Hier mal eine Gruselgeschichte. Mich würde interessieren, ob sie für euch spannend zu lesen ist. Gibt es Stolperfallen in der Geschichte?
Ich würde mich sehr über Rückmeldungen freuen, natürlich auch gern kritische.
Frieda und Kai
„Schau mal!“ Frieda hüpft auf einem Bein die Stufen zur Eingangstüre hoch. Auf jeder neuen Treppenstufe balanciert sie kurz mit der Hand an der Wand. Verena folgt ihrer Tochter in das denkmalgeschützte Ärztehaus aus dem Jahr 1907.
„Ich will alleine mit dem Aufzug fahren.“
„Soll ich nicht lieber mitkommen?“
„Nein, ich will sehen, ob ich schneller bin.“ Die Türen schließen sich und Verena läuft eilig die Stufen nach oben, der Zahnarzt ist im dritten Stock. Eine Stunde später verlassen sie die Arztpraxis. Frieda fährt wieder alleine mit dem Aufzug.
Verena biegt im Erdgeschoß um die Ecke, in Erwartung ihre Tochter schon wartend vorzufinden.
„Frieda, wo bist du?“ Ihre Stimme hallt in der Weite des Eingangsbereiches. Noch nie kamen ihr diese alten Mauern so kalt vor. Suchend schaut sie sich um. An der Anzeige vom Lift entdeckt sie ein blinkendes Licht. Der Fahrstuhl befindet sich kurz unterhalb des 3. Stockwerkes. Sie rüttelt an der Aufzugtüre, die sich kein bisschen bewegt. Ich Herz schlägt schnell und hart in der Brust. Ängstlich ruft sie: „Frieda, hörst du mich? Der Aufzug steckt fest.“ Sie legt ein Ohr an die Tür, doch der dicke Stahl schluckt ihre Worte.
„Ich laufe rauf zur Praxis und hole Hilfe, bin gleich wieder da.“ Gehetzt rennt sie nach oben, aus Sorge um ihr Kind.
„Mami, ich habe Angst. Warum fährt der Aufzug nicht?“ Frieda, wickelt eine Haarsträhne um den Zeigefinger und kaut auf der Unterlippe. Sie schluckt den Teigkloß in ihrem Hals, bemüht sich tapfer zu sein, kämpft gegen die Tränen, die sich Tropfen für Tropfen einen Weg aus den Augenwinkeln bahnen.
„Weine nicht, du bist nicht allein.“ Argwöhnisch sieht Frieda sich in ihrem Gefängnis um. Da ist der Spiegel am Bedienpult und die metalglänzenden Wände. Außer ihrem ängstlichen Gesicht kann sie niemanden sehen. Ein kalter Hauch streift ihre Wangen, wischt eine Träne fort. Friede weicht zurück zur Wand.
„Du kannst mich nicht sehen. Ich heiße Kai und bin ein Geist, der in diesem Haus geboren wurde. Kurz nach meinem achten Geburtstag erfasste mich direkt vor dem Haus ein Auto. Mir gefällt deine blaue Haarschleife, darum bin ich mit dir in den Aufzug gestiegen. Du scheinst nett zu sein.“ Die freundliche und sanfte Stimme tröstet Frieda.
„Das ist unfair. Ich kann dich nicht sehen.“
„Es gibt da eine Möglichkeit, aber du als Mädchen traust dich das niemals.“
„Quatsch! Ich will dich sehen.“
„Dann sprich mir nach. Durch Jahrzehnte vom Schleier getrennt, lade ich dich ein, mein Gefährte zu sein. Sanguinis guttae me ad te ligant. Den letzten Teil musst du dreimal wiederholen.“ Trotzig reckt Frieda das Kinn vor. Die unbekannten Worte stolpern über ihre Zunge. Sie wiederholt den Spruch ein zweites Mal. Der Aufzug ruckelt, das Licht erlischt und Frieda landet auf dem Boden, wo sie etwas in die Hand sticht.
