Der gesamte Osten Österreich versinkt gerade im Wasser. Ich bin 120 km von meinem Elfenbeinturm entfernt und komme dort nicht mehr hin, da alle Verkehrsmittel und Straßen ausgefallen sind. Jetzt sitze ich am anderen Ende des Bundeslandes und der Regen triggert mich, darüber zu schreiben. Hier eine Szene aus einem ersten Kapitel, einer möglichen literarischen Verarbeitung der Katastrophe in Echtzeit. Vielleicht wird es ja mehr, vielleicht hilft es mir aber auch nur, diesen Wahnsinn im Moment auszuhalten. Raus muss es auf jeden Fall. Euch allen trockene Füße und hilfreiche Hände, wenn ihr sie braucht!
Reini Hochegger fährt den PC hoch, öffnet das Mail mit dem Betreff „Wetterlage, dringlich“, den das Landeskommando schon um zwei Uhr nachts geschickt hat und klickt auf den Link, der ihn auf die Webseite des Zentralamtes für Meteorologie führt. Die Karte von Ostösterreich kann er zwar gerade noch erkennen, aber die Farbschattierungen darauf überfordern ihn für einen Moment und er muss erst die Legende dazu lesen.
»Scheiße«, flucht er, »warum muss das passieren, bevor ich in Pension gehe?« Aber dann denkt er, dass Ernst Halpert, sein Nachfolger als Bezirksfeuerwehrkommandant, ihn in diesem Fall sicher geholt hätte, Rente hin oder her. Und klar, wäre er dann gekommen. Einmal Feuerwehrmann, immer Feuerwehrmann. Außerdem ist das, was sich hier anbahnt, eine Nummer zu groß für Ernst. Ist es für Reini auch, obwohl er das schon zweimal erlebt hat. Zweimal in vierzig Jahren. Zweimal zu viel.
Reini steht auf und sucht den Ordner mit den Adressen der Abschnittskommandanten. Er hat sie nicht im PC eingespeichert, traut der Elektronik nicht. Bei einem Blackout wäre sie nutzlos. Also sucht er sie in seinem händischen Aufzeichnungen. Gerhard Brunner in Emms, Rudi Scherer in Weissenberg, Joe Haiden in Berglahn, Franz Kovacik in Arsdorf, Ernst Halpert in Erlachsberg. Neudorf und Krumaich wird er selbst übernehmen. Jedem sagt er das gleiche: »Hochwasseralarm, Stufe gelb. Gebt Befehl an die Zeugwarte: Jede verfügbare Pumpe ist bereit zu halten. Und so viele Sandsäcke wie möglich. Wir treffen uns um sechs in der Möllner Zentrale. Nimm dir frische Kleidung mit, du wirst heute nicht mehr nachhause kommen.« Nur zu Ernst, dessen Eltern keine dreißig Meter von der Erlach entfernt ein Haus haben, sagt er noch einen Satz: »Bring deine Alten weg. Sofort!«
Seine Endoprothesen in den Knien schmerzen, wie immer wenn Regen kommt. Dazu braucht er keine Meteorologen.