Ich habe derzeit keinen Text, den ich im freien Netz veröffentlichen will. Manches ist in Arbeit, Romanprojekt, anderes, längere Kurzgeschichte, liegt zur Zeit der Jury einer Ausschreibung vor. Wieder anderes möchte ich demnächst als Kurzgeschichtensammlung im SP veröffentlichen.
Aber angeregt durch Suses Geschichte über Kindesleid, fiel mir ein Text ein, den ich vor etlichen Jahren schrieb.
Ich hab ihn gestern wieder hervorgekramt und überarbeitet, vor allem gekürzt oder besser gesagt, entschärft.
Als Vorbild diente mir das tragische Schicksal eines Kindes aus der unmittelbaren Nachbarschaft, das später von der Jugendfürsorge übernommen wurde. Es ist ein kurzer, rein auf Emotion komprimierter Text. Mal sehen, was ihr dazu sagt.
Edit: 28.2.2022
Der Anhang wurde heute von mir gelöscht.
Für einen Text, der eine Geschichte erzählt, ist er mir persönlich irgendwie zu vorhersehbar, zu offensichtlich. Der Text wirkt auf mich fast wie eine Nachricht. Die Emotionen stehen zwar dort, springen mich jedoch nicht an. (Was nicht heißen soll, dass mich der Sachverhalt als solches kalt ließe). Ich mag da eher subtilere Erzählweisen.
Leider beziehen sich deine Zitate eher auf meine Einleitung, als auf den Text selbst. Ich hätte sie besser weglassen sollen.
Das ist natürlich keine Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern eine Milieustudie, ein Moment im Leben eines misshandelten Kindes, ergänzt durch dessen eigene Perspektive. Nichts anderes, als eine nüchterne Situationsbeschreibung ohne jede Wertung durch den Autor. Die bleibt dem Leser überlassen. Mit vorhersehbar kann ich deshalb nicht viel anfangen.
Natürlich tut das weh, wenn man so etwas liest. Es soll auch weh tun.
Du hast keinen einzigen Satz aus dem Text zitiert. Bist überhaupt nicht darauf eingegangen, sondern hast bloß aus meinem Vorstellungskommentar zitiert.
Den hab ich aber nicht zur Diskussion gestellt.
Der Text kommt noch. Ich habe nichts daraus zitiert, meinte aber schon, wie eben der Text auf mich wirkt.
Ich werde ihn aber noch entsprechend kommentieren. Versprochen.
Formal: Am Absatzende (also vor einem Absatz) kein Leerzeichen, dann ist … ein eigenes Zeichen und keine drei Punkte hintereinander.
Zum Text selbst … vorweg: ich bin kein großer Schreiberling (aber ich kann sehr gut formale Sachen anmerken! ;D) und und zu einer Diskussion werde ich wohl wenig beitragen, weil ich halt lese und nach meinen subjektiven Vorlieben vorgehe. Da du aber hoffentlich nicht in den Defensivmodus verfällst, sondern es halt milde belächelst, hier meine zwei Cents:
Vielleicht hast du zuviel gekürzt, aber auf Emotion getrimmt lese ich nicht – in dem Part, in dem die Mutter Dieter (ich bin wohl eine andere Generation, was auch eine Rolle spielen könnte, aber bei dem Namen hat Autoplay in meinem Kopf eingesetzt … guck dir den Dieter an, der hat sogar ein Auto) schlägt, ist es einfach nur eine Erzählung; das ist vielleicht das, was Suse auch meinte mit „Einleitung“. In den Gefilden, in denen ich mich manchmal herumtreibe, sagt man dazu „hat mich nicht abgeholt“.
