Guten Morgen,
hier mal eine meiner Kurzgeschichten. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und würde ich mich sehr über Rückmeldungen freuen.
Viele Grüße Mia
Chiara
„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind in der 6. Schwangerschaftswoche.“ Ein warmes, wohliges Gefühl stieg aus meiner Körpermitte auf, fröhlich und leicht wie eine Pusteblume im Wind.
„Dann sehen wir uns in vier Wochen wieder.“ Stolz nahm ich den hellblauen Mutterpass entgegen. Das Büchlein wog schwer in meinen Händen, ich blätterte es auf und entdeckte das errechnete Geburtsdatum, 15. Oktober. Unser Baby wird im Sternzeichen Waage geboren, lebensfroh und optimistisch. Wie kann ich Christian mit diesen Neuigkeiten überraschen?
Erst am Samstag kam mein Mann nach Hause, ich fand keine Gelegenheit, das Ereignis gebührend in Szene zu setzen. Dieses Wochenende war vollgestopft mit Terminen.
Am Montag fuhr ich ausgeruht zu meinem Arbeitsplatz. Christian schlief noch, da er heute freihatte. Nach der Mittagspause lenkte mich ein Ziehen im Unterbauch vom Arbeiten ab, vermutlich hatte ich etwas gegessen, dass mir nicht gut bekommen war. Auf dem WC sah ich nur rot. Meine Hand drückte auf den Spülknopf, konnte nicht aufhören, bis rot und rosa im Strudel verschwanden. Lebt das Baby? Handflächen schäumten die Seife auf. Seifenbläschen im Kopf, Gedanken stiegen auf und platzten. Ich muss zum Frauenarzt. Während der Arbeitszeit? Waltraud hat keine Ahnung. Erzähle ich es ihr jetzt? Ich schlich zurück in unser Büro.
„Du bist ja weiß wie die Wand. Ist dir übel?“, fragte Waltraud.
„Ich habe heftige Bauchschmerzen.“
„Dann geh mal lieber heim.“ Dankbar verließ ich unser Büro und fuhr direkt zum Frauenarzt. Die Arzthelferin führte mich in ein Sprechzimmer. Bei der Ultraschalluntersuchung sah Dr. Sprenger nicht, wovon die Blutung kam, aber er erkannte das schlagende winzige Herz.
„Sie bekommen eine Krankmeldung. Wir können jetzt nur abwarten, zu diesem frühen Zeitpunkt ist ein Abort nicht selten.“ Das Innere meines Kopfes rotierte, Trauer und Hoffnung und Angst drehten sich wie ein Kreisel.
Christian saß am Küchentisch bei einer Tasse Kaffee, als ich bei der Tür hereinkam.
„Hallo! Du kommst aber heute früh nach Hause. Magst du einen Kaffee?“ Ich konnte nicht antworten, bei seinem Blick flossen die Tränen wie ein Sturzbach. Er nahm mich in den Arm und streichelte meinen Rücken. Getröstet trat ich zum Waschbecken, kühlte mein Gesicht und setzte mich mit der Kleenex Box an den Tisch.
„Ich hatte doch letzte Woche einen Arzttermin, beim Frauenarzt. Wir bekommen ein Baby.“
„Wow! Freust du dich nicht?“ Er schaute mich verwirrt an und schon wieder flossen die Tränen.
„Seit heute Nachmittag blute ich. Es sind nicht meine Tage. Ich war beim Arzt, auf dem Ultraschall sah er den Herzschlag. Er hat keine Ahnung, woher die Blutungen kommen“, schluchzte ich. Er setzte sich dicht neben mich und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Du wirst sehen, alles wird gut. Gibt es schon ein Bild von unserem Zwerg?“, fragte er schmunzelnd. Ich zeigte ihm den Mutterpass und das Foto, dass die Schwangerschaft bestätigte. Jeder Gang auf die Toiletten stürzte mich in ein Jammertal. Nach drei Tagen, die ich überwiegend auf dem Sofa verbrachte, wurde ich so wütend auf mich und diese Situation. Schluss mit dem Selbstmitleid. Ich ging wieder zur Arbeit und vertraute mich Waltraud an.
