Hallo ihr Lieben,
ich habe im Rahmen eines Schreibtrainings eine ganz kurze Geschichte geschrieben und würde mich über eure Gedanken und euer Feedback dazu freuen.
LG Das Mohnblumenmädchen
Hannah stand am Spülbecken und presste die Hand an den Mund. Jetzt bloß nicht kotzen, nicht vor ihr …
Hildes Schnapsgestank verschlug Hannah den Atem.
»Los, mach schon. Wasch ab!«, lallte Hilde dicht neben ihr.
Hannah riss sich zusammen. Ihre Hände griffen mechanisch zur Spülbürste. Sie spülte und bürstete und ertrug ihre Mutter.
»Hier du kleine Schlampe, hier hängt noch was dran!« Hilde deutete auf etwas Klebriges und warf die Kaffeetasse ins Spülbecken zurück. Eine derbe Kopfnuss landete an Hannahs Kopf. Hildes unnachgiebige Fingerknöchel bohrten sich zuerst in ihr Hirn und schließlich in ihr Herz.
Stocksteif steckten Hannahs Arme im Spülwasser. Das Geschirr verschwamm vor ihren Augen. Zitternd drehte sie sich zu Hilde hin. Dunkle Wut kroch Zentimeter für Zentimeter durch den Bauch in ihr Herz und in ihr Hirn.
Hannah sah die Frau an, der sie dieses Leben verdankte. Sie schob ihr Gesicht dicht vor das ihrer Mutter. Der Gestank nach Schnaps machte ihr in diesem Moment nichts mehr aus. Ihr Brustkorb schwoll an und die Wut auf all die Grobheiten und Verletzungen fuhr mit einem ohrenbetäubenden Schrei aus ihr heraus.
Hilde taumelte rückwärts und presste die Hände an den Kopf.
»Hör doch auf, du dummes Luder!«, stammelte sie.
Hannah stürmte aus der Küche, die Treppe nach oben in ihr Zimmer. Die Tür flog mit einem Knall ins Schloss. Sie zerrte ihre Reisetasche unter dem Bett hervor, stopfte ein paar Sachen hinein und rannte aus dem Haus.
Am Bahnhof schoben sich viele Menschen durch die Gänge. Ein Zug nach Paris stand zur Abfahrt bereit. Hannah hastete die Treppen nach oben und sprang in letzter Sekunde in den Zug.
Felder, Wald und üppige Wiesen rasten in der Abenddämmerung an ihr vorüber. Jeder Kilometer mehr zwischen ihr und dem Haus lockerte ihre Gesichtszüge auf. Das Lächeln der Frau gegenüber legte sich wie Balsam auf ihre Seele.
Allmählich schuckelte der Zug Hannah in den Schlaf. Immer tiefer sank sie in die Welt der Träume.
Ein Ruf zerrte sie in den Zug zurück.
»Wo sind wir?«, fragte sie verschlafen.
Die Frau antwortete nicht. Auf dem Platz gegenüber saß jemand anderes. Ein Mann im zitronengelben Mantel, den Hut tief ins Gesicht gezogen.
Der Zug hielt. Der Mann schaute sie durchdringend an. Hannah schnappte ihre Reisetasche und verließ das Abteil. Die Menschen im Gang schwiegen und starrten auf sie. Alle trugen den gleichen zitronengelben Mantel. Hannah zog ihre Tasche dicht an den Körper. Von draußen ertönte der Pfiff des Schaffners. Sie stürmte zur Tür und sprang aus dem Zug.
Grelles Licht fiel durch ein Glasdach. Hannah beobachtete die Menschen. Alle trugen einen zitronengelben Mantel. Keiner redete. Jeder sah sie an. Ein klappriger, uralter Mann kam auf sie zu. Er trug als Einziger einen weißen Mantel. Sein hellgrauer, klarer Blick heftete sich an ihren Augen fest.
»Kehr um, geh nach Hause. Dies hier ist noch nicht der richtige Ort für dich!«, sprach er zu ihr.
»Wieso?«, fragte Hannah.
»Du musst dich deinen Dämonen stellen, und zwar dort, wo sie dich immer wieder packen!«
Hannahs Herz machte einen Satz, es klopfte bis in ihren Kopf hinein. »Du musst nach Hause«, rief es eindringlich. »Du musst sie anzeigen!«
Hannah sackte zusammen.
»Niemals! Niemals gehe ich zurück in dieses Haus!«, schrie es in ihrem Kopf.
»Du kannst sie besiegen!«, antwortete ihr Herz. »Du brauchst nicht in das Haus zurück. Du musst sie einfach nur anzeigen!«
Der alte Mann reichte Hannah die Hand.
»Steig wieder ein!«, ermutigte er sie.
Jemand rüttelte an ihrem Knie.
»He, hallo! Wir sind gleich da!« Die junge Frau lächelte sie an. Hannah blickte vom Fenster aus auf den Eiffelturm.