Kurzgeschichte Der goldene Käfig (bitte um Feedback/ Kritik)

Hallo zusammen,
Ich bin auf diese Seite gestossen und war beeindruckt vom regen Austausch!
Da ich komplett neu in der „Autorenbranche“ bin, wäre ich sehr froh über ein Feedback/ Kritik zu meiner Kurzgeschichte. Ich kann meinen Schreibstil nicht so gut einschätzen und bin auf eure Hilfe angewiesen.

Der goldene Käfig

Der Nebel liegt leicht und durchscheinend auf dem See und der dahinterliegenden Hügelkette, verbindet sich mit dem Himmel so, als wäre es eine Fotowand, ein Hintergrund, dessen Aufgabe darin besteht, die kahlen Bäume und grauen Häuserfassaden hervorzuheben. Ein feiner Rauchfaden steigt aus dem schmalen langgezogenen Kamin vor meinem Fenster, um sich gleich darauf im Nichts des Nebels aufzulösen.
Der viertelstündliche Glockenschlag durchbricht die Stille des Alltages. Im Hintergrund brummt schwach der Baustellenlärm, begleitet vom Gezwitscher jener Vögel, welche den Drang dem Winter zu entkommen nicht genetisch verankert haben.

Ein ganz normaler Tag, wie jeder andere auch, der sich nur durch das wechselnde Wetter unterscheidet und damit das Voranschreiten der Zeit aufzeigt.

Vor mir liegt ein leerer Tag. 8.5 Stunden zur freien Verfügung. 510 Minuten, die zu füllen heute meine einzige Aufgabe sein wird. Zeit, welche ich an jedem Vorabend herbeisehne, doch ist sie einmal da, in mir eine Überforderung auslöst. Unendlich viele Möglichkeiten, begrenzt durch einen goldenen Käfig.

Steh auf, zieh dich an, geh raus! Hallt es immer und immer wieder in meinem Kopf. Kurbel deinen Kreislauf an, atme frische Luft, durchblute deine Muskulatur! Als gelernte Physiotherapeutin ein kaum auszuhaltender Zustand, diese Bewegungslosigkeit. Und doch sind die goldenen Stäbe stärker als alle Glaubenssätze, Verhaltensmuster und erlernten Wahrheiten. Dabei stellt sich mir wiederholt die Frage: dienen diese Stäbe zu meinem Schutz? Bewahren sie mich vor dem nächsten Fall? Sind sie die starken Wächter meines Herzens, bereit sich jedem kopfgesteuertem Impuls in den Weg zu stellen? Oder…? Ja oder was? Faulheit? Denn was sonst soll ich mir selber auferlegen? Welche intrinsische Motivation soll mir sonst einen goldenen Käfig bauen? Depression? Ängste?

Das unbändige Bedürfnis, das Leben zu leben, die kurze Zeit auf Erden zu nutzen steht deutlich im Kontrast zu meinen Gitterstäben, welche mich tagein tagaus an mein Zimmer, meine 4 Wände fesseln mit der Idee eine kuschlig wohlige Atmosphäre zu geniessen.

Und so sitze ich da, lausche dem Ticken der Uhr, die mir den unaufhörlichen Countdown meiner 8.5 Stunden ins Gedächtnis ruft, male mir meinen Tag aus, wie die Aktivitäten meine Zeit füllen und lasse sie verstreichen.

Wieviel Energie es doch braucht, sich von diesen Gedanken, vom Rieseln der Sanduhr loszureissen. Und gleichzeitig erscheint mir das Dasitzen, lauschen, fühlen, riechen, atmen so heilend. Wie ein warmes Bad, das mich mit einer Decke umhüllt, die alle Wunden sanft reinigt und verschliesst.

