Ich bin die Muse

„Es ist Zeit für mich zu gehen!“, flüstere ich Manuel ins Ohr.
Ich erkenne es in seinen Augen. Er weiß genau, was ich damit meine, doch er will es nicht wahrhaben. Sie wollen nie verstehen, dass nichts auf dieser Welt von Dauer ist. Auch nicht meine Dienste. Er hat sie lange genug in Anspruch genommen. Ich höre bereits die Rufe der anderen.
„Nein, bitte, bitte bleib! Nur noch eine Weile. Für ein Bild oder eine Ausstellung … Ich kann nicht ohne dich!“
Er bricht ab. Seine Tränen spiegeln seine Verzweiflung wider. Den Menschen etwas zu geben, um es ihnen später wieder wegzunehmen, ist ein harter Job. Ich mache das nicht gern. Doch wenn wir Musen nicht helfen, verfallen sie dem Wahnsinn. Das ist früher öfter passiert.
Van Gogh war so jemand. Der Gedanke daran schmerzt mich noch heute. Ich hätte ihm zu gerne geholfen.
Also bekommen sie ein Geschenk auf Zeit. Inspiration. Es ist erstaunlich, wie ein Hauch davon Menschen verändert. Sie blühen auf, sprühen vor Ideen und gehen die Dinge anders an. Es gibt Menschen, die so viel Potential haben, es aber nicht erfassen können und andere, die einfach nur falsche Entscheidungen treffen. All denen kann ich helfen.
„Mora, bitte!"
Er fleht mich an, während ich meine Sachen packe. So ein Abschied ist jedes Mal schwer. Es wird nie leichter. Sein Gesichtsausdruck verändert sich.
„Was muss ich tun, damit du bei mir bleibst?“, fragt er mit festem Blick.
Manuel wäre ein guter Schauspieler geworden. Aber er hat sich für die Malerei entschieden. Dabei kann er Menschen unglaublich gut hinters Licht führen. Aber für ihre Entscheidungen bin ich nicht verantwortlich. Die müssen sie selbst treffen. Seine Tränen zeigen keine Wirkung, also versucht er es mit verhandeln.
„Was willst du? Was muss ich tun?“
„Du kannst nichts tun. Meine Zeit bei dir ist vorbei.“
Sein langes, wirres Haar fällt ihm ins Gesicht. Er verschränkt die Arme und wandert im Kreis herum. Künstler steigern sich immer furchtbar in alles hinein.
„Und wenn …“
Seine Augen bekommen einen Ausdruck, den ich nicht deuten kann. Mir wird mulmig zu mute, sage aber nichts. Ich beeile mich nur von hier wegzukommen.
„Absolut keine Chance?“, fragt er mit scharfem Ton.
Ich schüttle den Kopf und schließe meinen Koffer. Mein Auftrag hier ist beendet.
„Dann bitte gestatte mir noch dir ein Geschenk zu überreichen. Ich habe es aufgehoben, falls dieser Tag kommen sollte …“
Er schluckt schwer und wendet den Blick ab. Als ich nicke, verschwindet er kurz in seinem Arbeitszimmer und kommt mit geschlossener Faust zurück. Ich habe keine Ahnung, was er mir schenken möchte. Die meisten beschimpfen mich beim Abschied nur, dabei habe ich ihnen so viel gegeben. Menschen werden undankbar, wenn sie zu viel bekommen.
Seine Augenlider flackern. Er scheint nervös.
„Ein letzter Kuss? Du weißt ich muss heute Abend diese verdammte Rede halten und ich bin so unglaublich nervös. Bitte, Mora. Ich flehe dich an!“

Ich weiß, dass ich gehen sollte. So befiehlt es das Gesetz. Nur so ist es sicher für uns. Doch sein Flehen lässt mich zögern. Auch nach all diesen Jahren fällt es mir schwer Grenzen zu setzen. Ich bin zu zart besaitet, zu empathisch sagen meine Geschwister. Aber so bin ich eben.
Vielleicht hat mich die lange Zeit unter den Menschen zu sehr beeinflusst, obwohl meine Geschwister kein Problem damit zu haben scheinen.
„Ein letzter Kuss, Manuel.“, erwidere ich seine Worte.
Wir nähern uns an und ich denke nur daran, dass ich danach nie wieder sein ekelhaftes Parfum riechen muss oder seinen störrischen Bart auf meinen Wangen spüre. Das macht es mir leichter. Manuel nimmt meine Hände in seine und legt sanft seine Lippen auf meine.
Einen Kuss kann man es kaum nennen. Es ist ein leichter Hauch. Lippen auf Lippen. Das genügt.
Von der Muse geküsst und all deine Träume werden wahr, so heißt es doch. Über die Nachteile und Gefahren will nie jemand sprechen.
Noch während ich seinen Mund auf meinem spüre, verändert sich etwas in mir. Ich spüre einen Druck auf meinem Finger und bevor ich reagieren kann, ist da ein scharfer Schmerz.
Ich zucke zurück, bemerke Manuels selbstgefälliges Grinsen. Auf meinem Finger ist ein Ring, den ich nie wieder abnehmen kann. Ein Ring, der mich hier gefangen hält. Für immer.

Der Text ist nur eine Rohfassung- direkt vom Kopf aufs „Papier“ gebracht.
Bin am überlegen einen Roman daraus zu machen …
Freue mich über konstruktive Meinungen!

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Die Muse, von dem Ring bezwungen,
Verstummte schnell und dauerhaft
Und hat nie wieder ihm gesungen.
Weil Zwang keine Erleuchtung
schafft …

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