Bei dem Part, in dem er in der Abstellkammer hockt, hätte ich auch mehr herausgeholt, auch wenn ich nicht mehr weiß, wie Kinder denken … Dieters Gedanken sind für mich einfach hingeklatscht, du erzählst sie einfach am Stück runter. Für mich (!) hätten sie mehr Gewicht, wenn da Unterbrechungen wären. Vielleicht hört er zwischendrin das Gekrame der Mutter im Haus, irgendein Geräusch erschreckt ihn und erinnert ihn an das, was eben geschehen ist oder das, was nun wohl kommt …
So alles in allem erinnert es mich sehr an Kurzgeschichten aus der Schule, die man analysieren durfte.
Das werte ich fast als Kompliment.
Nein, im Ernst. Ich habe den Text, damals vor rund 10 Jahren, einfach so rausgeklatscht, weil ich meinen Finger schonungslos auf brutale Gewalt gegen Kinder legen wollte, die ich unmittelbar erlebte. Der Text wurde seinerzeit intensiv diskutiert, Hauptkritikpunkt daran war, dass er nur von Gewalt lebt, seine ganze Energie bloß aus diesen schonungslosen Darstellungen bezieht.
Ja, das stimmt. Mehr findet man darin kaum, wenn man von der Selbstverlogenheit der Mutter absieht, der es gelingt, dem Kind einen Schuldkomplex anzuzüchten, die körperliche Züchtigung gar als gerecht zu erleben. Aber: Das geprügelte Kind ist niemals schuld an Züchtigung. Schuld ist immer nur der Täter.
Das ist keine Geschichte im eigentlichen Sinn. Es ist nur eine atemlose Blitzlichtaufnahme. Du monierst die Kürze, die geraffte Darstellung der kindlichen Gedanken in der finsteren Kammer, da hättest du gerne mehr Hintergrundhandlung, ergo mehr Textlänge. Mir lag viel daran, den Leser nicht aus diesem Stakkato brutaler Gewalt zu entlassen, ihm keine Atempause zu gönnen, nicht mehr davon abzulenken, als unbedingt nötig. Mit jedem zusätzlichen Satz wäre das passiert.
Ich sehe in Literatur nicht bloß Erzählkunst, die primär der Unterhaltung dient. Ich finde, sie hat, wie jede Kunstgattung eine erweiterte Aufgabe. Sie soll Bekanntes in neues Licht rücken, aus ungewohnter Perspektive zeigen, den Fokus auf wunde Stellen richten, ohne Tabus, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit des Lesers. Sie soll aufrühren, sie soll verstören. Nicht immer und unbedingt, aber auch.
Die Gedanken des Jungen sind sehr kindlich, dieser Satz hier bricht das: “vielleicht vergeht ihre Wut, bis er kommt”; das klingt erwachsen.
“Tröstend nimmt er seine Frau in die Arme.” Für mich war die Szene aus der Sicht des Jungen geschildert, das kann er aus der Abstellkammer aber nicht sehen. Und: Würde er die Umarmung als “tröstend” wahrnehmen?
Dennoch: Gefällt mir gut. Ein Schlag in die Magengrube. Aber genau dazu hast Du das geschrieben.
Ja, die Kindersprache ist ein Problem. Ich sehe da einen 10jährigen Jungen vor mir. Mag sein, dass ich stellenweise dessen Diktion nicht exakt getroffen habe. Das schau ich mir nochmal genauer an.
Das ist die Sicht des auktorialen Erzählers. Er geht ja auch anfangs in den Kopf der prügelnden Frau. Ich wechsle dreimal (bewusst) in die Ich-Perspektive des Kindes. Deshalb habe ich sie kursiv dargestellt.
Ja, der Text ist etwas verstörend, aber man weiß nicht so recht, wo er hin soll. Der Anfang, die Prügelszene ist gut gelungen, wobei in jeder Phase mit wenigen Details das Grauen noch stärker hervortreten könnte. Ab der Besenkammer war ich nicht mehr bei dir, denn die Angst vor der Dunkelheit ist ein Klischee. Benutzt man nur, wenn es sein muss.
