Hallo,
ich habe bereits in einem anderen Forum Kapitel I meines aktuellen Projekts „Coloria - die Welt der Farbenvielfalt“ reingestellt und Feedback dazu erhalten. Jetzt bin ich am Überlegen ob ich noch mal was ändern soll oder es lassen soll, wie es jetzt ist. Anbei mal das besagte Kapitel und ich hoffe, ihr könnt mir bei meiner Zweifelsfrage helfen. Über Feedback gleich welcher Art freue ich mich sehr!
Gruß
Super Girl
Die Entführung (Kapitel I)
Ich erinnerte mich an meinen ersten Besuch der Taverne „Strandgut“. Das war an meinem 15. Geburtstag. Obwohl mir Vater verboten hatte, Alkohol zu trinken, genoss ich an diesem Tag mein erstes Bier. Die Taverne war an diesem Abend nur etwa halbvoll. Meine vier Kumpels und ich hatten deswegen freie Sicht in Richtung Barausschank.
Während ich gedankenversunken an Opa Fredric dachte, der letztes Jahr gestorben war, stieß mir mein Kumpel Kaspar in die Seite. Er lachte gerade über die Worte von Filip, der neu in unserer Gruppe war. Ich hatte nur am Rande etwas von einem „Zottelwan“ gehört. Nun, da Filip meine volle Aufmerksamkeit hatte, wiederholte mein Kumpel, nun auch für mich hörbar: „Seht euch mal diesen Typ an der Bar an! Den mit den Schlappohren! Der sieht mir wie ein Zottelwan aus!“
Daraufhin schielte ich zu dem Erwachsenen hinüber, auf den mein Kumpel deutete. Der Mann war behaart von Kopf bis Fuß. Sein Äußeres erinnerte mich tatsächlich an einen „Zottelwan“. Als „Zottelwan“ bezeichnete man einen Menschen, der auf der Straße schlief. Der Fremde bemerkte offenbar, dass ich ihn skeptisch beäugte. Denn er winkte mich nun mit einem Zwinkern zu sich.
„Wie heißt du Junge? Du siehst mir sympathisch aus. Darfst du überhaupt schon Alkohol trinken? Wer sind die Jungs da an deiner Seite? Seid ihr nicht zu jung für eine Feier hier drinnen?“
Ich bemerkte, wie mich der Fremde musterte. Ich wollte zuerst gar nicht mit ihm sprechen, zumal meine Eltern mir eingebläut hatten „in Zeiten wie diesen“ mit keinem Fremden zu sprechen. Doch mein Bekannter Kaspar stieß mir in die Seite: „Nun komm, Luk, sprich mit ihm! Nur so finden wir heraus, ob dieser Kerl einer von den „Guten“ oder von den „Bösen“ aus Lord Fethelins Truppe ist!“
Bei Lord Fethelin handelte es sich um einen machthungrigen Tyrannen, der die Weltherrschaft anstrebte. Er hatte schon viele Dörfer überfallen und deren Bewohner versklavt. Wie durch ein Wunder blieben wir von seiner Schreckensherrschaft verschont. Zumindest bis jetzt.
Schließlich gab ich mir einen Ruck, schlenderte zur Bar und sprach den behaarten Mann an.
„Ich habe heute mein erstes Bier probiert. Es schmeckt gut, aber irgendwie ölig. Ich heiße Luk und feiere mit Freunden meinen 15. Geburtstag. Außerdem wissen unsere Eltern nicht, dass wir hier sind. Es wäre auch besser, wenn das so bleibt!“
Die Worte sprudelten nur so aus meinem Mund. Ich zwinkerte dem Fremden zu. Er zwinkerte zurück.
Daraufhin trommelte der Fremde auf den Tresen, bestellte zwei weitere Biere und zahlte mit einem großen Schein. Er bat den Wirt darum, keine Fragen zu stellen. Erst jetzt bemerkte ich, wie mich der Wirt argwöhnisch musterte. „Nein, der Bursche bekommt von mir kein weiteres Bier! Ausgeschlossen!“ Der Wirt, den ich auf etwa 56 Jahre schätzte, blieb stur.
„Er ist mein Neffe und hat heute Geburtstag!“, betonte der Fremde, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich staunte über die Tatsache, dass mir dieser Typ tatsächlich dabei half, noch ein Bier zu ergattern!
