Ich hab fast immer das Problem, dass meine Handlung sehr schnell abläuft. Das war auch ein Kritikpunkt bei meinem letzten Buch. Im aktuellen Manuskript passiert es mir schon wieder. Ursache ist wohl, dass ich zumindest im Rohentwurf alles weglasse, was nicht der Handlung dient. Lange Beschreibungen sind nicht so mein Ding, und inmitten einer Aktion-Szene sicher auch nicht so toll. Andererseits ist die Szene und damit die (“lokale”) Spannung zu schnell vorbei.
Weiterer Effekt: das Gesamtwerk wird kurz (vielleicht 300 Seiten) und die Handlung manchmal zu gehetzt.
Gibt es irgendwelche Tipps von euch, wie man die Geschwindigkeit rausnimmt?
Ich würde es mit einem Wechsel probieren. Bei zu lange anhaltendem Tempo merkt man das Tempo irgendwann nicht mehr, es wird normal. Ein Auf und Ab kann da bestimmt helfen. Langsame spielende Szenen müssen ja nicht langweilig sein.
Ein Action-Pärchen, das sich in ruhigen Szenen näherkommt.
Jemand durchsucht eine Wohnung, von der der Leser weiß, dass der Besitzer jeden Moment nach Hause kommt.
Es kann helfen, sich gedanklich und konzeptionell vollständig von der Handlung/Beschreibung-Dichotomie zu lösen und statt dessen jede Szene in »Schichten« zu denken. Solche „Layering“ oder „Deepening“-Techniken haben ihren Ursprung im Screenwriting, aber mir ist bislang noch kein Grund begegnet, sie nicht auch auf »Szenen« in Kurzprosa oder Romanen anzuwenden. Alles, was sonst, und dabei recht diffus, unter »Handlung« oder »Beschreibung« fällt, wird dabei aufgelöst in funktionelle Einheiten (z. B. in Thema, Charakter, Beziehungen, Szene und Plot, aber es gibt natürlich auch alternative Kategoriesysteme) mit dem Ziel, die Geschichte mit jeder Szene auf möglichst vielen Schichten gleichzeitig voranzutreiben.
Dabei hätte (für das genannte Kategorienbeispiel) jede Szene statt Handlung, Beschreibung o. ä. folgende Funktionen:
Thematische Vertiefung (das übergreifende »Thema« der Geschichte mit neuen Akzenten/Perspektiven anreichern)
Beziehungsvertiefung (Dynamik der Charaktere zueinander)
Szenenvertiefung (stärkere Wirkung auf den Leser, Emotionen hervorrufen, Bilder evozieren)
Plotvertiefung (dramaturgische Elemente wie Rückgriff, Foreshadowing, Wendepunkte, Eskalationstechniken usw.)
Ob eine Szene dabei aus wilden Verfolgungsjagden mit Helikoptern besteht oder die Protagonistin in einer einsamen Waldhütte aus dem Fenster starrt, wird dabei (fast) nebensächlich genau dann, wenn Spannung nicht allein und nicht direkt über generelles Tempo bzw. Action erzeugt wird, sondern über die Dichte und dramaturgische Technik (jede dieser Funktionen »treibt voran« in diesem Sinne) und den Action-Szenen als zentralem dramaturgischen Bestandteil.
Das ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, längere Bücher zu schreiben . Aber bei immer wiederkehrenden Dissonanzen liegt das Hauptproblem oft weniger an der Ausführung bzw. daran, wie man arbeitet, sondern an den Parametern, mit denen man arbeitet.
eine herrliche Idee, der ich schon seit Jahren fröne. Inzwischen habe ich ein Buch von weit über hundert Seiten zu allen für mich wichtigen Bereichen, auch Schreibtechnik. Damals hatte mich Dr. Ankowitschs „Kleines Universal-Handbuch“ dazu inspiriert, eine eigene Sammlung zu beginnen.
Für Deine Sammlung:
Zeit-Lupe: Was gut verlangsamt, ist - änhlich wie mit einem optischen Zoom in einem Übersichtsbild - eine kleine Zeitlupe einzubauen in einen laufenden Handlungsprozess. Auf eine charakteristische Eigenart oder eine Besonderheit, eine Erinnerung die in diesem Aktionmoment aufkommt oder „Rückbesinnung“ auf den eigentlichen Plan, der im Gedränge aus dem Blick verschwunden ist … und so was. Das kann man gut dosieren.
Möglicherweise hat das der J. Martin schon in seinen „Vertiefungen“ mit angesprochen. (Eine echte Bereicherung, so ein Fachmann! ) Aber das Bild mit dem Zoom und der Zeitlupe ist ganz griffig.