Es durchströmt mich ein Gefühl der Dankbarkeit für meine goldenen Gitterstäbe, die mir dieses heilende Bad ermöglichen und mich, wunderschön anzuschauen, daran erinnern, dass die Zeit noch nicht reif ist um auszubrechen. Noch ein bisschen, noch ein kleines bisschen. Bleibe geduldig, geniesse es, flüstert meine innere Stimme. Denn ich kenne die Stromschnelle des Alltagrausches. Wie verführerisch die Aktivitäten mir zuwinken, mich an der Hand nehmen und im Kreis rumreichen bis ich taumelnd vor Erschöpfung ins Bett falle um am nächsten Tag gleich weiter zu machen. Die Euphorie darüber, wieder am Leben teilzunehmen lässt mich in einem schwarz- weiss Muster leben, ohne Graubereiche. Diese haben in Form von Nebel, graubehangenem Himmel und Dämmerung eine beruhigende, ja fast mütterliche Wirkung auf mich, als Ausgleich zur Achterbahnfahrt meines Alltages.

Mittlerweile hat sich der Nebel ausgeweitet, die Häuserfassade und kahlen Bäume verlieren ihre klaren Konturen. Die Letzten Sekunden meiner 8.5 Stunden kündigen sich mit dem Geräusch des Schlüssels im Türschloss an.

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Ist natürlich ein krachendes Ende. Mir gefällt das Textchen gut. Was du unbedingt beachten solltest, ist deine Festlegung auf die 8,5 Stunden. Das ist wenig literarisch. Du solltest erstens keine Zahlen schreiben und zweitens würde ich eine glatte Zahl nehmen. Neun Stunden. Das bedeutet eine halbe Stunde Mittagspause und zweimal fünfzehn Minuten Wegstrecke. Es sei denn, er arbeitet im Haus gegenüber. Oder auch zehn Stunden. Dreißig Minuten Wegstrecke und eine Stunde Mittagspause.
Die Qual, sich nicht aufraffen zu können, kommt sehr gut rüber. Ich kann mich gut in die Gefühle reinversetzen. Ein schöner, ambivalenter Text. Passt gut als Auftakt zu einem Horrorthriller.

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Oh wow vielen lieben Dank für dein Feedback! Das ging jetzt schnell. :smiley:
Und danke für die konstruktive Kritik. Ja stimmt, das mit den Zahlen kommt mir bekannt vor. Auch der Tipp mit den glatten Stunden, werde ich auf jeden Fall noch anpassen.
Beim Schreiben hatte ich kurz auch die Idee, einen Horrorthriller daraus zu machen. Aber ich trau mich vorerst noch nicht an etwas „Grösseres“ ran. Mal schauen…

Wenn ich als Buchkäufer einen Thriller erwarte, würden mich diese besinnlichen Mußestunden enttäuschen. Dann würde ich nach spätestens vier Absätzen aufhören zu lesen.

Meiner Meinung nach trifft „Kurzgeschichte“ es gut, dabei kann es doch bleiben. Einige der typischen Merkmale einer Kurzgeschichte kann man hier aufzählen: offenes Ende, nur ein Handlungsstrang, Alltagsthemen, Alltagspersonen, Verwendung von Symbolen, wenig Informationen über Ort und Zeit, personaler Erzähler.

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Vielen Dank für dein Feedback!
Ja natürlich würde ich den Anfang umschreiben, würde ich ihn für einen Krimi vorsehen. Beim Schreiben kam mir der Gedanke, dass das Thema oder die Szenerie ein Anfang für einen Krimi sein könnte, doch geschrieben ist es klar als Kurzgeschichte. Ich müsste dann auch Inhaltlich noch einiges ändern. Und wie gesagt, ich bin noch ein Neuling und alleine schon beim Gedanken an einen Aufbau und roten Faden über ein ganzes Buch hinweg überfordert.

Ich habe auch schon mal eine Kurzgeschichte geschrieben, aus der ich im Anschluss einen Roman gemacht habe. Es macht Spaß, damit herumzuspielen, also wie man identischen Inhalt anders aufbereiten kann.