Doch erst als der mir unbekannte Mann dem Wirt versprach, gut auf den „Neffen“ aufzupassen und nebenbei erwähnte, dass ich heute 18 geworden war, ließ sich der Wirt überreden. Er stellte uns zwei Biere auf den Tresen, aber nicht ohne ein „Ich behalte dich im Auge, Junge“ zu zischen.
„Lange nicht mehr gesehen, Luk! Nun guck nicht so verdutzt! Du wirst doch wohl noch deinen Onkel Nepomuk erkennen, oder?“ Mit einem herzhaften Lachen klopfte mir der Fremde nun auf die Schulter. Hinter mir hörte ich Kaspar und Filip lachen.
„Neppo? Natürlich, wie könnte ich dich vergessen!“, spielte ich das „Spiel“ des Fremden mit. Weißt du es eigentlich schon? Opa Fredric ist gestorben. Leider! Dabei war er so ein herzensguter Mensch!“
Nun machte Nepomuk ein ernstes Gesicht. „Echt? Der gute, alte Fredric ist tot? Wie das denn?“
„Er hat sich den Männern von Lord Fethelin in den Weg gestellt. Daraufhin haben sie ihn…“.
Das letzte Wort konnte ich nicht aussprechen, weil es in meinen Augen viel zu grausam war.
„Umgebracht? Nein, nicht wirklich! Der arme Fredric! Dabei war er so ein lebenslustiger Mensch!“ Nepomuks Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig zu einer traurig dreinblickenden Miene. Dabei klopfte er mir abermals auf die Schulter.
„Armer Luk. Du standest Fredric sehr nahe, was?“
„Das kann man so sagen. Immerhin war er mein einziger Großvater, den ich kennenlernen durfte. Mein Großvater mütterlicherseits ist bereits kurz nach meiner Geburt gestorben. Das haben mir jedenfalls Mutter und Vater erzählt!“
Ich nahm einen Schluck von meinem Bier. Neppo prostete mir zu und meinte hierzu: „Auf Fredric, möge er in Frieden ruhen. So was! Fredric und tot! Ich fass es nicht!“
Ich wusste nicht, ob Nepomuk immer noch schauspielerte oder ob er diese Aussage ernst meinte. Trotzdem erwähnte ich in einer Trinkpause: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Lord Fethelin eines Tages besiegt wird. Ich weiß es einfach. Irgendwann wird jemand kommen und ihm die Stirn bieten. Die Rebellen sind sehr stark. Ich hoffe sehr, dass sie gewinnen! Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Guten immer siegen. Egal, wie lange es dauert!“
Über meine Ansprache staunte Nepomuk sehr. Und da ich unser „Spiel“ immer noch mitspielen wollte, als ob wir verwandt seien, vertraute ich meinem „Onkel“ alle Ängste und Sorgen an. Obwohl Neppo verwahrlost wirkte, machte er auf mich einen freundlichen Eindruck. Aber vielleicht gehörte dieses merkwürdige äußere Erscheinungsbild zu seiner Tarnung. Ihm traute ich alles zu, nur nicht, dass er einer von den „Bösen“ war. Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!
„Ich glaube nämlich an die alte Prophezeiung mit den fünf Auserwählten, die eines Tages kommen werden, um Coloria vor dem Bösen zu bewahren!“ Als ich diesen Gedanken laut aussprach, wurde Neppo plötzlich stocksteif und starrte mich an. Fand dann jedoch seine Sprache wieder und betonte an mich gewandt: „Du bist ein besonderer Junge, Luk. Nicht jeder glaubt an die alten Legenden mit den Auserwählten. Du schon. Wenn man ganz stark an etwas glaubt, dann kann es in Erfüllung gehen!“
Als die Tür mit lautem Scheppern aufflog, erschrak ich so sehr, dass ich Neppo mein Bier übers Hemd schüttete. Doch ich hatte keine Zeit, mich bei ihm zu entschuldigen, denn sechs mit Speeren bewaffnete Männer, die gerade die Taverne betreten hatten, packten Kaspar, Niko, Filip, und Ed‘ am Arm und zerrten sie hinter sich her. Ich stürzte mich sofort auf den, der mir am nächsten stand, doch dieser hielt mich mit seinem Speer auf Abstand. Es hatte keinen Zweck, ich konnte meinen Freunden nicht helfen. Hilflos musste ich mit ansehen, wie die Männer genau so schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren. Meine Freunde hatten sie mitgenommen.
