter wohnte in einem Haus, direkt neben einem großen Erlebnis-Schwimmbad, dass ›Schwimmparadies‹ hieß. Walter fungierte als Hausmeister, Bademeister, Verkäufer, Sicherheitsdienst und Buchhalter in einer Person. Er war der Verwalter und Betreiber des Schwimmbads. Geld bekam Walter vom Besitzer des Schwimmareals, zu dem auch das Haus und das umliegende ausgedehnte Grundstück gehörten. Lukas hatte den Besitzer nie kennengelernt, aber er wusste von Walter, dass es ein älterer alleinstehender Mann ist. Walter erwähnte mal einen französisch klingenden Namen, den Lukas aber so schnell wieder vergaß, wie er ihn gehört hatte.
Bei Walter fühlte sich Lukas wie im Paradies. Er durfte fast alles machen, was er wollte. Lange Wachbleiben, kostenlos ins Schwimmbad, Essen was und so viel er wollte und sogar Horrorfilme schauen. Die täglich, gefühlten fünf Liter Kakao und hundert Kilo Schokolade nicht zu vergessen. Lukas hatte sogar ein eigenes Zimmer in Walters Haus. Es war klein, dunkel und rustikal, aber es war sein Zimmer. Eigentlich hätte man sagen können, dass er eine ganze Etage für sich alleine hatte, da Walter immer im Erdgeschoss blieb. So gesehen war das komplette erste Stockwerk, mit den beiden kleinen Zimmern und dem uralten Badezimmer sein Territorium. Seinem Onkel reichte die unterste Etage.
Nachdem man den kleinen Eingangsbereich des Hauses betreten hatte, führte eine Türe zum Gäste-WC und ein hölzerner Torbogen zum großen Wohnbereich. Eigentlich war es ein einziger großer Raum in dem die offene Küche durch einen langen, breiten Holztisch vom Wohnbereich abgetrennt wurde. Sein Schlafzimmer war zusätzlich sein Arbeitszimmer und ein modernes weiträumiges Badezimmer vervollständigte das Geschoss. Dort, so sagte er, hatte er alles, was er benötigte. Da das Haus dem Schwimmbadbesitzer gehörte und sein Onkel mietfrei darin wohnte, war der verschwendete Platz im Obergeschoss nebensächlich. Obwohl problemlos eine vierköpfige Familie darin hätte hausen können.
Lukas lernte bei Walter schon von klein auf das Schwimmen. Mit sieben Jahren, als seine Mutter seinen Stiefvater kennengelernt hatte, besaß Lukas bereits verschiedene Schwimmabzeichen und mittlerweile war er einer der jüngsten Rettungsschwimmer-Lehrlinge weit und breit. Lukas hatte Spaß am regelmäßigen Training und er wollte später, genauso wie sein Onkel Walter, ein Schwimmbad besitzen oder sogar einen ganzen See. Dann könnte er zu jeder Zeit schwimmen gehen, egal wann. Und er könnte auf Menschen aufpassen. Ihnen Helfen. Sie retten.
Leider wohnte Walter in einer anderen Stadt und daher war es nicht mal eben, ihn zu besuchen. Nur wochenends oder in den Ferien lohnte es sich, mit verschiedenen Bussen und dem Schnellzug zu ihm zu reisen. Daher musste er in einem kleinen städtischen Schwimmbad in seiner Nähe trainieren, indem meistens Omas und Opas ihre Bahnen drehten. Und ihre parfümierten Duftschleier hinter sich herzogen.
Obwohl wieder ein Wochenende begann und Lukas innerlichster Wunsch war, bei seinem Onkel zu sein, musste er dieses Wochenende zu Hause bleiben, um mit seiner Mutter einkaufen zu fahren. Alle Jahre wieder war es Zeit für neue Hosen, T-Shirts und Schuhe. So gerne Lukas brandneue Kleidung trug, so sehr hasste er es, die Kleidung in den Geschäften anprobieren zu müssen. Als zwölfjähriger Junge war es ein Horror seine Hose auszuziehen und nur mit T-Shirt und Unterhose in dieser engen stickigen Umkleidekabine zu stehen. Die meisten Kabinen hatten zwar drei Wände, die blickdicht waren, aber diese Flügeltüren oder Stoffvorhänge waren eher unnütz. Entweder hatten die Türen einen so großen Spalt, dass ein LKW hindurchfahren hätte können oder diese Stoffvorhänge waren so schmal wie eine Krawatte.
