Kurzgeschichten

Das Kinderzimmer

Wieder ein Morgen, an dem der junge Vater Alex schmerzgeplagt aufwacht, da er die Tritte seiner Tochter in den vergangenen Nächten genießen durfte. Das Mädchen ist sechs Jahre alt und seit Wochen plagen sie Ängste und Alpträume, weshalb sie im Schlaf Tritte austeilt und das meist gegen den Rücken ihres Vaters. Das Kind schläft im Bett der Eltern, da Laura eine lebhafte Fantasie und Angst vor ihrem Zimmer hat, denn dieses sei von Monstern bewohnt. Sophie und Alex hielten es für das Beste, dass sie vorübergehend bei ihnen schläft. Damals dachten sie noch, es würde sich dabei nur um eine Phase handeln.

Heute möchte der Vater seiner Tochter beweisen, dass sie keine Angst haben muss und dass sie ruhig in ihrem Zimmer schlafen kann. Er beweist es ihr, indem er die heutige Nacht in ihrem Zimmer schläft.
Erschöpft und müde von der Arbeit kommt Alex am Abend nach Hause, legt sich gleich in das viel zu kleine Bett seiner Tochter und schläft sofort ein.

Ein Poltern reist Alex aus seinem Schlaf. Ganz benommen sucht er nach der Ursache. Schlaftrunken möchte er die Nachttischlampe einschalten und fummelt am Kästchen, bis er endlich den Schalter in der Hand hält. Klick, nichts geschieht. Noch einmal klick, wieder nichts. Alex beugt sich aus dem Bett, nach vorne zum Nachttisch, um zu prüfen, ob die Lampe ausgesteckt ist. Tatsächlich, das Kabel liegt neben der Steckdose. Alex will danach greifen und streckt sich weiter aus dem Bett. Plötzlich blickt er direkt in eine dunkle Fratze. Es ist finster, doch der Mond erhellt das Zimmer, sodass Alex erkennt, dass die Fratze nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt ist. Sein Herz rast und in ihm macht sich Panik breit. Er spürt, wie sein Herz in seinem Hals pocht. Alles in ihm möchte laut schreien, doch er kann nicht. Wie gelähmt kann er sich keinen Millimeter mehr bewegen. Das Atmen fällt ihm schwer, als würde etwas Schweres auf seiner Brust liegen. Die Kreatur mustert ihn, leckt sich über die blassen, aufgeplatzten Lippen und grinst dabei. Wie in Trance starrt Alex in die schwarzen, toten Augen eines Dämons. Es ist so, als würde das Wesen direkt in seine Seele blicken. Auf einmal nimmt er eine Stimme wahr. Ein Flüstern das, umso länger er in die Augen des Monsters starrt, immer mehr Stimmen zum Vorschein bringt. Die flüsternden Stimmen werden immer lauter und wirrer. Alex versucht das Gewirr zu filtern und zu entziffern, was die Stimmen von sich geben. Doch vergebens, es ist das reinste Chaos. Ein seltsamer Schmerz in seiner Brust übermannt ihn. Ein Schmerz, den er bislang noch nicht gekannt hat, durchströmt seinen ganzen Körper. Das Wesen blickt ihm immer tiefer in die Augen und sein Grinsen wird dabei immer breiter. Alex verliert sein Bewusstsein und auf einmal ist alles schwarz.

Der Morgen bricht an, Sophie und Laura wurden gerade von der Sonne geweckt. Laura möchte nach ihrem Vater sehen und geht hinüber in ihr Zimmer.
Was Laura in ihrem Zimmer vorfindet, wird jahrelange Psychotherapie in Anspruch nehmen.

Elternglück

In einem Wiener Krankenhaus bekommt heute ein junges Paar ihr erstes Kind. Kathi wünscht sich eine Wassergeburt und Markus unterstützt sie dabei. Alles geht jetzt schnell und für Kathi‘s Wunsch reicht die Zeit nicht mehr aus. »Wir brauchen einen Arzt, sofort einen Arzt!«- ruft die Hebamme. Mit lauten und schnellen Schritten eilt ein Assistenzarzt herbei. »Was ist passiert?« – fragt Dr. Vendl. »Ihr Blutdruck stieg erst ins Unermessliche und nun fällt er rapide.« - antwortet Hebamme Josefine. Markus wird gebeten zu gehen. Man sieht ihm den Schock regelrecht an. Eine Pflegekraft begleitet ihn nach draußen. Markus spaziert nervös den Gang auf und ab. Gefühlt sind Stunden vergangen und endlich öffnet sich die Tür. Dr. Vendl und Josefine kommen mit gesenkten Köpfen aus dem Kreißsaal. »Es tut uns leid, aber ihre Freundin hat es nicht geschafft. Wenn Sie bereit dafür sind, Ihre Tochter würde Sie gerne sehen« - bedauert Josefine.

