Tanja
Niemals zuvor hatte jemand meine Beifahrertür so entschlossen aufgerissen.
„Fahr los!“
Dem kernigen Kommando folgte ein gut gefüllter Rucksack, der, vielleicht aufgrund meiner schnellen Reaktion oder einfach falsch vermutet vorhandener Kopfstützen, schwungvoll elegant Richtung Rückscheibe segelte.
„Fahr einfach los!“
Die unerwartet verlängerte Flugbahn des Sacks zwang den unvorbereitet hineingezogenen Körper in eine ungewollt instabile Drehbewegung, die den Kopf halbwegs in meinen Schoß, Arme und Beine zappelnd Richtung Rückspiegel und den Hintern geradewegs in den Beifahrerfußraum katapultierte. Es wäre ein Anblick für die Götter, wäre mir nicht in diesem Moment Magengrube-schlagartig klargeworden: Die kenn ich! Nicht die Beine, den Hintern, vielleicht den Kopf, aber hundertprozentig die Stimme:
„Autsch, Scheiße … . Gib Gas!“
Sie arbeitete sich, Hals über Kopf, kompromisslos hinauf in den Beifahrersitz. Das alles geschah in nicht einmal einer Minute. Noch bevor ich mich überhaupt echauffieren konnte, saß sie halbwegs aufrecht neben mir und herrschte mich an:
„Losfahrn!“
Es war tatsächlich Tanja.
Rehbraune Augen, zart zerkniffene Lippen, das vertraute Funkeln in den Augen. Neue Frisur vielleicht? Leicht aufgewühlt. Etwas schmaler an den Wangen. Die unsanfte Landung auf dem harten Schaltknüppel hatte spontan schon deutlich sichtbare Spuren in ihrer rechten Gesichtshälfte hinterlassen, was sie aber nicht daran hinderte, ihrer Forderung noch einmal laut und deutlich Nachdruck zu verleihen.
„Jetzt setz die Karre endlich in Bewegung!“
Ihren Nacken drohend spannend, packte sie mit beiden Händen meinen Arm und bohrte ihre knochenspitzen Finger durch sämtliche Klamotten krampfhaft flehend in meine fassungslosen Muskeln.
„Nun tu es doch einfach!“
Der heftige Schmerz löste langsam meine Schockstarre.
„Was? … Du?“
„Nich was. Ja, ich. Fahr los!“
„Fahrn? … Wohin?“
Sie ließ von mir ab. Ihre Schultern sanken kraftlos in den jetzt viel zu großen Beifahrersitz.
„Was weiß ich. Wohin Du willst.“
„Aber … ich fahr zurück!“
„Egal“
„Nach Hamburg?“
„Auch gut!“
„Wie? Auch gut. Echt jetzt?“
„Echt jetzt!“
So traf ich meine erste Liebe wieder.
Diese „Sie steigt ins Auto“-Szene war eigentlich mal geplant als Opener für eine seriöse Geschichte aber jetzt klingts wie Comedy.
P.S.: Ihr müsst das mal laut sprechen.