Egal wie verzweifelt man versuchte, niemandem seine blassen Beine zu zeigen und die aktuelle Farbe der heutigen Unterwäsche preiszugeben, kämpfte gegen Windmühlen. Man gab spätestens dann auf, wenn die eigene Mutter dieses letzte bisschen an Intimsphäre zerstörte, indem sie diesen Kabineneingang komplett öffnete, um weitere Hosen hineinzureichen. Ausgerechnet dann, wenn mindestens dreiviertel der gesamten Kundschaft eine einwandfreie Sicht in genau deine Kabine hat.
Lukas fühlte sich nicht hässlich und schämte sich nicht für seinen Körper. Im Gegenteil, sein Body war vom Schwimmen mehr als durchtrainiert. Aber musste es sein, dass ihn fremde Menschen halbnackt sehen konnten, wenn er es nicht wollte? Und musste er die Geräusche, das Kichern und die Blicke der vorbeigehenden Mädchen und Jungs ertragen?
Die meisten Jungs und Mädchen guckten wenigstens nach wenigen Sekunden weg. Meist waren es ältere Damen, die ihn gefühlte Stunden mit ihren Augen begutachten, als wäre er ein Neuwagen, den sie jetzt kaufen wollen aber sich nicht entscheiden können ob Ledersitze oder doch eher Stoff zu ihrem Hinterteil passt. Und dann deren Kommentare zu meiner Mutter: »Ich würde es ja etwas größer nehmen, wenn ich Sie wäre. Der Kleine wird da in ein paar Monaten herauswachsen! Gerade wenn sie in die Pubertät kommen. Glauben sie mir!«
Wenn man bis zu diesem Zeitpunkt seine Umgebung noch wahrgenommen hatte, versank man spätestens beim Wort Pubertät schamhaft in den Boden. Und mit seinem hochroten Kopf hätte man die halbe Innenstadt beleuchten können.
Wenigstens wurden keine Schilder mit einem Bild von ihm aufgestellt, um mit dicker roter Schrift mitzuteilen, dass Lukas Helle genau jetzt in der Pubertät ist.
Zu seiner Erleichterung hat meist alles ein Ende, was einen Anfang hat. Und diese Einkaufstortur war endlich beendet! Für die erlittenen Qualen schenkte ihm seine Mutter ein großes Eis mit zwei Kugeln Stracciatella und einer Kugel Schokoladeneis in einem Pappbecher, das Lukas genüsslich löffelte und grob zählte, wie viele neue Kleidungsstücke sein Kleiderschrank wieder schlucken musste.
Nebenbei beobachtete er eine kleine Gruppe von vier Jungs, die in seinem Alter zu sein schienen. Er kannte sie nicht, auch nicht von seiner Schule. Sie alberten fröhlich herum und lachten laut. Einer der Jungs hatte rote Haare. Lukas wusste nicht warum, aber er mochte Jungs mit roten Haaren. Vielleicht lag es an der hellen Haut oder den Sommersprossen? Oder weil er rothaarige Jungs seltener sah als blonde, schwarzhaarige oder welche mit braunen Haaren?
Lukas war immer ein Magnet für Mädchen und er wusste nicht warum. Er bekam viele Blicke von Mädchen, die an ihm vorbeigingen und einige lächelten ihn dabei an. Bei Geburtstagsfeiern oder anderen Veranstaltungen tummelten sich die anwesenden Mädchen immer in seiner Nähe. Sie versuchten krampfhaft, mit ihm ein Gespräch zu beginnen, aber es scheiterte an ihm selbst. Er hatte andere Themen, über die er sich unterhalten wollte. Er hatte die Gesellschaft von Jungs lieber als die von Mädchen. Er konnte es nicht erklären, er wurde eher von Jungs angezogen, während er selbst die Mädchen anzog. Die anderen Jungs erkannten wiederum ihre Chance, schneller in Kontakt mit Mädchen zu kommen, wenn sie sich mit ihm unterhielten. Er hatte schon immer die Vermutung, dass seine Gedanken anders sind als die der anderen Jungs. Und seit Beginn seiner Pubertät kamen zu seinen Gedanken auch noch Gefühle hinzu. Gefühle für Jungs.
