Ich habe nach diesem Artikel den Eindruck, dass ein Großteil der „Lesemotive“ dem Leser als Entscheidungshilfe überhaupt keinen Mehrwert bietet.
Vor allem „Nervenkitzel“: Wenn der Verlag sich für ein einziges Lesemotiv entscheiden muss, dann bekommt jeder Thriller das Lesemotiv „Nervenkitzel“. Dann weiß ich als Leser mit der Einordnung „Thriller und Nervenkitzel“ nicht mehr als vorher mit dem Genre „Thriller“.
Wahrscheinlich bekommt dann das ganze Genre „Fantasy“ das Lesemotiv „Eintauchen“; und jeder Liebesroman das Lesemotiv „Entspannen“.
Meiner Meinung nach kann man sich das echt sparen, weil die vielen Genres und Unter-Genres weit aussagekräftiger sind als EINS von zehn „Lesemotiven“, für das sich schlimmstenfalls auch noch eine KI, und nicht der Autor, entscheidet.
„Sei spezifisch“ als Verkaufsslogan dafür, dass es nur genau 10 Schubladen gibt, in die sich alle [Wie viele Neuerscheinungen gab es 2022 nochmal in Deutschland? 60.000 Bücher?] einordnen müssen, das ist schon unfreiwillig komisch.
Es würde ja zumindest ein bisschen spezifischer, wenn man die 10 Etiketten unterschiedlich kombinieren könnte, aber nein, wie kämen wir denn dazu!
Solange sich diese Einordnung auf ein Hauptlesemotiv beschränkt, das noch dazu viel zu stark verallgemeinert wurde, ist es schrott weil nicht im Ansatz nützlich.
Was heißt das? Ich schreibe doch das, was mir gefällt und hoffe, dass es dann anderen auch gefällt und nicht umgekehrt. Meine Bücher sind bisher jedenfalls keine Auftragsarbeiten.
hm … gute Frage. Natürlich kannst du schreiben wie und was du willst. Das macht ja eigentlich jede Autorin und jeder Autor. Sobald ich aber eine Geschichte erzähle, ist sie für andere bestimmt. Ich sehe das als Dialog zwischen Autor und Leserin bzw. Leser. Für Kinder schreibe ich anders als für Erwachsene. Für erfahrene Leser kann ich anderes schreiben, als für ungeübte Leser, die sich für das Thema interssieren. Wenn ich das ignoriere, erreiche ich mit meinen Geschichten, nicht einmal die, für die sie bestimmt sind. Das wäre schade. Von Auftragsarbeiten sehe ich mich dabei aber weit entfernt.
Stimmt. Aber eben nicht immer. Wenn du das mit der Wand machst, sag Bescheid. Dann komme ich und nehme dich an die Hand.
Im Ernst: Es kommt doch darauf an, wie du die Menschen unterhalten willst. Wenn plötzlich alle nur noch Gedichte lesen wollen würden, würde ich noch lange nicht mein Buch in Gedichtform verfassen. Egal, ob 100% der Bevölkerung nur noch Gedichte lesen will oder nicht.
Dazu sollte ich aber wissen, wen ich unterhalten will. Zumindest ungefähr. Ich bin noch im Begriff, das herauszufinden. Mein erstes Buch hat mir wenig geholten, weil es bei Männern und Frauen gut ankommt. Auch zu den Altersgruppen habe ich keine belastbaren Erkenntnisse gewonnen. Ein paar Jüngere, ein paar Ältere … irgendwie alles dabei. Die Antwort auf die Frage einer Literaturagentur, an wen sich das Buch richtet, konnte ich nicht einmal raten. Deshalb bin jetzt wieder Selfpublisher.