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Stark! Stimmungsbild sehr gut eingefangen. Bonjour tristesse. Möchte gerne mehr dieser kleinen Geschichten lesen. LG

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Stelle ich mir auch sehr spannend vor. Da setzt man sich nochmals ganz anders mit dem Text und dem Thema auseinander.

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Wow danke! LG

Die Geschichte hat einen (inneren) Konflikt, aber kaum Handlung oder Spannung.
Leser von Thrillern erwarten Action und Spannung, Leser von Krimis erwarten Spannung und logische Entwicklungen.

Ich sehe keinen Sinn darin, aus dieser ruhigen, etwas lyrischen und philosophischen Kurzgeschichte etwas völlig anderes machen zu wollen.

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Ich schon. Warum nicht? Anstatt eine neue Idee für einen Roman zu suchen, nimmt man einfach das, was da ist und passt es an, spielt damit, entdeckt neue Möglichkeiten.
Im Filmgeschäft hat so etwas herausragend funktioniert. Die ersten gemeinsamen Filme mit Bud Spencer und Terence Hill waren ernst ausgelegte Western und sie waren erfolglos. Dann hat man die Dialoge geändert und Westernkomödien daraus gemacht (zumindest in den deutschen Versionen). Die Filme hatten plötzlich unglaublichen Erfolg.
Dasselbe hat man übrigens mit der Serie „Die Zwei“ gemacht mit Roger Moore und Tony Curtis. Ernst=erfolglos. Exakt dieselbe Handlung, dieselben Bilder, andere Synchronisation drauf gelegt und siehe da: ein megamäßiger, kommerzieller Erfolg!

1 Story unterschiedliche Sichtweisen und Aufbereitungen. Aus einer lyrisch-philosophischen Kurzgeschichte kann man durchaus ein Horrorszenario machen.

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Ich habe den Text eben gelesen - und bei mir zündet er mit dem letzten Satz. Ich habe erst nicht verstanden, warum ein freier Tag auf 8,5 Stunden begrenzt ist. Auch nicht so ganz die Ambivalenz der Ich-Erzählerin mit dem unbändigen Drang, das Leben zu genießen einerseits und ihrer gleichzeitigen Sehnsucht nach dem goldenen Käfig andererseits. Der Schlüssel, der sich im Schloss dreht, ist für mich der Moment, in dem mein Kopfkino startet. Der Text (an dem sprachlich natürlich gefeilt werden sollte) kann tatsächlich als Kurzgeschichte funktionieren, ebenso aber als Einstieg in einen „…“ -Roman/Thriller. Das macht ihn für mich sehr interessant.

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Wie weiter oben schon gesagt, ließe sich sprachlich noch einiges zurechfeilen, aber darum solls hier jetzt gar nicht gehen.
Als Kurzgeschichte funktioniert der Text für mich optimal, mir gehts hier wie @donald313: Der letzte Satz eröffnet eine gewaltige Auswahl an Möglichkeiten und das Kopfkino kann sich nach Herzenslust austoben.

Als Einstieg für einen Roman wäre mir der Text fast schon zu poetisch angelegt, ich weiß nicht, ob ich in diesem Stil einen kompletten Roman lesen würde. Aber das ist - wie so oft - Geschmackssache.