Es ist so, wie es ist! Er beobachtete lieber Jungs, statt Mädchen! Und alle rothaarigen Jungs inspizierte er besonders gründlich. Ihr Aussehen, ihre Figur, ihre Kleidung. Wie sie standen, gingen oder liefen. Wie sie lachten, grinsten, ihre Münder bewegten. Kein Gesichtsausdruck und keine Gestik blieb unentdeckt.
Vertieft in seinen Gedanken versuchte Lukas mit seiner Mutter Schritt zu halten, die es offensichtlich eilig hatte, zurück zum Auto zu kommen. Trotz das Lukas schon zwölf war, schnappte sich seine Mutter seine linke Hand, als sie versuchte, eine befahrene Straße zu überqueren. Sie zog Lukas förmlich über die Straße, während er nochmals zurück, zu dem rothaarigen Jungen schaute.
Lautes Reifenquietschen unterbrach Lukas Gedanken an Jungs. Er hatte keine Chance, die Ursache des Quietschens festzustellen, bevor er einen lauten Knall hörte und einen heftigen Ruck an seiner linken Hand spürte. Die Hand seiner Mutter riss ihn zu Boden, bevor sie ihn losließ. Schmerzhaft fiel Lukas mit seinem Gesicht auf den harten Asphalt und sein Becher Eis zerschellte in der Regenrinne.
Laute metallische Geräusche, gefolgt von markerschütternden Schreien waren zu hören. Lukas stemmte sich gegen den Asphalt, um aufzustehen. Ein durchdringender Schmerz schoss durch seinen Körper, als er versuchte, sein rechtes Bein zu belasten. Sein Kopf dröhnte, seine Gelenke und die Hüfte schmerzten. Sein rechter Knöchel und sein Knie sahen unnatürlich verdreht aus. Nachdem er sich einen Augenblick selbst untersucht hatte, erblickte er seine Mutter. Sie lag einige Meter weiter auf der rauen harten Fahrbahn, mit dem Gesicht zum Boden gedreht. Ein unheimlicher Mann, vollkommen in Schwarz gekleidet, kniete neben seiner Mutter und sah, teuflisch lachend in seine Richtung.
Ein weiteres Quietschen kam immer näher und näher. Lukas versuchte zu reagieren, aber es passierte alles zu schnell. Ein Knacken seiner Hüfte war zu hören und ein heftiger Schlag, durchzog Lukas Skelett. Er spürte, wie er seinen Halt verlor und sich sein Körper schwerelos in die Luft erhob. Wie in Zeitlupe sah er, wie er über seiner liegenden Mutter schwebte. Ihre Augen und ihr Mund waren weit aufgerissen. Er sah einige Schürfwunden in ihrem Gesicht und ihr Rücken sah verbogen aus. So als wenn er mittig um 180 Grad gedreht worden wäre. Der schwarze Mann kniete immer noch neben seiner Mutter und lachte erneut freudig in Lukas Richtung.
Lukas beobachtete während seines Flugs einen Schwall Blut, der langsam auf den schwarzgrauen Asphalt plätscherte. Es war sein eigenes Blut, dass aus einem Riss links an seinem Bauch, herausspritzte. Spätestens jetzt hätte er Panik und vor allem Schmerz spüren müssen. Dachte er, aber er merkte nichts. Er fühlte sich geborgen und sorglos. Zufriedenheit und Gleichgültigkeit rundeten die liebliche Mischung seiner Gefühle ab.
Als wenn die Zeit stehengeblieben wäre, schwebte Lukas hoch oben über seiner Mutter und dem Mann, der neben seiner Mutter kniete. Lukas Blut verteilte sich langsam auf dem trockenen Asphalt, welcher die Flüssigkeit wie ein Schwamm aufsog. Der lachende Mann trug einen langen schwarzen Mantel, schwarze Handschuhe und einen schwarzen Hut. Zudem war der Kragen des Mantels hochgezogen, so erblickte er nur wenig seiner fahlweißen Haut. Das Gesicht sah zerklüftet, wie zerschnitten aus. Er hatte unheimliche pechschwarze Pupillen, die seine gesamten Augen ausfüllten. Lukas hörte ununterbrochen dieses schadenfrohe Gelächter, dass der Mann von sich gab. Wie kann ein Mensch so erfreut sein, dass er über verletzte Menschen lacht?
