Liebe Forianer,
ich mache mir zurzeit Gedanken über mein erstes Romanprojekt und dachte, dass ich mich nun einfach mal traue, mein Problem hier im Forum zu teilen. Es gehört ja immer etwas Mut dazu, das eigene Geschreibsel aus der Schublade zur Kritik freizugeben, aber ich habe ja gesehen, wie fachkundig und hilfreich hier kommentiert wird, daher bin ich jetzt einfach mal mutig.
Zur Hintergrundinfo: Es gibt zwei miteinander verwobene Ebenen in meinem Roman: die Jetzt-Zeit mit einer erwachsenen Protagonistin und eine Zeitebene der Vergangenheit mit einer (anderen) Protagonistin im Kindesalter. Es war so geplant, dass die Episode aus der Vergangenheit nur am Anfang erscheint, also quasi als Prolog. Möglicherweise arbeite ich die Szenen auch noch so aus, dass sich die Zeitebenen kapitelweise abwechseln, sodass die Vergangenheit mehr Raum bekommt. Das muss ich noch überlegen, ist aber gar nicht die Frage, die mich gerade beschäftigt. Wenn ich mit der Vergangenheit als eine Art Prolog starte, habe ich Sorge, dass die Leser denken, es sei ein Kinderbuch. Ich kriege es irgendwie nicht hin, dass die Szene „erwachsen“ klingt. Um euch einmal einen Eindruck zu geben, kopiere ich mal einen Ausschnitt aus dem Prolog und aus dem 1. Kapitel der Gegenwart herein (ich hoffe, es ist nicht zu lang …).
Ausschnitt aus dem Prolog:
Anna hatte den anderen Kindern im Heim nichts von ihrer Entdeckung erzählt. Es war ihr Geheimnis und sollte es bleiben. In zahllosen Nächten lag sie wach in ihrem Bett und starrte aus dem Fenster heraus. Wenn der Himmel klar war, schien der Mond in ihre Kammer herein und tauchte es in ein milchiges Licht, das ihre Fantasie anregte. Anna stellte sich vor, dass Wesen aus dem nahegelegenen See emporstiegen und in den Himmel flogen. Sie winkten ihr durch das Fenster zu, als wollten sie Anna einladen mitzukommen. So gerne wäre sie mit ihnen fortgeflogen, zumindest mit denjenigen, die freundlich aussahen. Manche jagten ihr Angst ein, weil sie eine tiefe Dunkelheit ausstrahlten. Anna ignorierte den Gedanken, dass alles nur ein Traum war. Welchen Unterschied machte es denn auch? Die Gäste in ihren Träumen waren immer noch besser als die Ungeheuer, die in ihrem jungen Gemüt tobten.
In der Nacht, in der sie den Spiegelboden das erste Mal sah, schien der Vollmond so klar hinein, dass Anna hoffte, von seinem Licht aufgesogen zu werden. Doch stattdessen erblickte sie etwas eigenartig Reflektierendes auf dem Boden. Sie tapste von ihrer Matratze aus dorthin. Anna tastete behutsam über die glatte, kühle Fläche, in der sich das ganze Zimmer zu spiegeln schien. Sie fühlte sich an wie kaltes Wasser und fast war es Anna, als bewege sich die Oberfläche sanft zwischen ihren Fingern hindurch. Vorsichtig prüfte sie, ob ihre Hand nass war, aber sie spürte nur ein leichtes Prickeln auf der Haut. Sie dachte an das Feuer in ihrem Haus. Alle hatten überlebt, aber Anna wäre beinah an dem Rauch erstickt. Eine der Bediensteten wurde entlassen, weil sie einen Fehler bei der Bedienung des Ofens gemacht hatte, weshalb es eine Explosion gab. Nur wenige Monate später brachte man Anna in dieses Heim. Ihre Eltern schämten sich, weil sie ständig ausrastete, auch vor hochrangigen Gästen, mit denen ihr Vater Geschäfte machen wollte. Anna passte nicht ins Bild. Der Spiegel vor ihr passte genauso wenig ins Bild. Sie legte sich mit dem ganzen Körper darüber, genoss die Kälte, die von ihm ausging. Sie hörte ein Flüstern. Oder war es der Schlaf, der sie in sein Land zog? Am nächsten Morgen war sie auf den Holzdielen liegend erwacht und ihre Schulter schmerzte. Bevor die Madame sie so finden würde, huschte sie zurück ins Bett und wartete darauf, dass das allmorgendliche Wecken begann. […]
Das Kapitel aus der Gegenwart beginnt dann wie folgt:
Ich klappte den Laptop zu und schob ihn seufzend von mir weg. Meine Augen waren müde und die Hausarbeit würde ich ohnehin nicht mehr zum Abschluss bringen. Ich lenkte meinen Blick durch das Fenster, in dem sich das Sonnenlicht in tausend Regentropfen brach. Ich stellte mir vor, dass in jedem dieser Tropfen eine eigene kleine Welt war, vielleicht sogar ein Universum. Manchmal kullerte ein Tropfen herunter und riss einen weiteren, vielleicht auch zwei oder drei mit in die Tiefe. War es ihr Ende oder der Anfang einer großen neuen Geschichte? Was, wenn die eine Tropfenwelt die Wunder der anderen Welt sah und feststellte, dass das vermeintlich Wundersame an einem anderen Ort etwas gänzlich Normales war? Würde diese Erkenntnis das Wundersame auf lange Sicht ersticken? Ich musste eine Weile in der Beobachtung der Miniaturwelten versunken gewesen sein, als mir bewusst wurde, welche Rolle ich in dieser Anordnung einnahm. Da wurde mir das Licht zu grell und ich zog die Vorhänge ein Stück zu.
Die Reisetasche stand fertig gepackt im Flur. Alles war für meine Abwesenheit vorbereitet. Die Post wurde umgeleitet, auch wenn ich nur selten welche erhielt. Meine Zimmerpflanzen, nicht viele an der Zahl, hatte ich schon vor einer Weile meiner Nachbarin vermacht. Die ausgeliehenen Bücher hatte ich gestern zur Bibliothek zurückgebracht, dann die Wohnung gründlich geputzt, den Kühlschrank geleert und die elektrischen Geräte vom Strom genommen. Von meinen Habseligkeiten nahm ich nur das Nötigste mit.
Das letzte Mal für eine ganze Zeit fuhr ich in die Klinik. Die Busfahrt dorthin dauerte nicht lange, aber heute gab es einen Unfall und der Verkehr staute sich. Mir war es gleichgültig, da ich nichts anderes mehr vor hatte. Und meinem Bruder würde es ohnehin nicht auffallen, wenn ich nicht zur gewohnten Uhrzeit bei ihm vorbeischaute. […]
So, nun meine Frage: Habt ihr Vorschläge, wie ich es schaffen könnte, dass der erste Teil nicht nach Kinderbuch klingt und klar wird, dass das Buch ein ernstes Thema hat? Oder ist dieser Kontrast der beiden Zeitebenen sowie der Perspektivwechsel generell nicht so zielführend, sodass ich es noch einmal generell überdenken sollte? Ich bin wie gesagt Neuling und über jeden Hinweis dankbar. Die Textteile sind noch nicht überarbeitet und Rohfassung.
Ich freue mich sehr über eure Anregungen.
Viele Grüße
Christina