Dieser Text besteht aus Beschreibung des Settings und innerem Monolog. Liest er sich dennoch flüssig, entsteht dabei Neugier und am Ende gar ein Schmunzeln?
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Der Direktor
Der Direktor stand fröhlich auf. Er war glücklich, heute wieder so viele Kinder – und ihre Eltern – glücklich machen zu können. Denn wenn er auch nie so genau wissen konnte, wie die Vorstellung ablaufen würde, eines war gewiss: die Begeisterung der Zuschauer.
Und damit seine eigene. Er freute sich auch, dass er sich nach zwei Jahren noch immer freuen konnte. Das war alles andere als selbstverständlich. Schließlich war er nicht sein ganzes Leben lang Direktor eines Flohzirkus‘ gewesen. Er war sozusagen ein Quereinsteiger in diese Branche. Allerdings mit guten Vorkenntnissen. Er blickte in sein Spiegelbild, bewunderte seine klaren Augen, deren Blau aus seinem noch nicht ganz so frischen Gesicht strahlte. Kurz blitzte ein lang verdrängter Gedanke auf. Schmunzelnd gewährte er ihm Einlass in sein fröhliches Morgenbewusstsein. Betrachtete ihn eine Weile von allen Seiten und gab ihm dann die Chance, seine Aufgabe zu erfüllen. ‚Du hast zu viel aufgegeben! Sieh nur, du wohnst in einem ausgebauten Bauwagen, mit Flöhen im selben Raum. DU! Dabei warst du schon mal ganz weit oben. Wie konntest du nur…‘ Schluß damit, wies er den aufmüpfigen Gedanken zurecht. Als ob das irgendetwas Neues wäre. Er fuhr sich mit dem Kamm durch das fast vollständig ergraute Haar, das mittlerweile schulterlang war und band es wie jeden Morgen zu einem Pferdeschwanz.
Dann drehte er sich um und sah zu seinen Flöhen. Sie waren alle schon wach und begrüßten ihn freudig. So schien es ihm jedenfalls. Zumindest konnte er keinen grimmigen Gesichtsausdruck erkennen. „Ja, meine Lieben, heute habt ihr wieder eine tolle Show vor euch. Macht euch langsam fertig, bald geht es in die Welt hinaus!“
Er zog sich gemächlich seine schwarze Hose an und streifte die Weste über sein weißes Hemd. Immerhin das hat sich nicht verändert, dachte er mit einem Seufzer. Das weiße Hemd. War so etwas wie Teil seiner Dienstkleidung. Unter einem dunkelblauen Anzug immer die beste Wahl, vor allem brauchte er nie lange überlegen, was er anziehen sollte. Ob Auswärtstermin, Vorstands- oder Aufsichtsratssitzung, es passte immer. Das Einzige, was immer weniger passte, das war das Niveau seiner Gesprächspartner gewesen. Wie Parasiten schwärmten sie um ihn herum, stets bemüht, sein Wohlwollen zu erregen, ihn niemals mit einem schwierigen Gedanken zu konfrontieren. Als er sich die Schuhe band zog er fester zu als üblich. Kein Wunder, denn er erinnerte sich in diesem Augenblick wieder an die Feigheit seiner Mitarbeiter. Am liebsten hätte er den einen oder die andere auch wie einen Schuh verschnürt und anschließend irgendwo entsorgt. Mehr als 200.000 Euro im Jahr verdienen und nicht den Mut zu einer eigenen Meinung zu haben, das war für ihn immer Grund zur Verachtung gewesen. Er musste unerwartet lächeln. Zum Glück hatte er rechtzeitig den Absprung geschafft, bevor er so etwas in die Tat umgesetzt hatte. Lieber war er hier und dirigierte die Flöhe, die auch nicht dümmer waren als die anderen. Dafür waren sie ehrlicher.