Immer noch schwebend sah Lukas in der näheren Umgebung des Mannes, mehrere Metallhaufen auf der Straße, die früher einmal Autos waren. Menschen, die ihre Hände vor die Augen hielten oder laut schrien und weinten. Mütter und Väter die ihren Kindern die Augen verdeckten. Er sah die Gruppe Jungs, die er zuvor beobachtet hatte. Alle mit einem Schrecken in ihren Gesichtern. Den rothaarigen Jungen, der sein hübsches Lächeln verloren hatte und in dessen Augen sich nun pures Entsetzen widerspiegelte.
Ein erneuter Schlag ließ die Zeit Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren. Kalter Asphalt zerkratzte Lukas Wangen. Sein Körper prallte hart auf die Fahrbahn und weiteres Blut tränkte seine Kleidung. Trotz, dass sich der Aufschlag extrem anfühlte, spürte er wie durch ein Wunder keinerlei Schmerzen. Die große Wunde an seinem Bauch hörte nicht auf sein Blut pulsierend auf der Straße zu verteilen.
Seine Mutter lag nicht weit von ihm entfernt und er hatte das Bedürfnis zu ihr zu robben. Aber so gerne er sich bewegen wollte, konnte er es nicht. Er sah Tränen in den Augen seiner regungslosen Mutter. Der schwarze Mann kniete vor einer Millisekunde noch neben ihr, bevor er in Lichtgeschwindigkeit seitlich neben ihm auftauchte und Lukas anstarrte. Lukas konnte die Augen unter dem schwarzen Hut, der aussah wie der von Zorro, noch besser erkennen. Sie waren kalt, tiefschwarz, bewegungslos und sahen ihn eindringlich an. Ein kaltes durchdringendes Gefühl zwang Lukas, hinab auf seine Verletzungen zu schauen. Seine Beine waren total verdreht und mussten gebrochen sein. Seine Hüfte sah verbogen, gequetscht, zertrümmert aus. Und an der klaffenden Wunde an seiner linken Bauchseite hingen Fleischfetzen heraus und bei jedem Herzschlag lief eine große Menge Blut aus seinem Körper auf den nach Feuchtigkeit gierenden Fahrbahnbelag.
Während Lukas vernahm, wie die letzte Kraft aus seinem Körper wich und ihm bewusst wurde, dass er jetzt und hier sterben wird, wurde ringsherum alles leise. Bilder von glücklichen Momenten schossen durch seinen Kopf. Bilder seiner Mutter und ihm. Fröhlich, lachend und herumalbernd. Von Onkel Walter im Schwimmparadies, wie er ihm das Schwimmen beibrachte. Die Momente an denen er seine Schwimmauszeichnungen entgegennahm und seine Mutter und sein Onkel mit ihm feierten.
Der schwarze Mann berührte Lukas zertrümmerte Hüfte und bohrte mit einem Finger in seine riesige Wunde. Sein Blut pulsierte immer schwächer werdend über die schwarzen Handschuhe und tropfte hinab. Die Umgebungsgeräusche wurden wieder lauter und er hörte ein wildes Durcheinander von Rufen, Schreien, Weinen und näherkommenden Sirenen. Trotz das der schwarze Mann ihn dort berührte, wo er normalerweise schreckliche Schmerzen haben müsste, spürte er stets nichts. Lukas Blick fiel nochmals in die unheimlich teuflischen Augen des Mannes und er atmete tief ein. Er öffnete seinen Mund und wollte ihn fragen, warum er die ganze Zeit so schadenfroh lacht, aber Lukas bekam kein Wort über seine blutig zerkratzten Lippen. Beim darauffolgenden erschöpften ausatmen wurde die Umgebung langsam wieder leiser und das Lachen des schwarzen Manns immer lauter. Die Bilder die Lukas vor Augen hatte, wurden dunkler und verschwommener. Ein heller Lichtblitz zuckte durch seine Augen und verblasste allmählich.
Wie bei einem alten Röhrenfernseher, den man ausgeschaltet hatte und sich das Bild in einen kleinen weißen Punkt verwandelte und mittig auf der Mattscheibe, langsam erlosch. So verstummte das Lachen des Mannes. Und während die letzte Luft seine Lungen verließ, schaltete sich Lukas Bewusstsein ab.