*Dieser Text entstand als Ergebnis einer Schreibübung, bei der einer (selbst gewählten) Farbe zentrale Bedeutung gegeben werden sollte.
Meine Farbe: RGB(251,225,91) *
Ich erwachte und mein Blick fiel aus einem Fenster, das ich nicht kannte. Außer grauen Wolken war nichts zu sehen. Also wälzte ich mich auf die andere Seite. Die weiß gestrichene Wand auf dieser Seite es Zimmers war so nah, dass ich die Fugen zwischen den Mauersteinen sehen konnte. Etwa auf meiner Höhe befand sich ein gelber Streifen. Ein von düsteren Wolken verdunkeltes Sonnengelb, das in diesem Licht betrachtet aussah, als hätte der Maler oberhalb des Handlaufs einen gut dreißig Zentimeter breiten Streifen mit Popel oder Eiter gestrichen. Psychiatriegelb eben. Ich streckte die Hand danach aus, aber es fehlten ein oder zwei Fingerbreit. Dennoch meinte ich, eine Wärme zu spüren, die von diesem einsamen Streifen ausging. Von dieser bahnbrechenden Entdeckung erschöpft döste ich wieder ein.
Es klopfte an der Tür und ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, betrat jemand zügigen Quietscheschrittes den Raum. Eine Krankenschwester. War es also wieder so weit.
»Herr Hirte, wir brauchen von Ihnen noch UK. Beim letzten Mal hat es ja nicht geklappt.« Sie stellte mir einen Becher für die Urinprobe auf den Nachttisch.
»Die Gelegenheit ist günstig«, murmelte ich, »ist gerade im Angebot.« Vorsichtig setzte ich mich auf und tapste mit ihrer Unterstützung ins Bad. Sie stand Schmiere, während ich mich erleichterte. Goldgelb war anders, aber schlimmer hatte es auch schon ausgesehen. Artig gab ich den Becher ab und ließ mich wieder ins Bett bugsieren.
Ich nickte zur Wand hin. »Schwester, warum isn das da so gelb?«
»Gelb macht sonnige Gefühle!« Damit quietschte sie von dannen.
Mittlerweile schien die Sonne ins Zimmer. In diesem Licht betrachtet sah der Streifen sonnengelb aus. Ich fixierte ihn, bis mir die Augen wieder zufielen.
Zum Mittagessen wurde ich von einem Pfleger geweckt, der mir ein Tablett brachte. »Haben Sie inzwischen mehr getrunken, Herr Hirte?«
»Ich habe mir gestern alle Mühe gegeben, genug zu trinken«, witzelte ich.
Er sah mich streng an.
Ich wich seinem Blick aus. »Lassen Sie mir meinen Humor, sonst bin ich gleich morgen wieder weg.«
»Das ist ihre Entscheidung. Guten Appetit dann.«
Ich war wieder allein mit dem gelben Streifen.
Mein Streifen, wie ich ihn bald nannte, begleitete mich in meinen dunkelsten Stunden. Nachts, wenn ich wach lag und niemanden stören wollte, war er für mich da. Ich schaltete das Licht an und sah dieses friedliche Gelb an, minuten- oder stundenlang. Zweifelte ich an der Sinnhaftigkeit meines Entzugs, leuchtete es mir den Weg in die Enthaltsamkeit.
Fünf Wochen später verließ ich die Entgiftung und galt offiziell wieder als trocken. Ich verabschiedete mich von meinen Mitpatienten mit dem üblichen »Auf gute 24 Stunden!« und war wieder ein freier Mann.
Um mein neues Leben zu feiern, ging ich zum Friseur und fühlte mich seit Langem wieder wie ein Mensch. Um dieses Gefühl richtig auszukosten, schlenderte ich an der Alster entlang und als es zu nieseln begann, kehrte ich am Jungfernstieg in eine der Boutiquen ein. Natürlich hatte ich keinerlei Kaufabsicht, höchstens einen leisen Wunsch, mich für meine Enthaltsamkeit zu belohnen. An einer Schaufensterpuppe vor den Rolltreppen sah ich ihn: Einen Anzug in genau meinem Gelb, das mich durch diese harte Zeit begleitet hatte. Laut Preisschild: kanariengelb. Es war mir egal, ob meine Kumpels mich darin auslachen würden. Es war mir egal, ob er mir überhaupt noch passen würde, wenn ich eine Gelegenheit fand, ihn zu tragen. Auch die 350 Euro waren mir egal – ich musste ihn einfach haben, so wie Dumbo seine Feder brauchte. Das Geld würde ich schon an Alkohol wieder einsparen. Und das in erschreckend kurzer Zeit.
Drei Jahre später hing der Anzug immer noch ungetragen im Schrank. Und ich war immer noch trocken. Auf gute 24 Stunden.