Heimat auf den zweiten Anlauf

Damals war alles besser <
Diese Legende die von Generation zu Generation weitererzählt wird, ist ebenso alt wie sie falsch ist. Verklärung, Verleugnung, Selbstbetrug, nichts erbt sich hartnäckiger fort als das Märchen von der guten alten Zeit.
An Absurdum gestellt wird diese Behauptung letztendlich oft durch die Darsteller selbst, die an anderer Stelle über ihr eigenes schweres Schicksal klagen.
Nein, jede Zeit hat seine Schicksale. Sie ist geprägt von gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen.

              Das ist Freddys Geschichte ! 

Heimat auf den zweiten Anlauf

Hamburg-Fuhlsbüttel, Frühjahr 80. Diese Ankunft war eine Landung im Ungewissen.
Er wußte nicht ob er Willkommen war und schon gar nicht ob er bleiben durfte.

Fuhlsbüttel ein Flughafen im Grünen, nichts war zu spüren vom Flair einer Großstadt, die Luft war mild und niemand ahnte das der junge Mann der hier stand als würde er auf ein Signal warten, auf der Flucht war.
• Auf der Flucht vor den alten Wahrheiten die sich wie Stacheldraht in sein Fleisch gruben.
• Auf der Flucht vor der Erkenntnis das er sich immer bereitwilliger selbst verriet.
• …und immer häufiger auf der Flucht vor sich selbst.
Ich, wer war das ?
Hier stand er nun, mit seiner abgetragenen Lederjacke, alten Jeans und einer Sporttasche.
Das war alles das er hatte, jeder weitere Gegenstand wäre mit Erinnerungen verbunden gewesen. Aber er wollte sich nicht Erinnern, er wollte vergessen!

Freddy sah sich noch einmal kurz um, dann steuerte er zielstrebig die nächste Haltestelle an.
Jungfernstieg – Hauptbahnhof las er auf der Frontseite des Busses der an diesen Platz zum halten kam. Er stieg ein ohne sich Gedanken zu machen.
Freddy war kein Stadtmensch und schon gar nicht ein Weltbürger, aber er hatte schon Großstädte gesehen. Kalte nackte Mauern, Häuser wie Zinnsoldaten aneinandergereiht, breite nackte Straßen und Menschen die umher irrten als ob sie den Zug versäumt hätten.
Die Türen schlossen sich und der Bus fuhr los.

Der Anblick der sich ihm bot als er am Jungfernstieg den Bus verließ, war durchaus überraschend. Eine Stadt mit diesen mediterranen Charme so hoch im Norden hatte er nicht erwartet. Die Binnenalster streckte ihre Zunge tief in das Herz der Stadt. Auf den Arkaden verweilten Passanten von nah und fern. Die Stadt öffnete sich und lud die Menschen zum verweilen ein.
Der Hafen war ja allseits bekannt, Hans Albers und der Junge von Skt. Pauli dem er seinen Namen verdankte hatten ihn weltbekannt gemacht. Aber ein Binnensee mitten in der Stadt?! Freddy ertappte sich dabei wie er nach den Souvenirläden Ausschau hielt, die sonst solche Orte verunstalteten. Dann stellte er seine Tasche ab und setzte sich auf die Treppe. Er blickte über das ruhige Wasser wie ein Reisender der sein Ziel erreicht hatte.
Freddy atmete die Stadt ein wie Opium, und für einen unendlichen Moment vergaß er, das er ein Fremder war den der Wind des Schicksals hierher getrieben hatte.
Ein Moment der Freiheit.
Ein Moment voller Hoffnung.
Konnte diese Stadt ihm Frieden geben?

