Handwerkskunst oder Kunst?

Hallo in die Runde. Ich habe gerade den Chat komplett verfolgt, der mit der Kritik an Zeitformen und mehr am 22.03. an dieser Stelle startete. Eine Debatte über berechtigte Kritik, Können, Kreativität und Bewertung schriftstellerischer Leistungen. Ich will jetzt gar nicht sagen, wessen Standpunkt ich richtig oder als nicht richtig empfinde. Aber die folgenden Gedanken möchte ich mit euch teilen. Ich gebe zu, ich bin selbst noch zu keinem Schluss gekommen. Also: Wir schreiben in diesem Forum häufig über das „Handwerk“, das zu lernen ist. Wesentliches Know-How. Perspektive, Zeitformen, Show-don´t tell, Rückblenden ja oder nein und so weiter müssen beherrscht werden, damit das Werk mindestens gut ist. Jetzt überlege ich: Klar, ein Handwerker muss die Basics draufhaben. Ein Tischler sollte einen Tisch so bauen, dass er nicht wackelt, die Tischplatte keine Splitter in die Hand sticht und mehr. Ein Künstler kann einen Tisch megaschief bauen, vom Goldenen Schnitt abweichen, das Holz unbehandelt lassen und mehr. Das Werk symbolisiert dann in der Wertung vieler kunstambitionierter Betrachter möglicherweise, dass im Leben nichts nach festen Mustern planbar ist, Gefahren lauern, alles ins Rutschen geraten kann oder ähnlich und wird evtl. gefeiert. Ich komme zum Punkt: Sprechen wir bei Schriftstellerei von Handwerk oder von Kunst? Handwerk? Dann ist die Sache klar, von Grammatik bis Perspektive. Kunst? Dann müsste die künstlerische Freiheit doch alles zulassen, was dem Leser die Botschaft vermittelt, mit welchen Stilmitteln auch immer. Hauptsache wäre dann, dass Leser den Text und seine Bedeutung lieben. Wenn ich meine Texte prüfe, neige ich zum Handwerk und überarbeitete und überarbeite, bis möglichst nichts mehr wackelt. Wie seht ihr das und euch? - Das interessiert mich. Euch hoffentlich diese Gedanken.

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Das finde ich auch. Die Frage ist, wo hören Stilmittel auf und wo beginnt der Text zu „verraten“, ob der Handwerker ein schlechter Handwerker ist oder ein Künstler?
Ich bringe bei solchen Debatten gern das Beispiel an, dass man darüber streiten kann, ob ein Pulli blau, grün oder türkis ist. Der blau-grün-oder-türkise Pulli ist jedoch in keinem Fall schwarz.
Und wenn jemand das Wort „blau“ so schreibt: „blauh“ oder „plauh“, dann ist das zu 99 % kein Stilmittel sondern eine Unkenntnis der Rechtschreibung, es sei denn, ich möchte, insbesondere im Beispiel mit dem plauhen Wort auf eine Sprachstörung einer Figur hinweisen.

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Es sollte so lange Handwerk bleiben, bis man versteht, was es von Kunst unterscheidet. Und dann wählt man (bewusst), was man machen will.
Beim Schreiben stellt sich zudem die einfache Frage, ob man denn vielfach gelesen werden will (dann bitte Handwerk beibehalten - zumindest, bis man Weltruhm erreicht) - oder, ob das unwichtig ist, weil die Kunst sich selbst genügt.

Leider wird das Etikett Kunst viel zu oft und voreilig auf „Werke“ geklatscht, um handwerkliche Defizite zu verhüllen. Der Konsument ist dann im Zweifel eben nur zu doof, um das Genie zu verstehen … Schnarch.

PS: Nur für den Fall der Fälle → Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Einschätzung und Wahrnehmung der Dinge. Alleine der Begriff Kunst ist ja auch schon schwierig.
Je nach Kontext würde ich auch eifrig zustimmen wollen, dass gutes Handwerk bereits Kunst seien mag.

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Der Gedanke bringt schön beide Aspekte zusammen. So ist das wohl.

Handwerkskunst oder Kunst? Da würde ich sagen Kunsthandwerk.

Guck einfach auf die Rezensionen, wenn viele Fünfer- und Einerbewertungen dabei sind, ist es künstlerisch wertvoll. Wenn es nur Fünferbewertungen hat, ist es Schund, weil nur Buddys es bewerten. Wenn es alle Bewertungen hat, dann weiß man, dass man gut war. Hat man insgesamt nur drei Bewertungen, hat es keiner gelesen außer der Familie.

Hab ich auch. Trotzdem war es niemand aus der Familie. Entweder lesen die nicht, sind bereits verstorben oder haben keine Affinität zum Internet.

Das Handwerk ist das Fundament, auf dem die Kunst entstehen kann.
Was nutzt dir ein endgeil designtes Auto, wenn es nicht fährt? Karosserie, Räder und Motor müssen funktionieren.

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Man kann es ansehen und bewundern. Wenn eine Geschichte inhaltliche Schwächen aufweist, kann sie dennoch unterhaltsam sein. Im Gruselgenre ist das weit verbreitet, behaupte ich. Sind z. B. Grammatikfehler drin, stört das zwar, der Eine oder Andere mag sich dennoch fürchten.

Das ist aber nicht der Zweck eines Autos. Man kann natürlich ein schlechtes Buch immer noch nehmen, um wackelnde Tische auszugleichen, wäre in etwa die gleiche Argumentation.

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Hast Recht.