„Ich drücke dir die Daumen. Du bist Jung, die Natur sucht sich ihren Weg.“
Diese Schmierblutungen begleiteten mich weit über den vierten Schwangerschaftsmonat hinaus. Ich beschloss, unser Baby wird gesund zur Welt kommen, weil es ein Kämpfer ist. An diesem Mantra hielt ich fest. Die Spuren von Rot blendete ich aus. Jeden Tag freute ich mich mehr auf unsere Tochter.
„Es gibt jetzt eine Geburtswanne in der Klinik. Da möchte ich unbedingt entbinden.“
„Das glaube ich dir gerne, da du zu Hause auch stundenlang in der Wanne sitzt. Vor allem wenn du ein Buch dabeihast.“ Ich lachte, ja Badewannen waren genau mein Ding. Christian und ich liefen händchenhaltend auf die Gruppe der anderen Teilnehmer zu. Im letzten Drittel der Schwangerschaft stand heute die Besichtigung des Kreißsaales auf dem Programm des Kurses für werdende Eltern.
„Kommt mit, wir sehen uns zuerst eines der Entbindungszimmer an und dann das neue Prunkstück, die Geburtswanne“, begrüßte uns Steffi, die diensthabende Hebamme.
Einige Tage später wurde ich nachts von ziehenden Schmerzen im unteren Rücken geweckt. Rastlos lief ich umher, spürte in mich hinein und erinnerte mich an die Übungswehen, die durch Wärme wieder verschwinden sollten. Christian schlief und bekam von meiner Nachtwanderung nichts mit. Unter der heißen Dusche verschwand das Ziehen nicht. Ich sah auf die Uhr, zwischen den Wehen war eine Pause von 12 Minuten. Mittlerweile war es kurz vor sechs Uhr morgens und ich weckte Christian.
„Ich glaube, ich habe Wehen.“ Er setzte sich auf und sah mich verschlafen an.
„Bist du sicher?“
„Es zieht immer wieder im Rücken. Lass uns bitte ins Krankenhaus fahren.“
Kaum waren wir in der Entbindungsstation, hörten die Wehen auf. Ich kam mir reichlich blöd vor. Der Wehenschreiber zeigte keinen Ausschlag. Bei der Untersuchung stellte sich dann heraus, der Schleimpfropfen am Muttermund hatte sich gelöst. Mein Bauchgefühl war richtig, es waren Wehen. Ich blieb zur Beobachtung 24 Stunden im Krankenhaus und bekam eine Spritze, damit die Lungenreifung unserer Tochter beschleunigt wurde. Wieder erhielt ich ein Attest. Jetzt in der 30. Schwangerschaftswoche war unser Ziel die Geburt möglichst lange aufzuschieben. Einmal pro Woche wurde beim Frauenarzt ein Kontrolltermin vereinbart. Ich ging spazieren, las Bücher und Zeitschriften und räumte Babysachen ein. Mir ging es richtig gut. Unsere Kleine war temperamentvoll, ich bekam immer mal wieder Fußtritte in die Rippen, wenn sie strampelte. In der Badewanne sah ich fasziniert zu, wie sich mein runder Bauch zum Oval verformte. Ich unterschied Ellenbogen und Knie an der Beule des Bauches. Langsam wurde es eng für die Kleine.
Christian hatte Nachtschicht. Ich lag mit einem Buch auf dem Sofa und schlief ein. Ein bekanntes Ziehen weckte mich. Als ich aufstand, spürte ich eine warme Flüssigkeit, die an der Innenseite der Oberschenkel entlanglief. Ich rief meine Schwiegermutter an.