15 Jahre später

Es ist Wochenende, Markus deckt das Frühstück für seine Tochter Sasha und sich. Sie hat kommende Woche eine wichtige Prüfung und sollte für diese lernen. Doch sie möchte unbedingt den Tag mit ihren Freunden im Wiener Prater verbringen. Am Frühstückstisch wird diskutiert. Plötzlich springt Sasha auf und stampft in ihr Zimmer. Ein paar Minuten sind verstrichen, Markus schaut nach seiner Tochter. Er klopft an ihrer Tür, doch Sasha reagiert nicht. Langsam öffnet er die Türe, doch sie ist nicht da. Wutentbrannt stürmt er zur Tür hinaus. Suchend läuft er die Straßen in der Nähe ab, doch sie ist nirgendwo zu sehen. Markus kehrt in die Wohnung zurück, schleppt sich die drei Etagen nach oben und betritt die Wohnung. Er wirft noch einmal einen Blick in ihr Zimmer. Dieses Mal bemerkt er das offene Fenster. Markus lehnt sich ein wenig aus dem Fenster und schaut nach unten. Plötzlich hält er inne. Ihm fehlt die Luft zum Atmen. Seine Augen sind weit aufgerissen und sein Gesicht bleich wie Kreide. Markus macht einen Schritt zurück, schluckt und schaut fassungslos noch einmal aus dem Fenster. Langsam begreift er, was er hier sieht. - Doch er will es nicht wahrhaben. Seine Tochter liegt regungslos in ihrer eigenen Blutlache. Er läuft in den Innenhof zu Sasha und nimmt sie in die Arme. Er stößt einen schmerzerfüllten Schrei aus und weint bitterlich. Markus setzt den Notruf ab. Es dauert keine fünf Minuten und der Notarzt ist vor Ort. Dieser kann nur noch den Tod feststellen. Markus will es nicht wahrhaben, er muss weg von hier. Weg von diesem Ort. Weg von dieser Leiche. »Das ist nicht sie. Nein, das kann nicht meine Tochter sein.« – redet sich Markus immer wieder ein. Er hat kein klares Ziel, wohin er läuft. Einfach nur geradeaus. Irgendwann findet er sich auf der Floridsdorfer Brücke wieder. Er bleibt stehen und mustert wie besessen die gut befahrene Autobahn. Er wischt sich seine letzten Tränen aus seinem Gesicht, denkt noch einmal an Kathi und an Sasha. Er lächelt in die Ferne, schließt seine Augen und springt.

Die Dusche

Herbert kommt spät am Abend von der Arbeit nach Hause. Er arbeitet am Flughafen und ist für die Sicherheit der Passagiere zuständig. Sechzig Kilometer nimmt er täglich für eine Richtung auf sich. Müde schleppt sich Herbert die wenigen Stufen zu seiner Wohnung im Erdgeschoss nach oben. Er sperrt die Wohnungstür auf, schaltet das Licht an und schließt die Türe hinter sich. Herbert sperrt sie exakt zweimal zu. Den Schlüssel lässt er stecken. Er geht ins Wohnzimmer und macht den Fernseher an, dann geht er in die Küche und heizt den Ofen vor. Herbert nimmt aus dem Tiefkühler eine Fertigpizza. Er zieht die Folie ab und schiebt sie ins Rohr. Während die Pizza im Ofen gart, geht er ins Badezimmer und streift seine Arbeitsklamotten ab. Herbert dreht den Hahn auf, aktiviert den Duschkopf und wartet bis das Wasser die perfekte Temperatur hat. Jetzt kann er in die Wanne steigen und er zieht den Vorhang zu. Das Wasser läuft über seinen Kopf und er genießt die Wärme. Durch das Plätschern des Wassers ist sein Gehörsinn irritiert und eingeschränkt. Er nimmt die Shampoo-Flasche in die Hand und schüttelt die letzten Tropfen heraus. Während er sich die Haare wäscht, macht sich ein Drang in ihm bemerkbar. Der Drang, die Augen nicht schließen zu dürfen. Sein Herz schlägt plötzlich schneller, es rast förmlich und ein Gefühl der Panik breitet sich in ihm aus. Auf einmal hört er ein Kind schreien. Erschrocken dreht er das Wasser ab und lauscht. »Ach, nur der Fernseher.« - murmelt er in sich. Er dreht das Wasser wieder auf und kann sich das Shampoo aus den Haaren waschen. Während er die Augen schließt, breitet sich die Panik wieder aus und ein unheimliches Gefühl der Beobachtung sitzt in seinem Nacken. Er beeilt sich den Schaum aus seinen Haaren und aus seinem Gesicht zu bekommen. Endlich, er kann die Augen wieder öffnen. Plötzlich läuft ihm ein Tropfen Shampoo in die Augen. »Ah, das brennt« - flucht er. Herbert wird nervös. Er deaktiviert den Duschkopf und schöpft sich kaltes Wasser aus dem Hahn. Er schüttet sich das Wasser ins Gesicht und sofort beruhigen sich seine irritierten Augen wieder. Auf einmal hört er wieder ein Schreien. Herbert erschreckt sich und verliert sein Gleichgewicht. Er fällt nach hinten aus der Badewanne, reißt den Vorhang mit und schlägt mit dem Hinterkopf auf den Fliesen auf. Ein starker Schmerz zieht durch seinen Kopf bis ins Genick. Einen Augenblick lang sieht er nur noch verschwommen, bis er sein Bewusstsein verliert.

Ein Piepen ist aus der Ferne zu hören. Das Geräusch kommt immer näher. Herbert öffnet langsam seine Augen. Anfangs ist seine Sicht benebelt, doch gleich kann er wieder klar sehen. Er setzt sich auf und lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Nichts zu sehen. »Uh, die Pizza!« - ruft er erschrocken und springt auf. Er läuft in die Küche, öffnet den Ofen und: »Nein, was hab ich getan!« - jammert er, während er auf die Knie fällt und um seine Pizza trauert.

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