In erster Linie von Handwerk. Ein Schriftsteller verfasst (meist erzählende) Texte auf Grundlage von Regelwerken. Weshalb nach meinem Verständnis die meisten Schriftsteller schreibende Erzähler sind. Dabei mag mitunter Kunst entstehen - wobei ich nicht wüsste, wer das nach welchen Kriterien entscheiden sollte (außer jeder für sich selbst).

Gruß,
misc

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Grammatikregeln, Duden, etc. oder meinst du damit Schreibratgeber? Davon habe ich noch nie einen gelesen und werde das vermutlich auch nie machen. Texte schreibe ich dennoch. Ob sie gut sind? Einige ja, andere nicht.

Eine gute Frage, aber eine, die nicht leicht zu beantworten ist: Der kleinste gemeinsame Nenner wären sicherlich die Grammatikregeln - aber sogar da gibt es Schreibende, die sie nicht beherrschen oder bewusst brechen. Manche erweitern sie um Regeln aus Schreibratgebern, etwa: „Mein Fantasyroman muss alle Stationen der campell’schen Hedenreise enthalten, sonst kann das nichts werden!“ oder „Ich muss, muss, muss show, don’t tell schreiben“. Was dann oft nicht funktioniert, weil viele das mit „Zeigen, nicht erzählen“ übersetzen. „Handlung statt Erklärung“ wäre sinnvoller.

Was ich damit sagen will: Jeder baut sich sein eigenes Instrumentarium.
Womit wir bei den Schreibratgebern wären. Sie können durchaus helfen, dieses Instrumentarium zu erweitern. Manchmal ist es schon interessant zu lesen, worüber sich manche Ratgeber den Kopf zerbrechen. Welchen Schuh man sich dann anzieht, welcher Technik man etwas abgewinnen kann, das bleibt einem selbst überlassen.
Allerdings sind Schreibratgeber en masse genossen eher verwirrend, weil man am Ende gar nicht weiß, wie man das alles in einem eigenen Text berücksichtigen soll - und ganz vergisst, dass man das überhaupt nicht muss.

Falls Du doch mal in einen reinschauen möchtest, hier ein paar, aus denen ich etwas für mich mitnehmen konnte:

  • Sol Stein: Über das Schreiben (Ein Klassiker des Genres)
  • Hans Peter Roentgen: Spannung - der Unterleib der Literatur (gut und vor allem anhand von Beispielen erklärt)
  • Stephen King: Das Leben und das Schreiben (anekdotisch und oft selbstreflektierend von einem, der erzählen kann)
  • George Saunders: Bei Regen in einem Teich schwimmen (weniger ein Schreibratgeber als eine „wie haben die das bloß gemacht?“-Analyse russischer Kurzgeschichten)

Gruß,
misc

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Ist immer wieder eine echt gute Frage.

Ich würde aber vermuten, dass dieser Künstler sehr wohl weiß, wie man einen funktionsfähigen Tisch baut. Sein ‚Kunstwerk‘ würde ja auch nicht als Tisch dienen, sondern als Objekt ausgestellt und vielleicht sogar bewundert werden.
(Bei solchen Sachen drängt sich bei mir dann gerne ein des-Kaisers-neue-Kleider - Verdacht auf.)

Ich meine, dass Kunst ohne Können, also ohne das Handwerk, nicht möglich ist. Egal, ob man es mühselig gelernt hat oder einem in die Wiege gelegt worden ist, wenn man nicht weiß, was man tut, wirds keine Kunst.

Kunst ist womöglich auch etwas, was nicht so ohne weiteres reproduzierbar ist und was bei allem Können auch nicht jeder zustande bringt. Dafür brauchts den berühmten ‚göttlichen Funken‘ das Quäntchen mehr an Talent, was nicht lernbar ist und einen Künstler auch vom allerbesten Handwerker noch unterscheidet.

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Schön und treffend gesagt.
Ich lasse den Kunstbegriff bei der Beurteilung von Texten ohnehin lieber weg und halte mich an das klassische deutsche Ausbildungssystem: Lehrling, Geselle, Meister. Jedenfalls sind mir - besonders in der Belletristik - schon weit mehr meisterhaft geschriebene Bücher untergekommen als künstlerisch wertvolle … :wink:

Gruß,
misc

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Diesen Satz finde ich nun wiederum klasse ausgedrückt.

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Der Satz gefällt mir auch sehr. Ich nehme jetzt für mich mit, möglichst meisterhaft schreiben zu lernen, was ja wiederum eine Kunst wäre.

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lach womit sich die Katze mal wieder in den Schwanz beißt.

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Für mich ist Schriftstellerei ein Mix aus Handwerk und Kunst. Da ist einmal die Sprache und andererseits, die Fantasie.
Lyrikfan11

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„Nur der Meister bricht die Regeln.“ Das war das erste, was mir als Buchdruckerlehrling eingetrichtert wurde.

Picasso war ein Meister der klassischen Malerei, von der aus er dann allmählich zu seinem – damals revolutionären eigenen Ausdruck fand. Die Bilder seiner „blauen Phase“ galten zur Zeit ihrer Entstehung übrigens als „unverkäuflich“. Diese Phase war aber wichtig, um sich aus den handwerklichen Zwängen zu lösen.

Das Handwerk ist die Basis. Man kann auch ohne „gut“ werden – das hoffe ich zumindest. Aber die Chance, ein Meisterwerk zu schaffen, ist sehr gering, wenn man das Handwerk nicht beherrscht. Aber man kann alles lernen. Es dauert nur seine Zeit, in der sich Phasen des Selbstzweifels und der Selbstüberschätzung abwechseln.

Ich strebe nicht danach, „ein“ Meiterwerk zu schaffen. Aber mit jeden neuen Manuskript hoffe ich, „mein“ Meisterwerk zu schreiben. Immer wieder.

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