„Guten Abend Elfi. Kannst du mich in die Klinik fahren? Es ist so weit. Christian hat heute Nachtschicht und ist auf der Rettungswache. Ich verliere Fruchtwasser … Nein, es eilt nicht, die Wehen kommen in großen Abständen … Ich muss die Tasche herrichten, habe noch nix eingepackt … Bis nachher!“ Ich legte eine Einlage ein und lief wie auf Murmeln umher, um meine Sachen für die Klinik einzupacken. Bei jedem Schritt tröpfelte es. Elfi kam und half mir, die Tasche zu packen und mich umzuziehen.
Im Krankenhaus stellte ich erleichtert fest, dass Steffi heute Nacht Dienst hatte.
„Hallo Petra.“ Sie untersuchte mich und bemerkte, dass der Muttermund erst vier cm geöffnet war.
„Das dauert einige Stunden. Noch können wir es wagen, dich in eine Klinik mit Frühchen Station zu bringen. Du bist ja erst in der 35 Schwangerschaftswoche.“
„Nein, ich möchte hier unser Baby bekommen“, widersprach ich.
„Gut dann solltest du noch etwas laufen. Die Wanne richte ich nachher her, wenn der Muttermund sich weiter geöffnet hat.“
„Ich gehe noch mal raus und funke die Leitstelle an, dass wir jetzt am Kreiskrankenhaus stehen“, meinte Christian und ging nach draußen zu seinem Kollegen am Rettungswagen. Ich watschelte zur Toilette. Zurück im Geburtsraum überfiel mich ein Schmerz, der mich aufschreien ließ.
„Kann nicht mehr stehen, es tut schrecklich weh.“ Steffi und Elfi griffen mir unter die Arme.
„Hinter dir ist ein Sitzball, setz dich.“ Kraftlos plumpste ich auf den Ball. Der war mit zu wenig Luft befüllt, weshalb ich tief hinab sackte. Die nächste Wehe drückte mit Gewalt. Hände zerrten mich auf die Liege, als dieser scharfe Schmerz erneut in meinen Unterleib schnitt, mir den Atem durchtrennte. Hände zogen mir die Hose aus und stützten mich im Rücken.
„Weiter atmen! Tief ein und aus, sobald die Wehe pausiert. Bei der nächsten Wehe feste pressen!“, kam die Anweisung von Steffi.
„Du machst das prima, noch einmal. Gib alles! Ich habe schon dunkle Haare gesehen, der Kopf kommt.“ Mein Universum schrumpfte auf die Anstrengung des Atmens zwischen den Wehen. Ich hangelte mich an Steffis Stimme vorwärts, die mir durch die Wogen von Schmerz half. Endlich! Erst das Köpfchen und bei der nächsten Presswehe wurde die Schulter geboren. Meine Schwiegermutter teilte mir begeistert mit: „Ein Mädchen, sie ist gesund und munter.“ Erschöpft lag ich auf der Liege und bekam nur am Rande mit, was vor sich ging.
„Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass es deine Tochter so eilig hat. Du kannst dich in die Wanne legen, wenn du möchtest. Kannst du aufstehen?“, fragte mich Steffi. Mithilfe von Christian und Elfi schaffte ich es bis zur Badewanne. Zitternde Muskeln entspannten sich im warmen Wasser. Steffi reichte mir ein winziges Menschlein, legte es auf meine Brust. Ein Flaum dunkler Haare schauten vorwitzig unter der Käseschmiere hervor. Vorsichtig schob ich den kleinen Körper in meinen Armen zurecht. Nicht dass sie mir ins Wasser rutschte. Wache Augen fixierten. Mein linker Daumen strich zart über perfekte winzige Finger. Tränen der Freude liefen mir die Wange hinab, hinterließen Salz auf meinen Lippen. Die Liebe zu meiner Tochter füllte mich aus. Sie umklammerte meinen Daumen und wir beide waren gefangen in der Magie dieses kostbaren Augenblicks.
„Willkommen Chiara, leuchtende Schöne.“