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Vielen vielen lieben Dank für eure Rückmeldungen! Ich bin euch so dankbar!
@donald313 und @Yoro Vielleicht an dieser Stelle noch eine kurze Erklärung zu den Beweggründen dieses Textes. Er ist tatsächlich nur als Kurzgeschichte gedacht. Ich glaube auch nicht, dass ich ein ganzes Buch mit diesem Schreibstil durchziehen könnte. :slight_smile:
Der goldene Käfig ist ein mentaler Käfig. Er bewahrt vor Herausforderungen des Alltages, vor dem verletzt werden oder stolpern und gleichzeitig hält er einem vom Leben ab. Die Ambivalenz ist eine persönliche Erfahrung, Ängste aber auch mentale und körperliche Traumata, die geheilt werden müssen und Zeit brauchen, mit dem Gefühl, dass eben diese Zeit einem davon läuft, man das Leben verpasst. Und dann auch der Heilungsverlauf, die Zeit, in der es einem besser geht, man alles aufholen möchte, was man verpasst hat und sich dadurch komplett überfordert.
In diesen 8.5 Stunden darf ich es mir in diesem goldenen Käfig bequem machen, sobald aber mein Mann nach Hause kommt, muss ich wieder funktionieren, eine Ehefrau sein, kommunizieren, ihm meine Genesungsfortschritte beweisen.

Ich gehe davon aus, wenn soviel Erklärung meinerseits nötig ist, muss ich definitiv noch etwas am Text feilen…

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Naja, wenn du erreichen möchtest, dass jeder deine Version versteht, ja.
Allerdings kann es dann auch passieren, dass der Leser sich in eine Ecke gedrängt fühlt. Einfach deshalb, weil jeder andere Erfahrungen gemacht hat.

Wenn du es etwas offener lässt, versteht vielleicht jedes etwas anderes. Trotzdem war, wie du hier siehst, das Feedback positiv.

Wie wichtig dir deine Aussage ist, liegt an dir. Wenn du genau das vermitteln möchtest, dann muss einiges verändert werden, ja.
Wenn du den Leser seinen eigenen finden lässt kommt verschiedenes bei rum. Wie du dazu stehst…
Mein Bier dazu - dein Text

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Danke für dein Bier! Da hast du recht. Das mag ich ja eigentlich auch: Texte, die viel Raum für Interpretation lassen. Es wurde ein paar mal angemerkt, dass die Ambivalenz nicht so schlüssig ist. Evt da etwas umschreiben? Viel Interpretationsfreiheit finde ich ja super, aber wenn es zu unschlüssig ist, liest man ja vielleicht auch nicht weiter, oder?

Also, schlüssig finde ich es schon. Aber es ist m.E. nicht leicht zu erkennen. Evt etwas hinzufügen, den Inhalt von „Die Glocke läutete alle 15 min, er würde beim nächsten Schlag ankommen“ oder so beinhaltet.
Ich denke wenn einmal von „ihm“ gesprochen wird, wird das klar.
Vielleicht aber auch zu offensichtlich

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Genau dies hatte ich herausgelesen, für mich waren die Gedanken nachvollziehbar, da eine Ex-Kollegin mir ähnliches aus ihrem Kampf gegen die fatigue erzählt hat.
Ist für mich eher unwahrscheinlich als Beginn für eine Kriminalgeschichte. Ausser natürlich die Betroffene rastet irgendwann mal aus … die Tiefen der menschlichen Seele sind bekanntlich schwer auszuloten.

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Also mir hat es gut gefallen :slight_smile: Gefühlvoll geschrieben, ohne ins Schwülstige zu kippen. Ich habe die Geschichte übrigens durchaus in etwa so verstanden wie du sie, deiner späteren Erklärung nach, gemeint hast.
Nur das mit dem Ehemann und was es mit den 8.5 Stunden auf sich hat, kann man als Leser nicht wissen. Und das ist eigentlich ganz gut so, denke ich. Denn der Schlüssel im Schloss wirft interessante Fragen auf. Ab da könnte die Geschichte sich in alle möglichen Richtungen entwickeln. Mein spontanes Gefühl war übrigens Sorge um die Protagonistin.

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Vielen lieben Dank, Linna, für deine Rückmeldung. :pray: Das war auch meine Intention, dass da noch viel raum für Interpretation oder Kopfkino bleibt.
Um die Protagonistin musst du dir keine Sorgen machen. Klar ist sie offensichtlich nicht in bester Verfassung, doch sie ist in einer liebevollen Beziehung und hat ein gutes und starkes Netzwerk.