Im Gegenteil, der Junge ist dort froh! Er kann endlich aufatmen, er würde freiwillig dort reingehen, wenn er den Schlägen damit entginge. Das ist ein Zufluchtsort, wo seine Mutter ihn endlich in Ruhe lässt. Der Horror wäre gewesen, ihn am Küchentisch sitzen zu lassen. Wo sie ihn ständig im Blick hat, immer eine Hand erhoben.
Der Vater am Schluss passt nicht mehr. In der Regel sieht er ja, dass der Junge schon gestraft ist. Ihn dann nochmal zu verprügeln, kann man machen. Ich finde es ein bisschen übertrieben.
Fazit, es ist ein Text, den man ohne Triggerwarnung heute kaum noch veröffentlichen dürfet (ich schon) und deswegen finde ich ihn recht gelungen.
Der Text hat kein Ziel. Er beschreibt einen Kreis der Gewalt. Wo beginnt ein Kreis, wo endet er?
Er zeigt ein Segment aus diesem Kreis, aus dem Leben eines schwerst misshandelten Kindes. Deshalb auch das Schlussbild mit dem Vater, der auch noch drauflosprügelt, der Kreis schließt sich.
Na das ist doch was Positives. Danke für deine auführliche Stellungnahme!
Anbei: Der Text ist nur in zwei Netzforen veröffentlicht. Ich plane nicht, ihn in eine Anthologie aufzunehmen.
So. Ich bin seit gestern aus dem Krankenhaus, noch reichlich lädiert, aber wieder einigermaßen Herr meiner Sinne. Ich hatte ja versprochen, dass ich mich noch detailliert um deinen Text kümmern wollte. Damit die einzelnen Kritikpunkte besser ersichtlich sind, füge ich mal eine bearbeitete pap-Datei an.
Es ist natürlich alles nur meine persönliche Meinung und ich wollte deinen Text keineswegs zerstören, doch hat er mich, wie ich eingangs schon sagte, in seiner Ursprungsform leider nicht so richtig mitgenommen.
Also dann.
hab Dank für deine ausführliche Stellungnahme.
Statt Vater Papa schreiben, ist eine gute Idee, die ich gerne umsetze. Überhaupt werde ich mich mit dem inneren Dialog des Kindes noch etwas genauer auseinandersetzen, @Buchling hat mir diesbezüglich bereits einen guten Hinweis gegeben.
Die Namensnennung des Kindes würde m.A.n an der von dir empfohlenen Stelle zu sehr vom Himmel fallen, wenn, dann müsste sie gleich im ersten Absatz kommen. Ich bleibe lieber bei der Anonymität der beiden, bis der Vater auftritt und Kind und Mutter beim Namen nennt.
Ich denke, wenn eine Mutter zu ihrem Kind in aller Deutlichkeit sagt, ich will dich nie wieder sehen, ist das schon eine sehr heftige emotionale Aussage, die ich verbal nicht zusätzlich verstärken möchte. Gibt es etwas Verletzenderes?
Du schlägst vor, die Schlussszene subtiler anzulegen, den Schrecken des Kindes deutlicher herauszustellen, aber die zu erwartende weitere Misshandlung durch den Vater schwebt ja permanent über dem Text, da reicht für mein Empfinden der düstere Schlusssatz. Ich denke nicht, dass es nötig ist, den Schrecken des Kindes noch deutlicher herauszustellen, als es im Text ohnehin bereits zum Ausdruck kommt.
Wohl habe ich mit diesem Text nichts vor, er liegt schon lange auf der Festplatte und ich werde ihn sicher in keiner Antho verwursten, aber nach euren Anregungen noch etwas daran herumfeilen.
Danke, dass du dich trotz deiner misslichen Lage aufgerafft hast und dir Gedanken zu diesem Text gemacht hast. Ich wünsche dir auch auf diesem Weg gute Besserung - via PN haben wir uns ja bereits ausgetauscht - und dass du bald wieder das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde finden kannst.
Alles Liebe an Dich!