Aw: Gedanken beschreiben
Hallo,
zu diesem Thema habe ich mir für meine Schreibe vor einiger Zeit auch auch Gedanken gemacht [sic] und für mich einige Regeln aufgestellt, wie ich das handhaben möchte. Dabei habe ich den Begriff des Mikro-Perspektivwechsels geprägt für den Fall, dass man erlebte Gedanken wiedergeben möchte, im Unterschied zu erzählten Gedanken. Mikro-Perspektivwechsel sind für mich solche, wo zwar dieselbe Figur im Erzählfokus bleibt, aber die „Kameraposition“ wechselt (der Leser erfährt die Gedanken nicht nur sondern denkt sie quasi selbst). Um den Leser wegen des zwar geringen, aber eben doch spürbaren (Mikro-)Perspektivwechsels nicht zu verwirren, benutze ich Kursivschrift in diesen besonderen Fällen zur optischen Abgrenzung, so wie ich auch echte Perspektivwechsel (Figur wechselt) optisch mindestens durch eine neue Szene (besser sogar ein neues Kapitel) deutlich machen würde. Vielleicht interessiert es ja auch andere, daher kopiere ich meine gefundenen Weisheiten einfach mal in diesen Beitrag. Ja, ich weiß: TL;DR
**Regeln: **
Perspektivwechsel innerhalb einer Szene (d.h. von einer Figur zur anderen) machen*] Mikro-Perspektivwechsel sind dagegen erlaubt für die Wiedergabe von erlebten Gedanken (d.h. man behält den Erzählfokus auf ein- und derselben Figur bei, aber die „Kamera“ wechselt die Position. Entweder von Außensicht auf Innensicht (3. Person, Zeitform beliebig → 1. Person, Zeitform immer Gegenwart oder von Innensicht (1. Person, Zeitform beliebig) auf erlebte Innensicht (1. Person, Zeitform immer Gegenwart, ähnlich Bewusstseinsstrom)] Da bei Mikroperspektivwechseln die Kameraposition und ggf. auch die Zeitform wechselt, ist dies optisch durch Kursivschrift zu kennzeichnen, um den Leser nicht zu verwirren] Mikroperspektivwechsel zu erlebten Gedanken (1. Person Gegenwart) werden vom Leser abnehmend stark wahrgenommen in der Reihenfolge: 3. Person Vergangenheit, 3. Person Gegenwart, 1. Person Vergangenheit, 1. Person Gegenwart
Beispiel: 3. Person Vergangenheit, kein Mikro-Perspektivwechsel
Absicht: Alle Gedanken werden erzählt und verwenden dieselbe Perspektive wie der Haupttext (hier: nahe 3. Person und daher auch dieselbe Zeitform, hier: Vergangenheit). Man kommt der Figur nahe, aber selbst die Mikro-Perspektive wechselt nicht:
Einundzwanzig … Er konzentrierte sich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was sollte er ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Er ließ die Lider zucken, krümmte sich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodierte zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundigen Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, war er gut.
Beispiel: 1. Person Vergangenheit, kein Mikro-Perspektivwechsel
Absicht: In der 1. nahen Person ist man zwangsläufig bereits sehr nahe an der Figur. Wenn man keinen Mikro-Perspektivwechsel machen möchte, bleibt man in derselben Perspektive und Zeitform und verwendet daher keine Kursivschrift:
Einundzwanzig … Ich konzentrierte mich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was sollte ich ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Ich ließ die Lider zucken, krümmte mich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodierte zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundigen Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, war ich gut.
**Beispiel: 3. Person Vergangenheit, starker Mikro-Perspektivwechsel
Absicht:** Einen deutlichen Mikro-Perspektivwechsel kann man machen, wenn man aus der zwar nahen, aber dennoch letztlich Außensicht der 3. Person in die 1. Person innerhalb der Gedanken wechselt. Hierbei ändert sich ggf. auch die Zeitform. Man springt quasi live in den Kopf der Figur zur damaligen Zeit:
Einundzwanzig … Er konzentrierte sich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was soll ich ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Er ließ die Lider zucken, krümmte sich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodierte zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundig verzweifelten Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, bin ich gut.
Noch deutlicher wird dies, wenn die Gedanken in Form der inneren Selbstansprache ausgeführt werden, etwa mit Was antwortest du ihr? oder Scheiße, bist du gut.
**Beispiel: 1. Person Vergangenheit, mittlerer Mikro-Perspektivwechsel
Absicht: **Aus der 1. Person heraus ist der Mikroperspektivwechsel zwar weniger deutlich, aber besonders bei Zeitformwechsel kann es zu Verwirrung kommen, daher auch hier Kursivschrift der unmittelbar erlebten Gedanken anwenden:
Einundzwanzig … Ich konzentrierte mich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was soll ich ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Ich ließ die Lider zucken, krümmte mich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodierte zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundigen Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, bin ich gut.
**Beispiel: 1. Person Gegenwart, schwacher Mikro-Perspektivwechsel
Absicht:** Die schwächste Form eines Mikro-Perspektivwechsels ergibt sich aus der Perspektive der 1. nahen Person in der Zeitform Gegenwart heraus. Möchte man jedoch auch diese geringfügige Verschiebung der Mikro-Perspektive deutlich machen, so erfolgt dies ebenfalls durch Kursivschrift:
Einundzwanzig … Ich konzentriere mich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was soll ich ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Ich lasse die Lider zucken, krümme mich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodiert zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundigen Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, bin ich gut.
**Beispiel: 3. Person Vergangenheit, nur partieller Mikro-Perspektivwechsel
Absicht:** Die Mikro-Perspektivwechsel lassen sich auch pointiert einsetzen, wie in diesem Beispiel, um den Zählvorgang zu betonen und die Spannung zu erhöhen:
Einundzwanzig … Er konzentrierte sich darauf, die Schultern entspannt zu lassen, nicht den Mund zu verziehen und, vor allem, nicht den Blick abzuwenden. Was sollte er ihr antworten? Die Wahrheit etwa? Nein, auf keinen Fall. Zweiundzwanzig … Er ließ die Lider zucken, krümmte sich dabei beinahe unmerklich, wie es ein Mann tun würde, der unheilbar krank ist, dies jedoch vor seiner Umgebung zu verstecken versucht. Dreiundzwanzig … »Ich habe dich nie betrogen.« Ein leichtes Schütteln des Kopfes. »Nie.«
Ihre eben noch zornige Miene erodierte zu einer Maske aus Scham, Selbstekel und dem offenkundigen Wunsch nach Vergebung.
Scheiße, war er gut.