Ja, das bin ich. Eine leblose Hülle. Mehr nicht. Momentan zweifeln die Leute in meiner Umgebung diese Tatsache an. Oder sie merken nichts. Einige Wenige wissen genau, was in mir vorgeht. Aber die geben es nicht zu. Ihre Erziehung verbietet es ihnen.
Durch ihr Gesicht muss ich mich täglich aufs Neue quälen. Jede einzelne Pore wird mit einer hellen Masse verstopft. Ohne die Spachtelmasse würde sie niemals das Bad verlassen, selbst dann nicht, wenn das Haus abbrennen würde. Die aufgeblasenen Lippen werden in schrillen Farben angestrichen, in dem Irrglauben, damit von den olympischen Ringen unter ihren Augen ablenken zu können. Statt ihrer Augenbrauen befinden sich über ihren Augen mathematisch exakt gezogene Linien. Sie ist der Ansicht, dass Haare jedweder Art ausschließlich auf den Kopf gehören. In aller Regelmäßigkeit erfreut es sie in höchstem Maße, dass ich kein Shampoo mehr benötige. Entsprechende Bemerkungen bleiben nicht aus. Im gleichen Atemzug fällt ihr dann auf, dass ich ein wenig aus der Form geraten bin. Sie zieht in solchen Momenten immer den Vergleich mit dem Fußball in meiner Körpermitte. Der Bauchnabel sei das Ventil für die Pumpe. Würde ich Ähnliches über ihre Figur sagen …. Nein. Niemals. So mutig bin ich nicht.
Jedes Jahr schleppt sie mich in grausige Büttensitzungen. Witze, die nicht lustig sind. Dennoch. Lachen auf Kommando. Und dann dieser Tusch. Er ist mindestens genauso schrecklich wie ihr Grinsen. Ohne einen Funken Freude verzieht sie gespenstisch den Mund. Dazu klatscht sie in ihre rissigen Hände. Spaß ist anders.
Noch schlimmer als die Narrenhölle sind die Geburtstage ihrer Mutter. Schon allein die telefonischen Einladungen klingen jedes Mal nach Beerdigungskaffee. Wir sitzen in dem kleinen Wohnzimmer und starren uns an. Es ist immer das Gleiche. Nur die Dauer von der Ankunft bis zu ersten Stänkereien variiert von Jahr zu Jahr.
Zu Beginn war alles anders. Da störte mich ihre charakterlose Frisur nicht, die den aufwändig gestylten Kopf ziert, der auf einem üppigen Körper sitzt. Mit ihrem Entengang verschmolzen sämtliche Äußerlichkeiten zu einem mit Leben erfüllten Gesamtkunstwerk. Ich war verliebt.
Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund schuftete ich Tag und Nacht, um ihr sündhaft teuren Schmuck zu Füßen zu legen. Vielleicht hatte ich zu diesem Zeitpunkt insgeheim Hoffnung, mit Gold und Silber ein Stück Glück aufrechtzuerhalten.
Berühmt sein – für eine Viertelstunde? So viel Zeit brauche ich gar nicht. Ruhm interessiert mich sowieso nicht. Ich brauche nur eine Minute. Die kann mir keiner nehmen. Die Uhr tickt. Zum Glück kann ich mir den Gang in den Keller sparen. Der Schraubendreher liegt in der Kommode neben dem Eingang. Das Bad ist gleich nebenan. Die Sonne lächelt durch das kleine Kippfenster. Der Griff an der Wand lässt sich problemlos lockern. Noch zwei Umdrehungen nach links. Das Ticken der Uhr ist Musik in meinen Ohren, 56, 57, 58, tick, die Schmierseife steht bereit und wartet darauf, unauffällig verteilt zu werden. Ein paar Tropfen reichen. Das Wasser wird den Rest von allein erledigen.
Es schlägt zur vollen Stunde. Sie kommt durch den Flur, brüllt: «Was machst du da schon wieder? Komm raus! Los doch! Ich will duschen!»
Tick, tack, tick …
Damals war ich verliebt. Vor wenigen Sekunden habe ich den Grundstein für ihre Verwesung gelegt.