Freddy war den ganzen Tag ziellos durch die Stadt gelaufen und als die Nacht ihren Schleier über die Stadt warf , sehnte er sich nach einem weichen Bett. Landungsbrücken,am Stintfang, an einer Stelle an der man eher eine Kirche oder ein Schloss vermutet hätte lud eine Herberge zum verweilen ein. Der Empfangsbereich wirkte etwas sporadisch und erinnerte ein wenig an die Asservatenkammer einer Erziehungsanstalt für Knaben. Ein Eindruck der durch die Gemeinschafts-Unterkünfte und einem de facto öffentlichen Duschbereich nicht gemindert wurde. Aber Freddy war müde, er stellte seine Schuhe unters Bett und schlief auf der Stelle ein. Erst am nächsten Morgen legte er seine Klamotten ab, eine kurze kalte Dusche und ein ausgiebiges Frühstück eröffneten den neuen Tag.
Es war ein Morgen wie es noch viele danach sein würden, in denen er umher irrte wie ein Heimatloser dem Hoffnung, Schmerz und Angst abhanden gekommen waren.
Am Tag tingelte er ziellos durch die Kneipen und Kaffees und Nachts hielt er sich in Discos und Bars an einer einsamen Limo fest.
Es schien fast so, als würde er nur noch auf das finale Ende warten, ja es beinahe herbei sehnen. Aber vielleicht gibt es so etwas wie ein Schicksal, das uns in solchen Momenten einen Schutzengel schickt.
Freddys Schicksal hieß Maria!
Eine Barfrau in den Vierzigern und die Seele eines irischen Pubs.
Sie war die göttliche Fügung die es ihm ermöglichte in dieser Stadt anzukommen!
Zumal Europa damals noch voller Grenzen war und die Robotik der deutschen Bürokratie keine Rücksicht nahm, auf Strandgut wie Freddy.

Sein erster Job im Schattenbereich, genug um zu überleben.
Maria die von nun an ihre Hand wie selbstverständlich schützend über ihn hielt, hatte nichts unversucht gelassen um diesen jungen Obdachlosen hier in ihrem Wirkungsbereich eine Chance zu eröffnen. Stammgäste und Personal kannten ihn mittlerweile und boten im so etwas wie eine Familie. Das er nun auch immer wieder Unterschlupf in fremden Häusern fand, war wie so vieles, auch ihr Verdienst, Sie hatte ihn offensichtlich Adoptiert. Natürlich waren jene Unterkünfte meist ebenso im Schatten des Offiziellen wie sein Aufenthalt hier, aber das war unter den Gegebenheiten der Preis der zu bezahlen war. Denn ohne behördlichen Stempel, war die Aussicht auf eine legale Unterkunft faktisch nicht gegeben. Dafür jedoch bedurfte es eines Jobs, der aber wiederum eine feste Adresse voraussetzte. Bis die Bürokratie aber endlich in gang kam, hatte der potenzielle Arbeitgeber bereits eine andere Lösung gefunden. So schlief Freddy in Hinterhöfen und in Abbruchhäusern die von Halbseidenen Vermietern an Flüchtlinge vermietet wurden. In der Grindelalle, in einem alten jüdischen Viertel stand so ein Haus und er fand eine vorübergehende Bleibe darin.
Es war nicht das Hilton, nicht mal das was man vielleicht als Absteige definieren würde, vielmehr war es ein Notquartier mit Liegen vom Sperrmüll und mit abwechselnder Bewohnerzahl. Aber Freddy hatte keine Wahl, den ohne die nötigen Papiere existierte er einfach nicht!
Aber jetzt wo er so nahe am Abgrund stand, wo die Straße ihm näher war als eine Zukunft –
Er nichts mehr fürchtete, nichts mehr erwartete, jetzt wo die Straße ihm so vertraut war, hier wo alte Wahrheiten nichts galten, wurde Freddy neu geboren.
Er sah Menschen die ihm die Hand entgegen streckten und er sah Menschen die vorbei gingen. Und er begann Sie zu studieren!
Er sah Sie wie er sie noch nie sah. Er sah sie mit dem neugierigen Blick eines Kindes. Da war keiner mehr der seinen Blick verschleierte, keiner der ihm vorgab wohin sich sein Blick richten müsse. Niemand dem er gut sein mußte, da war nur noch Freddy!