„Los sag es!“, verlangt Kai und sie zitiert den Spruch ein letztes Mal. Die Lampe flackert und taucht den Innenraum in grelles Licht. Der Aufzug fährt mit einem Ruck weiter und sie sieht einen Jungen im blauen Pulli, mit schwarzen Haaren, der sie angrinst. Als sich die Tür öffnet, tritt er hinter sie.
„Frieda, geht es dir gut? An deiner Hand ist Blut.“ Schon spürte sie Mamas Arme im flauschigen Wollpulli, die sie an sich drücken.
„Ich bin hingefallen, als der Aufzug weitergefahren ist.“ Auf dem Heimweg erzählt Frieda vom Jungen mit den schwarzen Haaren. Verena wuschelte ihr durch die dunklen Locken.
„Dann hat dein neuer Freund ja die gleiche Haarfarbe wie du. Sicher hast du nur dein Abbild im Wandspiegel gesehen.“ Nach dem Abendbrot erzählt Frieda ihrem Papa vom heutigen Abenteuer.
„Ich hatte keine Angst, weil ich nicht alleine im Aufzug war. Ein Geisterjunge war bei mir. Kai ist acht Jahre alt, nur ein bisschen älter als ich.“
„Komm mal her, mein Spatz.“ Frieda kuschelt sich auf Papas Schoß. Er erzählt ihr, dass Kinder manchmal einen unsichtbaren Freund haben, den die Erwachsenen nicht sehen können. Vor allem Kinder mit viel Fantasie, so wie Frieda. Sie geht in ihr Zimmer, wo Kai auf ihrem Schreibtischstuhl sitzt und sich im Kreis dreht. Zweimal nach rechts und zweimal nach links.
„Toller Karussell Stuhl“
„Warum glauben sie mir nicht?“ Frieda sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett, eine große Kegelrobbe als Kuscheltier auf dem Schoß.
„Sie sehen mich nicht. Nur du siehst mich. Es ist unser Geheimnis.“ Frieda zeigt Kai das Spiel Tic-Tac-To.
„Mach dich bitte fertig. Ich komme in zehn Minuten, dann lese ich dir eine gute Nachtgeschichte vor“, ruft Verena zur Zimmertüre herein.
Kai hockt sich auf den Boden und lehnt sich mit seinem Rücken direkt an das Fußende des Bettes. Frieda liegt zwischen ihren Kuscheltieren und hört gebannt der Geschichte zu, die Mami vorliest. Am Ende des Kapitels legt Verena das Buch auf das Schränkchen neben dem Bett, deckt Frieda zu und gibt ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
Am nächsten Tag nach der Schule wartet Kai schon auf dem Pausenhof auf Frieda. Als sie die Treppen herunterkommt, winkt er mit beiden Händen, um sie auf sich aufmerksam zu machen.
„Ich habe schon auf dich gewartet. Wie ist die Schule so?“ Kai reicht Frieda die Hand und hält ihre zur Begrüßung einen Moment fest. Seine Finger fühlen sich so kalt an, wie das Eis aus dem Gefrierfach. Frieda steckt ihre Rechte zum Aufwärmen in die Hosentasche.
„Unsere Lehrerin ist sehr nett, nur meine Banknachbarin Lea ist gemein zu mir. Ich habe meine Stifte vergessen, weil wir gestern Abend noch Tic-Tac-To gespielt haben. Sie wollte mir keine Buntstifte ausleihen, jetzt muss ich zu Hause das Arbeitsblatt ausmalen.“ Ganz selbstverständlich begleitet er Frieda nach Hause. Kai erzählt, dass er von einem Hauslehrer unterrichtet wurde und nie eine Schule von innen gesehen hat. Also beschlossen sie, dass Kai morgen mit in den Unterricht kommt. Mami hat ihr eine Einkaufsliste geschrieben. Am Nachmittag geht Frieda mit Kai einkaufen. Auf dem Rückweg schlendern sie durch den großen Drogeriemarkt. Von der Spielwarenabteilung ist Kai begeistert, so etwas kennt er nicht.