Andere Tavernenbesucher starrten fassungslos in Richtung Tür. Sofort schossen mir viele Fragen durch den Kopf. „Warum erwischt es ausgerechnet meine Freunde? Was haben sie getan, dass die Erwachsenen dermaßen grob zu ihnen werden? Wer sind diese Männer? Und vor allem, wieso passiert dies alles an meinem Geburtstag?“
Neppo tippte mir auf die Schulter, sodass ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich konnte mich vor Angst nicht bewegen. Ja, ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben richtig Angst. Angst selbst Opfer einer Gewalttat zu werden. Ich konnte nur langsam mit dem Kopf nicken, als Neppo beruhigend auf mich einsprach: „Alles wird gut, Junge! Alles wird gut!“
„Was wird jetzt aus meinen Freunden?“, war das Erste, was ich sagte, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
In der Zwischenzeit hatten auch andere, erwachsene Tavernenbesucher das Weite gesucht, denn sie hatten Angst verschleppt zu werden. Das hörte ich aus ihren ängstlichen Schreien heraus. Neppo hingegen blieb ruhig, als wäre nichts geschehen. „Diese Männer gehören sicher zu Lord Fethelin. Sie rekrutieren ständig neue Jugendliche. Entweder als Soldaten oder als Zwangsarbeiter. Das hängt ganz davon ab, wie gut ihre Kondition ist.“
Er sprach es so beiläufig aus, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Er nippte an seinem Bier. Ich hingegen reagierte entsetzt.
„Aber das ist ja schrecklich. Meine armen Freunde. Heißt das etwa, ich werde sie nie wiedersehen?“
„Lass mich erst mal mein Bier austrinken, Junge.
Wir können aktuell nichts für deine Freunde tun. Willst du die Wahrheit hören? In dieser rauen Welt da draußen ist sich jeder selbst der Nächste. Das ist traurig, aber wahr. Ohne einen Plan loszustürmen bringt uns nicht weiter. Merk dir das."
Ich betete zu La’Din, dem Küstengott, er möge meine Freunde vor Unheil beschützen. Als Neppo einen weiteren Schluck getrunken hatte, bewegte er sich. Er räkelte und streckte sich, als hätte er zuvor ein Nickerchen gemacht. Ich verstand nicht, wie Neppo in einer dermaßen unruhigen Situation so gelassen sein konnte. Ich wäre am Liebsten davongerannt, um nach meinen verschleppten Freunden zu suchen. Als ich gerade losstürmen wollte, packte mich Neppo erneut am Arm. „Als Fredrics Enkel müsstest du wissen, dass Eile noch nie geholfen hat, Probleme zu lösen. Was hast du von deinem Großvater gelernt? Geduld scheint es nicht zu sein“, sprach er mich an.
„Du scheinst Opa Fredric aber sehr gut zu kennen, Onkel Neppo“. Bei diesen Worten blickte ich meinem Gesprächspartner tief in die Augen. Er bedankte sich für das nette Kompliment. Er setzte erneut den Bierkrug an seine Lippen und leerte den Rest in einem Zug.
Draußen herrschte Chaos. Das erkannte ich daran, dass mehrere Männer- und Frauenstimmen wild durcheinander schrien. Sie waren nicht zu überhören.
Im nächsten Augenblick duckte sich Neppo zusammen mit mir, denn ein Pfeil bohrte sich nur knapp über unseren Köpfen in einen Holzbalken. Panik stieg in mir auf. Mein Herz raste. Ich wäre am Liebsten davongerannt. Da auch der Schankwirt Hals über Kopf geflüchtet war, waren Neppo und ich die einzigen Gäste, die noch in der Taverne zusammengekauert auf dem Fußboden saßen. Neppo packte mich an der Schulter. Er sprach abermals beruhigend auf mich ein.
„Alles wird gut, Junge. Dessen bin ich mir sicher. Du kennst doch sicher die Rebellentruppe hier an der „Grünen Küste“, oder? Erst vor kurzem haben sich einige Kämpfer zusammen gefunden, die gegen die Herrschaft von Lord Fethelin Widerstand leisten. Ich denke, du bist alt genug, um ein Geheimnis zu erfahren, Luk. Es gibt sie wirklich, die auserwählten Helden. Ich bin nicht ohne Grund nach Yubera gekommen. Ich soll einen mutigen Jungen finden, der ein Nachfahre eines auserwählten Kriegers ist. Er soll auf die Küsten-Akademie gehen und sich dort auf den Kampf gegen Lord Fethelin vorbereiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dieser Junge bist. Denn Fredric war in seiner eigenen Jugend bereits ein auserwählter Krieger. Irrtum ausgeschlossen.“
Ich staunte über Neppos Worte. „Wie bitte? Mein Opa, ein auserwählter Held? Davon hat er mir nie etwas erzählt. Er hat mir in meiner Kindheit viele Geschichten über die auserwählten Helden erzählt, aber dass er selbst einer war, das hat er nie erwähnt.“
Im nächsten Moment musste Neppo lachen.
