Liebe Krimitante,
ich muß gestehen, daß ich zwar einige Romane McEwans gelesen habe, mir von den meisten allerdings nur noch Vages vor Augen steht. Will sagen: Von den zwei genannten abgesehen haben sich wenig bleibende Eindrücke bei mir erhalten. Anführen könnte ich noch Liebeswahn und Kindeswohl, die mir als sehr gern gelesen erinnerlich geblieben sind (v.a. das letztgenannte Buch hat schon Eindruck auf mich gemacht), aber detailiert bzgl. des hiesigen Themas könnte ich jetzt nicht viel dazu sagen. Bei Abbitte ist das anders.
Da komme ich nicht ganz mit: Ob Rückblenden eingesetzt werden (oder nicht), hängt – irreduzibel, will mir scheinen – an der “Logik der Story” (i.S. des Zusammenspiels von Inhalt und Form), aber doch nicht daran, ob “es einem gefällt” (oder nicht). D.h.: Es gibt jede Menge Stoff im Möglichkeitsraum des Erzählens, bei der ein Einsatz von Rückblenden schlicht und ergreifend unabdingbar ist. Und mithin, so sehe ich das, ist die Frage nicht das ‘Ob’, sondern natürlich das jeweilige ‘Wie’!
Im Angesicht der unleugbaren Tatsache, daß Rückblenden seit “Erfindung der Literatur” ein probates Mittel des Erzählens sind, wiederhole ich meine hier inzwischen schon öfters gestellte Frage, worauf es eigentlich führen soll, wenn sie von einigen Forenteilnehmern immer wieder in Frage gestellt bzw. mit vermeintlichen (offenbar unsagbar schnell aufpoppenden, angeblich leserverwirrenden und storyzerstörerischen) Gefahren versehen werden. Um es mal ganz frei raus zu sagen: Ich halte das für groben Unsinn! Was wäre denn ein konkretes Beispiel für all dies angeblich Dräuende? – Mir fällt da nichts ein …
Und wem es um die Brechung des Erzählflusses (als vermeintlicher Gefahr) geht: Wo steht denn geschrieben – oder an welchen konkreten lit. Werken ließe sich zeigen --, daß ihnen solche Brechungen zum Nachteil gereichen? Schließlich steht dem folgender Einwand gegenüber: Ein einsträngig-lineares Erzählen ohne Brechungen, Rück- und/oder Vorgriffe, könnte ja ob seiner Eindimensionalität in diversen Hinsichtnahmen (Temporalität, Kausalketten usw.) ziemlich tröge, um nicht zu sagen: todlangweilig und öde sein! Wer will denn so etwas lesen?
Ich führe mal ein konkretes Bsp. an: Etliche Krimis von Fred Vargas leben geradezu davon, daß zur Annäherung an die Lösung des Falls auf länger zurückliegende Vorgänge rekurriert wird (tlw. wickelt sie das ja bekanntlich auch durch Involvierung des Lebensweges von Mitgliedern des Ermittlerteams ab). Da ich der Ansicht bin, daß Fred Vargas zwar sehr gut im Konstruieren spannender Stories ist, bzgl. ihres formalen Schreibvermögens aber gewisse Schwächen zu konstatieren sind (es mag sein, daß ein Teil auch aufs Konto der Übersetzer geht [aber sicher nicht total]), würde bei ihr eine einsträngige Erzählweise m.E. verheerende Folgen haben: nämlich namenlose Ödnis. – D.h. andersherum: Ihre Art, die manchmal etwas … ähm … “sehr simple” sprachlich-formale Erzählweise immer wieder durch Rückgriffe zu brechen, gereicht ihr sehr zum Vorteil, weil sie damit die Spannung immer wieder anheizt, wodurch mancher sprachlicher Mangel geradezu mühelos ausgeglichen wird. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie derart erfolgreich gewesen wäre (habe lange nichts Neues mehr von ihr gesehen), wie sie’s war, wenn sie dieses Verfahren nicht angewandt hätte.
Gruß von Palinurus