Beim Krimi glaube ich, zumindest schon mal Umrisse von Leserinnen und Lesern im Nebel erkennen zu können. Die wollen mitraten und legen deshalb Wert auf eine durchgängige und nachvollziehbare Logik. Ich denke, dass die Figuren starken Einfluss darauf haben werden, ob du Leserinnen oder Leser stärker erreichst. Je nachdem, was du für richtig hältst, weißt du beim Schreiben dann ungefähr wo du hin musst. Denke ich mir mal. Ich war sehr überrascht, dass mein erster Krimi ein Thriller geworden ist - zumindest aus Sicht der Schreibtrainerin. Das Buch ist zwar erschienen, aber ich habs noch nicht beworben. Ist quasi meine Reservepatrone im Colt.
Richtig. Ich vermute mal, dass sich hier wieder irgendein Marketing-Genie etwas ausgedacht hat, dem sich nun alle fügen müssen.
Ich fürchte leider, dass viele Verlage heute von Managern geleitet werden, die ebenso gut für Schuhfirmen, Süßwarenhersteller oder Schraubenfabriken arbeiten könnten - weil sie keinen Bezug mehr zu ihren Produkten haben.
Erschreckend, wenn z.B. Top-Manager von Volkswagen im Rahmen des „Schummelsoftware“-Prozesses aussagen, dass sie „von diesen Dingen keine Ahnung hätten - und das auch nicht zu haben bräuchten“
… ich überlege außerdem gerade, was Autoren wie Andreas Eschbach oder Stephen King oder … sagen würden, wenn sie vom Verlag aufgefordert würden, ihre Werke mit einer Etikettierung wie oben vorgeschlagen zu versehen. Vermutlich würden sie ihren Mittelfinger heben, oder den Zeigefinger Richtung Stirn bewegen.
Aber was wollen sie erraten? Wer der Mörder ist? Ja.
Doch!
Es gibt auch Krimis, die anders gestrickt sind. Man kennt von Anfang an den Mörder und rät dann gern mit, wie die Ermittler dahinter kommen.
Ich würde beides gern lesen. Andere nicht. Das kann man im Vorfeld unmöglich festlegen.
Ich oute mich hier mal als Leser, dem das Mitraten völlig wurst ist - der vor allem Spaß daran hat, wirklich interessanten Figuren dabei zuzuschauen, wie sie etwa einen Fall lösen, sich aus brenzligen Situationen retten, ihr Miteinander meistern usw. … am Ende könnte ich oft genug die Handlung gar nicht so genau wiedergeben. Bei Filmen geht es mir ähnlich. Wenn die Figuren glaubwürdig und interessant sind, die Handlung eine gewisse Dynamik aufweist, ist das (für mich!) völlig ausreichen. Ich glaube aber, dass die Mehrheit der Leser/Zuschauer tatsächlich anders tickt, dass ich hier eher untypisch bin.
BTW: mir fällt ein, was einmal jemand über den Erfolg der TV-Serien Emergency Room und LA Law gesagt hat (vielleicht erinnert sich jemand). Dort wurden die Zuschauer regelmäßig mit längeren Dialogen und Szenen konfrontiert, denen sie als medizinische oder juristische Laien nicht wirklich folgen konnten - die aber trotzdem ungeheure Spannung erzeugten. Weil sie dramaturgisch und inhaltlich so authentisch und überzeugend waren, dass sich das unbewusst auf den Zuschauer übertragen hat.
dann bist du - vermute ich mal - nicht der typische Krimileser. (Ich übrigens auch nicht) Aber ich habe mir eintrichtern lassen, dass die Leserinnen und Leser ihren Verdacht am Ende gerne bestätigt haben möchten. Das lieben sie. Wenn du das berücksichtigst, lieben sie dich auch. Wenn du sie aber hinter die Fichter führst und am Ende einen völlig unerwarteten Täter aus dem Hut zauberst, fühlen sich echte Hobby-Holmes ver… du weißt schon. Dann sind die sauer.
… Du meinst doch hoffentlich nicht, …rscht??? Das wäre ja unerhört!!!
Fun Fact: ich liebe Krimis. Bin aber offenbar kein „typischer“ Krimileser. Wobei: kann es sein, dass gar nicht so fest steht, wie der „typische“ Leser tickt? Dass der „Mitratende“ sich vielleicht nur öfter lautstark meldet, wenn er mit der Auflösung o.ä. unzufrieden ist?