Ein Stempel im Pass gewährte ihm einen befristeten Aufenthalt. Eine Stelle in einem namhaften Hotel und ein überteuertes Zimmer in Blankenese das zu besseren Zeiten wohl als Geräteschuppen fungierte erlaubten im zum ersten mal sich als Teil der deutschen Gesellschaft zu sehen. Ein Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank und ein Waschbecken, 300 DM kalt, die alte Hexe die sich als Hausherrin vorstellte, gab es Gratis dazu. Es war nicht viel mehr als nichts, aber es war ein Anfang.
Freddy hatte sich in letzter Zeit mehr und mehr von Maria zurückgezogen. Es war kein Bruch im eigentlichen Sinne sondern ein Loslassen,getragener von der Einsicht das er nur Gast war in ihrer Welt. Er war zu der Überzeugung gekommen das es Zeit war los zu lassen, und Maria flog weiter.

Seither sind viele Jahre ins Land gezogen, Jahre die sich in Freddys Gesicht geschrieben haben. Die Welt von damals ist nur noch Erinnerung. Die Geschichten vergilbt wie Fotos aus vergangenen Zeiten. Eine neue Welt, ein neues Jahrhundert ist geboren, und mit ihm ein neues Abenteuer.

Europa ist jetzt nicht mehr in zwei Blöcke geteilt, und in Berlin ist die Mauer gefallen.
Eine gemeinsame Währung macht Preise Europaweit vergleichbar, und Brüssel macht kriegerische Auseinandersetzungen innerhalb des europäischen Kontinents unwahrscheinlicher. Aber auch ein wiedererstarken nationalistischer Kräfte ist nicht zu verleugnen. Freddy kannte dass, es sind ängstliche, einfache Menschen die sich hinter alten Traditionen verstecken und die nur allzu gerne jenen folgen die ihnen ein Leben nach alten Maß versprechen. Er urteilte nicht über die Ängstlichen die sich hinter Vertrauten vor der Welt verbargen, Freddy kannte diese Welt, war er doch in ihrer Umarmung groß geworden, auch wenn sie seiner Seele nie ein Zuhause gab. Er floh hunderte male bevor er gehen konnte.
Und als er ging betrat er neues Land. Aber all` das liegt weit zurück!
Denn in seiner neuen Heimat war Freddy erwachsen geworden, hier in Hamburg am Tor zur Welt, wo der Fremde kein Feind war und wo auch er einst Menschen fand bei denen er Willkommen war, hier im Venedig des Nordens wo die Fischhändler ihre Ware anboten wie eh und je. Wo der Michel steht als Mahnmal für mehr Toleranz. Hier wo zwischen Tradition und Moderne stets neue Räume entstehen, ist alles Möglich!
Ob Hans Alberts oder die Beatles –
Ob Udo Lindenberg oder Aal-Dieter –
Ob das alte jüdische Viertel am Grindel,
oder der Christopher Street Day, ein muß für jede Weltstadt !
Sie alle geben Hamburg ein Gesicht.
Für Freddy hat dieses Gesicht einen Namen, Maria !

Ende

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Eine sehr gute Beschreibung und Sympathiebekundung. Ich mag deine hinterfragende Art, dich mit Themen auseinanderzusetzen.
Ich hoffe, du findest einen Weg, weniger Fehler in deinen Geschichten zu haben (Kommata, das/dass z.B.). Aber es kommt ja erstmal hauptsächlich auf den Inhalt an. :+1:

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Ich befürchte ganz ohne Fehler wird es nie abgehen bei mir. Ich liebe das Wort, die Grammatik ist die böse Schwester.

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Ganz ohne ist unmöglich, der Weg ist steinig und endet nie. Macht aber nichts, solange man die Füße hebt und nicht stürzt.

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