ich wechsel gern bei jedem Kapitel die Erzählperspektive, manchmal sogar innerhalb der Kapitel (wenn sie länger sind). Ist so etwas überhaupt “erlaubt”, ist das schlechter Stil? Wie empfindet ihr das beim Lesen? Stört es oder macht es die Geschichte erst wirklich interessant, weil sie dadurch von mehreren Seiten durchleuchtet wird?
Ich würde sagen, auch hier gilt ein klares ‘kommt drauf an’.
Ein Wechsel pro Kapitel finde ich an sich in Ordnung, solange nicht zu viele verschiedene Blickwinkel gezeigt werden. Man möchte ja schon zu den jeweiligen Protagonisten eine Beziehung aufbauen und natürlich auch den Überblick behalten; für beides kann ein ständiger Wechsel sehr hinderlich sein. Also unbedingt austesten, ob es wirklich jedes Kapitel sein muss. Auf diese Weise jedesmal einen Cliffhanger finde ich z.B. sehr schnell sehr aufdringlich und auch ziemlich unprofessionell.
Joe Abercrombie macht das in seiner Klingen-Trilogie, da wird die Story im Wechsel aus der Sicht von vier oder fünf verschiedenen Personen erzählt. Allerdings findet der Wechsel nicht bei jedem Kapitel statt. Ist natürlich auch Geschmackssache und nicht jeder mag es, bei ihm finde ich es genial.
Innerhalb eines Kapitels die Erzählperspektive zu wechseln würde ich nur, wenn es dafür wirklich zwingende Gründe gibt, erst recht, wenn du eh schon bei jedem neuen Kapitel wechselst.
Es kann funktionieren, sogar sehr gut, aber es erfordert sicher viel Fingerspitzengefühl, dass man den Überblick behält, es nicht zu chaotisch wird und, vor allem, das Interesse des Lesers aufrechterhalten und fokussiert bleibt.
Erlaubt sei eh Alles, was funktioniert. Wenn du das als Mittel etablierst, es also oft genug einsetzt, wird das auch vom Leser angenommen. Ärgerlich fände ich nur, wenn es z.B. nur einmal im ganzem Buch vorkäme.
Ich möchte es dazu nutzen, die einzelnen Charaktere vorzustellen. Im weiteren Verlauf der Geschichte wäre die Erzählperspektive ein Mittel dazu, die Gefühle der Figuren aus ihrer eigenen Sicht darzustellen. Darüber hinaus möchte ich mich als Autor auch zu den Figuren äußern.
Hallo, @Suse,
ein Kapitel ist m. E. sowieso eine künstliche Einheit eines Romans. Wie definierst Du das? Wo hört eines auf? Wo fängt das nächste Kapitel an? Für mich ist die Grundeinheit einer Erzählung oder eines Romans die Szene, die sich durch einen Spannungsbogen, ein Ziel des Perspektivträgers und einen Konflikt auszeichnet. Am Ende gibt es idealerweise eine neue kleine Katastrophe, die zur nächsten Szene überleitet. Innerhalb einer Szene würde ich die Perspektive nicht wechseln, es sei denn, ich erzähle auktorial. (Das finde ich in Margaret Mitchells “Vom Winde verweht” gut gemacht. Charles Hamilton hält um Scarlet O’Haras Hand an. Er denkt, sie sei ebenso verliebt in ihn wie er in sie und genauso schüchtern. Sie will mit dieser Heirat nur Ashley eins auswischen und Charles’ Miene erinnert sie an ein verendendes Kalb. Von Liebe ist bei ihr keine Spur. Da die Autorin die auktoriale Perspektive nutzt, um die Szene abwechselnd aus ihrer und aus seiner Sicht zu erzählen, gibt es einen schönen Konflikt, der vor allem dem Leser deutlich wird.)
Wenn Du personal erzählst und die Figuren, aus deren Sicht erzählt wird, immer wieder auftauchen lässt, sodass der Leser ihre Perspektive wiedererkennen kann, sehe ich kein Problem. Ken Follett hat in “Nacht über den Wassern” aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt.
Ein Perspektivwechsel, der mir nicht so gut gefallen hat: Jojo Moyes “Ein ganzes halbes Jahr”. Die ganze Zeit wird in der Ich-Perspektive erzählt, was sehr gut funktioniert. Kurz vor dem Ende lässt sie dann noch Wills Familienmitglieder zu Wort kommen und ändert die Perspektive. Das wirkt etwas unausgewogen. Wenn sie das den ganzen Roman über regelmäßig abgewechselt hätte, wäre es o.k. gewesen, obwohl mir eine reine Ich-Erzählung noch besser gefallen hätte.
Ich nutze in meinem aktuellen Projekt auch fünf Perspektiven, die sich immer wieder abwechseln. Ich habe lange herumgepusselt, um festzulegen, wie viele Perspektiven ich wenigstens brauche, um alle Bereiche des Romans erzählen zu können, denn nicht immer ist der Protagonist überall zugegen. Ich wollte anfangs nur drei Perspektiven haben, aber es funktioniert nicht. Viele Entwicklungen könnte ich nicht zeigen und der Leser würde aus dem Nichts heraus mit Entscheidungen konfrontiert, die er nicht miterleben konnte. Ich glaube, mit den fünf Perspektiven komme ich ganz gut klar. Aber ich glaube, fünf ist auch das Maximum, das ich in einem Roman verwenden würde. Sonst wird es zu unübersichtlich. Einige meiner Szenen werde ich nur als Geistertext schreiben, damit ich weiß, was da passiert und es dem Leser an passender Stelle auf andere Weise vermitteln kann.
Ich lese gerade endlich mal den 1000-Seiten-Roman “Limit” von Frank Schätzing (2009), und da wird die Perspektive gefühlt von Szene zu Szene gewechselt, aber es funktioniert (meistens), ohne auf Kosten des Überblicks zu gehen. Und es muss auch funktionieren, von Kapitel zu Kapitel sowieso, weil der Handlungsort dauernd wechselt: China, Amerika, Mond, Europa usw. … Außerdem sterben dauernd Leute, deren Perspektive dann “natürlich” erlischt … Und es erhöht auch die Dynamik, wenn man nolens volens wechselweise mal in der einen, mal in der anderen, in einer dritten und dann wieder in der ersten Figur “drinsteckt”.
Ich glaube, Waldfried hat’s hier auf den Punkt gebracht. Je eher man den Leser “mitnimmt” und er versteht, was man will, desto mehr kann man sich Abweichungen vom Standard erlauben.
Stephen King sagt, man muss die Bilder im Autoren-Kopf möglichst 1:1 in den Leser bringen. Schaffst Du das, kannst Du Dir viel erlauben, wenn der Leser es denn nur versteht und nicht verwirrt zurückbleibt.