„Dann weißt du aber sehr wenig von deinem Großvater, Junge. Der gute, alte Fredric. Möge er in Frieden ruhen. Wenn du es nicht weiter erzählst, verrate ich dir noch etwas. Fredric und ich waren damals zusammen im „Küsten-Wüsten-Krieg“. Er hieß deswegen so, weil sich die Küstenbewohner mit den Wüstenbewohnern zerstritten hatten. Es ging so weit, dass die Armee der Gneliater gegen die Streitmacht der Ranta-Kesher gekämpft hat. Weißt du, was das bedeutet?“
„Allerdings. Es kam zum Krieg. Ich kenne diese Geschichte bereits aus dem Unterricht an der Dorfschule. Deswegen sind die Ranta-Kesher aus der Roten Wüste immer noch nicht gut auf uns Küstenbewohner zu sprechen. Aber zurück zu wichtigeren Dingen. Was tun wir jetzt in der Gegenwart? Rausrennen und kämpfen? Oder hast du einen besseren Plan, Neppo?“
„Hast du denn schon Kampferfahrung, Junge?“ Mit diesen Worten räkelte und streckte er sich erneut.
„Meine Freunde und ich trainieren schon eine Weile mit Holzschwertern. Wenn man das Erfahrung nennen kann, dann lautet meine Antwort: Ja.“
Neppo öffnete seinen großen Leinenbeutel. Er warf zu meinem Erstaunen ein längliches Objekt in meine Richtung, das ich geschickt auffing. „Im Gegensatz zu dir bin ich ein alter Mann und nicht mehr der Fitteste auf dem Schlachtfeld. Du hingegen scheinst noch dynamisch zu sein. Geh da raus und kämpfe. Ich werde nachkommen, versprochen. Wir treffen uns in einer Stunde am Küstenfriedhof!“
Ich blickte auf das Schwert, das er mir zugeworfen hatte. In den Griff war ein Runenstein eingearbeitet. Ich erkannte das Zeichen für Mut.
„Das war einst das Schwert deines Großvaters. Ich soll es einem würdigen Kämpfer geben. Ich bin mir sicher, er hätte gewollt, dass du es bekommst. Immerhin bist du sein Nachfahre. Ich glaube, an dich, Junge. Das ist deine Chance es allen zu beweisen!“, kommentierte Neppo.
„Ich soll es einem würdigen Kämpfer geben.“
Diese Worte hatten sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. „Ich und ein würdiger Kämpfer?“, fragte ich mehr an mich selbst als an Neppo gewandt. Dann fiel mir noch ein Satz des Erwachsenen ein. „Ich glaube an dich, Junge!“
Das gab mir tatsächlich den nötigen Mut, um das Schwert fester zu umklammern. „Also gut. Ich gehe jetzt da raus und kämpfe, falls es nötig ist, gegen diese Finsterlinge. Danke, dass du mir Mut machst. Den kann ich gut gebrauchen, um meine Freunde zu retten. Opa Fredric scheint dir blind zu vertrauen, wenn er dir sein Schwert überlässt. Mir hat er nie etwas von einem Schwert erzählt. Und ich bin sein Enkel“, betonte ich. Woraufhin Neppo erneut lachen musste. „Da hast du Recht, Junge. Deinen Kampfgeist hast du definitiv von Fredric geerbt!“
Er klopfte mir noch einmal auf die Schulter.
So eilte ich nun mit einer Waffe in der Hand zu der Stelle, wo die Tür durch das Scheppern aus den Angeln gerissen wurde. Als ich noch einmal auf dem Absatz kehrt machte, um mich von Neppo zu verabschieden, war der Freund meines Großvaters bereits verschwunden. Darüber staunte ich sehr. Nun stellte sich mir eine weitere Frage: „Wie kann Neppo so plötzlich verschwinden, ohne dass jemand etwas davon merkt?“ Aber ich hatte definitiv genug herumgetrödelt. So schwang ich probehalber das Schwert meines Großvaters. „Ich werde euch alle stolz machen“, fügte ich meinen Gedanken hinzu.