In der Turnhalle teilen sich die Schüler für ein Fußballspiel auf. Lea verfolgt Frieda mit wütendem Blick, weil sie vom Klassensprecher Tim in seine Mannschaft gewählt wird. Beim Spiel lässt Lea keine Gelegenheit aus, Frieda zu schubsen, oder am T-Shirt zu festzuhalten, damit sie den Ball nicht bekommt. Einmal stellt sie ihr sogar ein Bein. Kai hüpft vor Freude auf und ab, als Friedas Mannschaft gewinnt. Nach dem Spiel setzen sich alle auf die Bank, um etwas zu trinken. Mit einem Schrei springt Lea von der Bank auf. Ein nasser Fleck färbt das Hinterteil in den Leggings dunkel.
„He, Lea hat Pippi gemacht“, frotzelt Klaus. Frieda wird rot, nur sie kann Kai sehen. Er steht direkt hinter Leas Bank und rollt grinsend eine leere Wasserflasche zur Seite. Lea ist fies, aber jetzt tut sie Frieda leid, denn die nasse Hose werden die Klassenkameraden lange nicht vergessen.
Einige Wochen später.
Frieda ist verwirrt von Kais Stimme, er ist immer bei ihr. Ohne Pause.
„Hau ab!“, ruft sie. Ein Mann mit Stock und Hut ist empört, als Frieda rücksichtslos an ihm vorbeirennt, diese jungen Menschen haben keinen Anstand mehr. Frieda schüttelt immer wieder den Kopf, hält sich die Ohren zu.
„Hau ab!“
„Du entkommst mir nicht, da kannst du laufen, solange du willst.“ Etwas packt ihre Jacke, Arme halten sie fest.
„Vorsicht! Die Ampel ist rot!“ Verwirrt schaut sich Frieda um und sieht erst jetzt die Kreuzung an der Bundesstraße. Nur wenige Menschen warten auf das Umschalten von Rot zu Grün. Die junge Frau im grauen Mantel lässt Frieda los.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja.“ Kai steht vor ihr, versperrt ihr den Weg.
„Du hast versprochen, mit mir in die Spielzeugabteilung zu gehen.“
„Das war, bevor du das Matchbox-Auto geklaut hast.“
„Hat doch keiner gemerkt.“ Frieda dreht sich um und läuft den Weg zurück. Mit jedem ihrer Schritte hofft sie, Kai endlich loszuwerden. Wieder begrenzt eine rote Verkehrsampel ihren Weg. Dieses Mal stellt sich Frieda alleine neben die Ampel, den Blick fest auf den Zwilling auf der anderen Seite geheftet. Ungeduldig nagt sie an ihrer Unterlippe, die Hände tief in ihren Jackentaschen vergraben. Etwas Kaltes trifft sie am Rücken. Vom Schwung mitgerissen, machen ihre Beine einen großen Schritt vorwärts. Mitten auf der Fahrbahn stolpert sie, wird geblendet vom grellen Licht.
„Du hast es so gewollt.“ Kai hält ihre Hand ganz fest. Sie ist jetzt nicht mehr kalt. Er zieht sie mit sich. Frieda sieht sich verwirrt um.
„Da liegt ein Mädchen mit schwarzen Locken auf der Fahrbahn. Wieso steht sie nicht auf?“ Kai antwortet nicht, niemand antwortet ihr. Sie bemerkt, dass ihre Beine keinen Boden berühren. Immer schneller geht es vorwärts, schräg nach oben. Das Mädchen auf der Straße spukt durch ihre Gedanken, sie verwirbeln sich im Kreis. Ist es wichtig?
„Jetzt zeige ich dir dein neues Zuhause.“ Kais Stimme holt sie in die Gegenwart zurück. Sie stehen direkt vor der Tür zum Ärztehaus. Es ist dunkel. Kai hält immer noch ihre Hand. Sie treten durch die dicke Holztüre. In der Eingangshalle führt er sie die Treppe in den Keller hinunter und in einen großen Lagerraum. Am Ende des Raumes schwebt er mit ihr durch die Wand in eine kleine Kammer. Dort steht ein Holztisch mit acht Stühlen. Darauf sitzen fünf fremde Mädchen, alle haben dunkle Locken und eine blaue Haarschleife.
„Komm, ich stelle dir den Rest unserer Familie vor.“